1. Bei der zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG (Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft wegen der Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange des Ehegatten) handelt es sich um die Regelung einer eigenständigen Fallgruppe, die die in der ersten Alternative angesprochenen Fallgestaltungen ergänzt, den Begriff der besonderen Härte also erweitert.
2. Von Misshandlungen seitens des anderen Ehegatten, die das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar gemacht haben, müssen daher keine Folgewirkungen ausgehen, die eine Erfüllung der Rückkehrverpflichtung erschweren.(Amtliche Leitsätze)
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 VwGO, §§ 72 Abs. 1, 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG, 12 LVwVfG statthaft und auch sonst zulässig. Der Antrag ist auch begründet.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spricht nach Aktenlage einiges dafür, dass sich die Antragstellerin auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG berufen kann.
Dass die Neufassung des § 19 AuslG auf noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Verfahren auch dann anwendbar ist, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft bereits vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung aufgehoben worden war, hat der Senat mit Urteil vom 4.12.2002 - 13 S.2194/01 - in Übereinstimmung mit der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Meinung bejaht.
Nach Aktenlage hat die eheliche Lebensgemeinschaft der Antragstellerin mit ihrem mittlerweile geschiedenen Ehemann rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden und es ist auch nicht ersichtlich, dass der Ausschlussgrund des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AuslG eingreift.
Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Antragstellerin, aufgrund des Scheiterns ihrer Ehe wäre sie im Falle einer Rückkehr in die Ukraine ausgegrenzt und gesellschaftlich isoliert, überzeugt, und ob sich daraus eine besondere Härte im Sinne der ersten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG ergäbe (vgl. dazu das Senatsurteil vom 4.12.2002, a.a.o.); denn jedenfalls spricht nach Aktenlage einiges dafür, dass der Antragstellerin wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der Lebensgemeinschaft mit ihrem früheren bosnischen Ehemann unzumutbar war, und dass somit eine besondere Härte im Sinne der zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG zu bejahen ist.
Bei dieser zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG handelt es sich um die Regelung einer eigenständigen Fallgruppe, die die in der ersten Alternative angesprochenen Fallgestaltungen ergänzt, den Begriff der besonderen Härte also erweitert und nicht etwa nur das verdeutlicht, was in der ersten Alternative der Vorschrift bereits geregelt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm ("oder"), ergibt sich aber auch aus den Gesetzesmaterialien.
Daraus wird deutlich, dass die zweite Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG den Begriff der besonderen Härte erweitert, indem sie - anders als die erste Alternative - an eine bereits erfolgte, nicht erst drohende und im Übrigen inlandsbezogene Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange des Ehegatten anknüpft (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4.5.2001, NVwZ- Beilage I 7/2001, S. 83; Renner, Nachtrag zur 7. Aufl. des Kommentars Ausländerrecht, § 19 AuslG RdNr. 24). Solche Fälle liegen nach der Gesetzesbegründung (a.a.O.) z.B. vor, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat oder der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat.
Nach alledem ist der von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung, von Misshandlungen, die der Ehegatte erlitten habe, müssten Folgewirkungen ausgehen, die eine Erfüllung der Rückkehrverpflichtung erheblich erschwerten, weil sie einer Reintegration im Heimatland entgegenstünden, nicht zu folgen; denn damit werden, entgegen der Gesetzessystematik und dem gesetzgeberischen Willen tatbestandliche Elemente der ersten Alternative zur Auslegung der, wie ausgeführt, eigenständigen Regelung der zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG herangezogen. Hinzuweisen ist im Übrigen darauf, dass die zweite Alternative eine e r h e b I i c h e Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange des Ehegatten nicht voraussetzt. Auch dies belegt die Eigenständigkeit der Regelung, nach deren Sinn und Zweck der Ehegatte nicht wegen der Gefahr der Beendigung seines akzessorischen Aufenthaltsrechts auf Gedeih und Verderb zur Fortsetzung einer "nicht tragbaren Lebensgemeinschaft" (so BT -Drs. 14/2902 S. 5) gezwungen sein soll (vgl. Renner, a.a.O., RdNr. 27).
Der von der Antragstellerin substantiiert dargelegte und glaubhaft gemachte Sachverhalt trägt die Annahme einer besonderen Härte im Sinne der zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG. Maßgebliche Bedeutung kommt insoweit dem bereits dem Verwaltungsgericht vorgelegten "Gedächtnisprotokoll zu den Verhältnissen in der Ehe meiner Mutter" der Tochter der Antragstellerin vom 22.5.2001 zu, dessen Richtigkeit die Tochter eidesstattlich versichert hat. Danach war die Antragstellerin seit dem ersten Tag ihrer Ehe durch ihren Ehemann jeglicher freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beraubt; sie wurde gedemütigt und wie eine Gefangene in der Wohnung gehalten. So durfte sie nicht allein die Wohnung verlassen, durfte niemand anrufen und nicht einmal ohne ihren Ehemann die Tür öffnen. Als ihr Ehemann einmal davon erfuhr, dass sie ohne dessen Wissen auf Anraten der Tochter einen Frauenarzt augesucht hatte, wurde sie geschlagen. Ständig wurden ihr Vorwürfe gemacht. In der Silvesternacht (...) war die Tochter Zeugin, wie der Ehemann die Antragstellerin auf das Bett warf und sie würgte, bis ihr Gesicht bereits blau anlief. Er ließ von der Antragstellerin erst ab, als die Tochter ihm auf seine Forderung Geld versprach. Am 14.4.2000 wurde die Antragstellerin von ihrem Ehemann gegen 5.00 Uhr morgens aus der Wohnung gejagt; ihre persönliche Habe blieb im Besitz des Ehemannes.
Der Senat hat keinen Anlass, die Richtigkeit dieses mit vielen weiteren Details angereicherten "Gedächtnisprotokolls" der Tochter zu bezweifeln. Dies gilt um so mehr, als es durch die vorliegenden ärztlichen Gutachten über die Antragstellerin untermauert wird. So belegt das nervenärztliche Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie (...) ausgeprägte psychische Störungen (u.a. Wahnstimmung mit Verfolgungsideen; Wahrnehmungsstörungen; akustische Halluzinationen), die nach Einschätzung des Arztes eindeutig als Auswirkung einer schweren anhaltenden psychischen Belastung im ursächlichen Zusammenhang mit dem Verhalten des Ehemanns zu sehen sind. Es sei anzunehmen, dass ihr jetziger Zustand auf die erlittenen Qualen und Demütigungen in der kurzen Ehe zurückzuführen sei.
Sollte sich dieser Sachverhalt im Hauptsacheverfahren bestätigen, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG erfüllt sind; denn die Antragstellerin war seitens ihres Ehemanns physischen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt und es liegt auf der Hand, dass ihr bei dieser Sachlage das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar war.