VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2003 - 9 TG 6/03 - asyl.net: M3623
https://www.asyl.net/rsdb/M3623
Leitsatz:

1. Das Beschwerdegericht ist durch die den gerichtlichen Kontrollumfang begrenzende Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung nicht gehindert, zu prüfen, ob sich die angefochtene Entscheidung zwar nicht mit der von der Beschwerde angegriffenen Begründung des Verwaltungsgerichts, wohl aber aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist. Insofern gilt nichts anderes als unter Geltung des früheren Rechts (vgl. § 146 VwGO a. F.), als die Beschwerde in den Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80 a, 123 VwGO) durch einen Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels erstritten werden musste.

2. Zu den zeitlichen Voraussetzungen, die eine Anwendung der sogenannten Härtefallregelung für ausländische Familien und Alleinstehende mit langjährigem Aufenthalt in Deutschland nach Maßgabe des § 32 Satz 1 AuslG i.V.m. den Bestimmungen der Erlasse des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. November 1999 und vom 20. Januar 2000 rechtfertigen. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Bleiberechtsregelung 1999, Aufenthaltsbefugnis, Einreise, Minderjährige, in Deutschland geborene Kinder, Analogie, Zusicherung, Schriftform, Verfahrensrecht, Beschwerdeverfahren, Ernstliche Zweifel, Beschwerdebegründung, Prüfungsumfang
Normen: VwGO § 146 Abs. 4 S. 6; AuslG § 32; VwVfG § 38 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Gemäß § 32 Satz 1 AuslG kann die oberste Landesbehörde u.a. aus humanitären Gründen anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder dass in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen nach den §§ 30 und 31 Abs. 1 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt wird und dass erteilte Aufenthaltsbefugnisse verlängert werden. Auf dieser Regelung fußt der Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. November 1999, mit dem die bis dahin geltende Bleiberechtsregelung aus dem Jahr 1996 - mit veränderten Stichtagen - fortgeschrieben worden ist. Hinsichtlich des in den Anwendungsbereich dieses Erlasses einbezogenen Personenkreises sieht dessen Ziffer II Nr. 3.1 Satz 1 vor, dass Asylbewerberfamilien mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet werden kann, wenn sie vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, seitdem ihren Lebensmittelpunkt im

Bundesgebiet gefunden und sich in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefunden haben. Dabei muss der Ausländer mit mindestens einem minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, das sich seit dem 1. Juli 1993 oder seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhält (Ziffer II Nr. 3.1 Satz 2 des Erlasses). Für alleinstehende Personen und Ehegatten ohne Kinder gilt dies nach Ziffer II Nr. 3.5 des Erlasses entsprechend, soweit sie vor dem 1. Januar 1990 eingereist sind, und zwar auch dann, wenn sie sich zuvor im Beitrittsgebiet aufgehalten haben. Bezüglich des durch Ziffer II Nr. 3.1 des vorgenannten Erlasses begünstigten Personenkreises ist mit Ergänzungserlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000 eine weitere Präzisierung erfolgt. Danach kann ein Ehepaar, das gemeinsam vor dem 1. Juli 1993 ohne Kinder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, auch dann unter die Bleiberechtsregelung fallen, wenn im Bundesgebiet ein Kind noch vor dem (weiteren) Stichtag des 19. November 1999 geboren wurde. Die Erteilung eines Bleiberechts ist allerdings dann nicht möglich, wenn lediglich ein Familienmitglied vor dem Stichtag eingereist ist und andere Familienmitglieder nach dem Stichtag erst ins Bundesgebiet eingereist bzw. hier geboren sind (vgl. Ziffer 3, 1. Spiegelstrich dieses Erlasses).

Der Antragsteller, der am (...) und damit zeitlich nach vorgenannten Stichtagen in Deutschland geboren wurde, leitet die nach seiner Auffassung bestehende Anwendbarkeit der Härtefallregelung aus der Einreise seiner Eltern am (....) ab. Dabei verkennt er, dass seine Eltern nach Lage der Dinge als "Ehegatten ohne Kinder" im Sinne von Ziffer II Nr. 3.5 des Erlasses vom 22. November 1999 zu behandeln sind. Mithin gilt für sie als Einreisestichtag der 1. Januar 1990, was auch eine Einbeziehung des Antragstellers in die Härtefallregelung ausschließt.

