OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 05.03.2003 - 4 LB 124/02 - asyl.net: M3566
https://www.asyl.net/rsdb/M3566
Leitsatz:

Keine extreme Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG durch fehlende oder verlorene "Semi"-Immunität gegen Malaria bei Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo nach längerem Auslandsaufenthalt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Minderjährige, Kinder, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Infektionsrisiko, Malaria, Semi-Immunität, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, im Hinblick auf die Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen von § 53 Abs. 6 AuslG festzustellen, weil eine extreme Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit als allein geltend gemachte Tatsachengrundlage des im Berufungsverfahren streitigen Anspruchs aus § 53 Abs. 6 S. 1 AulsG im Falle ihrer Rückkehr in die DR Kongo im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht besteht.

Eine extreme Gefahrenlage lässt sich nach den derzeit in der Demokratischen Republik Kongo festzustellenden Gegebenheiten im Hinblick auf die speziell auch Kindern drohende Gefahr einer Malariaerkrankung mit tödlichem Krankheitsverlauf nicht feststellen, auch wenn dem Verwaltungsgericht ohne weiteres zuzugeben ist, dass das Risiko einer Malariainfektion bei einer Rückkehr (auch) nach Kinshasa ebenso wie die Sterblichkeitsrate im Falle einer derartigen Krankheit - insbesondere für - wie die Kläger des vorliegenden Verfahrens - im Ausland geborene und dort aufgewachsene Kinder und Personen, die aufgrund eines längeren Aufenthalts im Ausland eine etwa aufgebaute "Semi"-Immunität (wieder) verloren haben - nach allen vorhandenen Erkenntnisquellen ohne Behandlung sehr hoch ist.

Eine extreme Gefährdungslage zu Lasten der Kläger im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vermag der Senat gleichwohl in Anlehnung an die in das Verfahren eingeführte Entscheidung des OVG Münster vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95.A - und die in jener Entscheidung herangezogenen und verwerteten Auskünfte und Stellungnahmen - insbesondere auch die Gutachten von Prof. Dr. Dietrich, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg, vom 2. April 2002 und von Dr. Junghanss vom 9. Februar 2001 und 15. Oktober 2001 - nicht anzuerkennen. In diesem Zusammenhang teilt der Senat insbesondere auch die Einschätzung des OVG Münster, dass es sich bei der Malaria um eine in der Demokratischen Republik Kongo besonders häufig auftretende, der Bevölkerung in ihrem Erscheinungsbild "vertraute" Infektionskrankheit handelt, für die in der Bevölkerung ein allgemeines Risikobewusstsein vorhanden ist, welches bei hinreichend verantwortungsbewusstem Handeln ein rechtzeitiges Erkennen und eine Behandlung der Krankheit mit den im Raum Kinshasa in ausreichender Menge vorhandenen und erhältlichen Medikamenten sicherstellt. Dabei ist - gerade auch im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren - auch von Bedeutung, dass nach den nachvollziehbaren Feststellungen des OVG Münster in der bereits genannten Entscheidung selbst bei eigener völliger Mittellosigkeit noch eine ausreichende Versorgung mit Malaria-Medikamenten gewährleistet ist, weil insoweit die Tätigkeit von in der Demokratischen Republik Kongo tätigen Hilfsorganisationen in Anspruch genommen werden kann. Die auch im Raum Kinshasa bestehende Möglichkeit der erfolgreichen Behandlung einer "rechtzeitig" erkannten Malariaerkrankung mit den notwendigen Medikamenten, deren Vorhandensein vor Ort auch das Gutachten des Dr. Junghanss vom 15. Oktober 2001 nicht in Frage stellt (vgl. dort Ziffer 7 b), trägt zur Überzeugung des Senats die rechtliche Bewertung, dass eine extreme Gefährdungslage im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Grundlage der Zuerkennung eines individuellen Anspruchs aus § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG in der Demokratischen Republik Kongo jedenfalls zurzeit nicht vorliegt. Sie lässt sich insbesondere - ohne weiteres nachvollziehbar - auf die gutachterliche Aussage in der Stellungnahme des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin - Klinische Abteilung (Leiter: Prof. Dr. M. Dietrich) - vom 02. April 2002 stützen, dass bei rechtzeitigem Erkennen und alsbaldiger Behandlung - für die der erkrankungsgefährdete Rückkehrer eigenverantwortlich Sorge zu tragen hat - "die Sterblichkeitsrate der malaria tropica gegen Null" strebt.

Die Stellungnahme des Privatdozenten Dr. Hatz vom Schweizerischen Tropeninstitut vom 17.07.2002 erschöpft sich in der Bestätigung einer "kohärenten Argumentation und Beurteilung von Dr. Junghanss" enthält indes keinerlei eigene neue Erkenntnisse, die eine abweichende Einschätzung zulassen könnten; letzteres gilt auch und erst recht für die mit Schriftsatz vom 01. August 2002 von den Klägern vorgelegte Stellungnahme des Tropeninstituts Berlin vom 10. Juli 2002.