VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 15.11.2002 - 9 TG 2990/02 - asyl.net: M3622
https://www.asyl.net/rsdb/M3622
Leitsatz:

Eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG zur Ausübung der Personensorge für ein deutsches Kind setzt eine über die Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Erziehungs- und Betreuungsgemeinschaft voraus.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Familienangehörige, Kinder, Deutsche Kinder, Erziehungsgemeinschaft, Betreuungsgemeinschaft, Begegnungsgemeinschaft, Familiäre Lebensgemeinschaft, Gemeinsames Sorgerecht, Personensorge, Schutz von Ehe und Familie
Normen: GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 3; AuslG § 17 Abs. 1; BGB § 1626 Abs. 1; BGB § 1626 Abs. 3; BGB § 1684 Abs. 1
Auszüge:

 

Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I, S. 2842) kann ein von seiner deutschen Ehegattin getrennt lebender und zur Ausübung der Personensorge mitberechtigter ausländischer Staatsangehöriger bezogen auf ein gemeinsames und bei der Mutter lebendes Kind aus §§ 23 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 1 Ausländergesetz nur dann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ableiten, wenn sich die Vater-Kind-Beziehung als eine über die Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Erziehungs- und Betreuungsgemeinschaft darstellt. Bei der im Einzelfall vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich jedoch mit Blick auf das mit vorstehender Gesetzesänderung zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Leitbild und die daran anknüpfende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, S. 849 ff.) eine rein schematische Abgrenzung ausschließlich nach quantitativen Gesichtspunkten, d.h. ein bloßes Abstellen etwa auf Häufigkeit und Dauer von Besuchskontakten.

Ein Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis steht dem Antragsteller trotz formaler Inhaberschaft der Mitsorgeberechtigung für seinen Sohn jedoch deshalb nicht zu, weil § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG neben diesem formalen Aspekt - wie sich aus der mit der tatbestandlichen Formulierung zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung ("zur Ausübung der Personensorge") und aus der ausdrücklichen Bezugnahme der Vorschrift auf § 17 Abs. 1 AuslG mit den daraus folgenden, weiteren Beschränkungen ergibt - zusätzliche Anforderungen an die Intensität, Qualität und Art der familiären Kontakte des ausländischen Elternteils zu seinem Kind stellt.

Das Verwaltungsgericht hat unter Bewertung der insoweit in die Betrachtung mit einzubeziehenden Umstände zutreffend festgestellt, dass die familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinem Sohn diesen Anforderungen nicht genügen.

Es kommt entscheidend darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist. Der ausländische Elternteil muss die entsprechenden Elternfunktionen tatsächlich auch wahrnehmen und regelmäßig bestimmte (nicht unbeträchtliche) Zeiten zusammen mit dem Kind verbringen (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Bei der insofern vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung (so BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002, a.a.O.). Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht nur quantitativ - etwa nach Datum und Uhrzeit des persönlichen Kontaktes oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungsleistungen - bestimmen. Die Forderung nach Erfüllung objektiv messbarer Betreuungsleistungen lässt die in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete und vom Staat zu respektierende Autonomie der Eltern bei der konkreten Umsetzung ihrer elterlichen Pflichten und Rechte und der Ausgestaltung der gemeinsam getragenen Elternverantwortung außer Acht. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird. Dabei dürfen im Einzelfall die Anforderungen an die Darlegungslast des ausländischen Elternteils nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen übt der Antragsteller die ihm gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau obliegende Personensorge nicht zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn aus. Der Senat vermag - dem Verwaltungsgericht folgend - nicht festzustellen, dass die Intensität und Qualität der Beziehung des Klägers zu seinem Sohn den dargelegten Anforderungen entspricht.

Aus den auf Bitten der Ausländerbehörde von der Ehefrau des Antragstellers erstellten persönlichen Stellungnahmen vom 1. Mai 2001 und vom 11. Dezember 2001 (vgl. Bl. 707 ff., 798 ff. des Verwaltungsvorgangs), in denen die Ehefrau die Beziehung des Antragstellers zu seinem Sohn aus ihrer Sicht beschreibt, der den Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn betreffenden Stellungnahme des Jugendamtes beim Landrat des ............kreises vom 26. Februar 2002 (vgl. Bl. 29 f. der Gerichtsakte) sowie den nach Sichtung der vorliegenden Akten und Unterlagen sonst erkennbaren Umständen entnimmt der Senat, dass der Antragsteller zwar Interesse an der Entwicklung seines etwa dreijährigen Sohnes zeigt, sich jedoch eine tief gehende und emotionale Beziehung zwischen Vater und Sohn auf Grund persönlichen Umgangs zu keinem Zeitpunkt entwickelt hat. Der von seinem Sohn seit dessen Geburt in großer räumlicher Entfernung lebende Antragsteller hat das Kind - so die Stellungnahme seiner Ehefrau vom 1. Juni 2001 - erstmalig am (...) gesehen. Anschließende Besuchskontakte beschränkten sich zunächst auf einen Zeitraum von ungefähr 1 bis 1,5 Stunden im Abstand von etwa vier Wochen. Eine nennenswerte Intensivierung des Kontakts ist auch seit verbindlicher Festlegung von Umgangszeiten durch Abschluss eines Vergleichs im Rahmen des Sorgerechtsverfahrens vor dem Familiengericht Zeitz am 4. Juli 2001 nicht eingetreten. Nach dem Inhalt dieses Vergleichs ist der Antragsteller berechtigt, seinen Sohn "alle zwei Wochen im Monat" von 14.00 bis 17.00 Uhr zu sich zu nehmen. Von diesem Umgangsrecht macht der Antragsteller ausweislich der von seiner Ehefrau vorgelegten Auflistung von Besuchszeiten zumeist - jedoch nicht immer - Gebrauch. Der Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn findet allerdings seit jeher ausschließlich in der Wohnung der Ehefrau und auch stets in deren Anwesenheit statt. Offensichtlich ist es zu gemeinsamen Unternehmungen des Antragstellers mit seinem Sohn oder der Erbringung sonstiger - insbesondere auch alleiniger - Betreuungsleistungen mit persönlichem Kontakt, die dem Aufbau einer emotionalen Bindung förderlich sein könnten, zu keinem Zeitpunkt gekommen. Allein diese Beschränkung des persönlichen Kontakts auf kurze Besuche in stets mehrwöchigem Abstand und in Anwesenheit einer dritten Person lässt die Einschätzung zu, dass der Antragsteller im Leben seines Sohnes die Rolle einer väterlichen Bezugsperson nicht einnimmt. Dies deckt sich mit der Darstellung der Ehefrau des Antragstellers in den genannten Stellungnahmen an die Ausländerbehörde, wonach der gemeinsame Sohn den Vater bei Ausübung des Umgangsrechts zunächst nicht erkenne, stets angstvoll reagiere, weglaufe und sich schutzsuchend an sie - die Mutter - klammere. Die Häufigkeit, jeweilige Dauer sowie der von der Ehefrau des Antragstellers beschriebene regelmäßige Ablauf der Besuche lassen es zudem ausgeschlossen erscheinen, dass der Antragsteller intensive Einblicke in den Alltag seines Sohnes nimmt oder eigene Erziehungsbeiträge erbringt, die eine eigenständige Bedeutung für die Entwicklungdes Kindes haben.