Zwar erweitert Ziffer 3, 1. Spiegelstrich des Ergänzungserlasses vom 20. Januar 2000 den nach Ziffer II Nr. 3.1 des erstgenannten Erlasses durch Festlegung eines späteren Stichtags begünstigten Personenkreis - dem die Familie des Antragstellers ersichtlich nicht unterfällt - um die Möglichkeit der Einbeziehung vor dem 1. Juli 1993 ohne Kinder eingereister Ehepaare, dies allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung, dass im Bundesgebiet ein Kind vor dem weiteren Stichtag des 19. November 1999 geboren worden ist. Letztgenannte Voraussetzung erfüllen jedoch weder der Antragsteller noch seine am (...) geborene Schwester. Entgegen der in der

Beschwerdebegründung geäußerten Auffassung besteht nach der Erlasslage, bezogen auf die Fallgruppe, der die Familie des Antragstellers mithin angehört, auch keine Regelungslücke. Vielmehr stellen sich die Erlassvorschriften bezüglich der Festlegung von Stichtagen als zeitliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Härtefallregelung als schlüssiges und in sich abgeschlossenes Regelungssystem dar, das eine eindeutige Entscheidung über die im Einzelfall zu erfüllenden zeitlichen Vorgaben auch in Fallkonstellationen wie der vorliegenden ermöglicht. Soweit der Antragsteller dem in der Beschwerdebegründung unter Hinweis auf die Formulierung von Ziffer 3, 1. Spiegelstrich Satz 2 des Erlasses vom 20. Januar 2000 entgegentritt und hiermit eine "Offenheit" der Stichtagsregelung zu begründen sucht, liegt dem ein falsches Verständnis der zitierten Regelung zugrunde, da deren Regelungszusammenhang mit Ziffer 3, 1. Spiegelstrich Satz 1 des Erlasses nicht erkannt bzw. falsch interpretiert wird. Satz 2 stellt nämlich, an die in Satz 1 erfolgte Erweiterung des begünstigten Personenkreises anknüpfend, lediglich klar, dass jedes Familienmitglied - d.h. beide Ehepartner im Sinne des Satzes 1 - vor dem für Asylbewerber mit einem oder mehreren Kindern schon durch Ziffer II Nr. 3.1 Satz 1 des Erlasses vom 22. November 1999 festgelegten Stichtag eingereist sein muss, ohne jedoch etwas an dem auch solchenfalls bestehenden Erfordernis der Geburt wenigstens eines Kindes noch vor dem (weiteren) Stichtag des 19. November 1999 zu ändern. Asylbewerberfamilien, die - wie die Familie des Antragstellers - auch diese Voraussetzung nicht erfüllen, unterfallen damit von vornherein dem Regelungsbereich von Ziffer II Nr. 3.5 des Erlasses vom 20. November 1999, womit die Annahme einer ggf. in Anwendung des sog. Meistbegünstigungsprinzips zu schließenden Regelungslücke von vornherein

ausscheidet.

Schließlich kann der Antragsteller die Erteilung der begehrten Aufenthaltsbefugnis auch nicht aufgrund einer behördlichen Zusicherung im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beanspruchen.

§ 38 Abs.1 Satz 1 VwVfG bestimmt, dass eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form bedarf. Der Vorschrift unterfallen damit solche schriftlichen Äußerungen der Behörde, denen sich eine verbindliche Selbstverpflichtung der Behörde entnehmen lässt, künftig den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Zusicherung im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, wenn die infrage stehende Erklärung den Rückschluss auf eine verbindliche Festlegung der Behörde hinsichtlich ihres zukünftigen Verhaltens nicht zulässt, auch wenn die behördliche Äußerung auf zukünftiges Verhalten der Behörde bezogen oder jedenfalls geeignet ist, Erwartungen des Bürgers bezüglich solchen Verhaltens zu begründen (vgl. Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 38 Rdnr. 4, 6b m.w.N.). Maßgeblich für die insoweit vorzunehmende Abgrenzung ist der erklärte Wille der Behörde, so wie er sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nach Treu und Glauben darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 - BVerwG 4 C 28.84 -, BVerwGE 74, 16f).

Ausgehend von diesen allgemein anerkannten Grundsätzen kann dem Schreiben vom 16. März 2002 nicht die Bedeutung beigemessen werden, der Antragsgegner habe hiermit für den Fall der Ausstellung von Reisepässen durch die vietnamesische Botschaft die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an den Antragsteller und seine Familienangehörigen verbindlich zugesagt. Die im dargestellten Sinne verbindliche Ankündigung eines solchen Behördenhandelns lässt sich dem Inhalt dieses Schreibens ersichtlich schon wegen seiner Formulierung nicht entnehmen. In der betreffenden, zur Vorlage bei der vietnamesischen Botschaft bestimmten Bescheinigung führt der Antragsgegner aus, den Familienmitgliedern des Antragstellers könne im Rahmen der Härtefallregelung für ausländische Familien und Alleinstehende mit langjährigem Aufenthalt eine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt werden, wenn gültige Reisepässe vorlägen. Sachgerecht lässt sich diese Äußerung nur dahingehend interpretieren, dass sich der Antragsgegner seine endgültige Entscheidung über die vom Antragsteller und seinen Familienangehörigen gestellten Anträge mit Blick auf die vorher notwendige und zu dem betreffenden Zeitpunkt noch ungewisse Ausstellung gültiger Reisepässe gerade noch vorbehalten wollte.