VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 27.03.2003 - 6 K 3675/02 - asyl.net: M3633
https://www.asyl.net/rsdb/M3633
Leitsatz:

Eine Wohnsitzauflage zur Duldung gem. § 56 Abs. 3 S. 2 AuslG ist unverhältnismäßig, wenn dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Lastenverteilung in anderer Weise Geltung verschafft werden kann und gewichtige Interessen des Betroffenen der Auflage entgegenstehen (hier: Fortsetzung einer psycho-therapeutischen Behandlung).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Bosnier, Traumatisierte Flüchtlinge, Duldung, Wohnsitzauflage, Zuweisung, Posttraumatische Belastungsstörung, Therapie, Ermessen
Normen: AuslG § 56 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

 

Rechtsgrundlage der angefochtenen Wohnsitzauflage ist § 56 Abs.3 S. 2 AuslG.

Diese Vorschrift räumt der zuständigen Behörde, hier dem Regierungspräsidium Karlsruhe (§ 63 Abs.1 AuslG, 11 Abs.3 Nr.3, 12, 2 Abs.2 Nr. 2 FlüAG), Ermessen ein, Duldungen nach § 56 AuslG mit entsprechenden Auflagen zu versehen, die über die Auflage, das Landesgebiet nicht zu verlassen, hinausgehen.

Das in § 56 Abs.3 S. 2 AuslG eingeräumte Ermessen wird jedoch nicht schrankenlos gewährt. Die Auflage muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und ihre Rechtfertigung im Sinn und Zweck des Ausländergesetzes sowie im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finden (BVerwGE 64, 285). Der Verfügung vom 28.08.2002 kann entnommen werden, dass der Beklagte Ermessen ausgeübt und die öffentlichen Belange gegenüber den Belangen der Kläger abgewogen hat. Ermessensfehlerhaft ist die Verfügung aber insoweit, als der Beklagte nicht eine Unterbringung der Kläger in Betracht gezogen hat, die es der Klägerin Ziff. 1 ermöglichen würde, die von ihr in Karlsruhe begonnene Therapie fortzusetzen. Es besteht ein anerkanntes öffentliches Interesse daran, die Lasten, die durch die Unterbringung von Personen in den entsprechenden Landkreisen bestehen, auszugleichen und gerecht auf die Landkreise des Landgebietes zu verteilen.

Diesem öffentlichen Belang steht aber das Interesse der Kläger an einem Verbleiben in ihrer bisherigen Unterkunft entgegen. Zwar hat das Regierungspräsidium Karlsruhe in der angefochtenen Verfügung die geltend gemachten Gesichtspunkte, insbesondere den Krankheitszustand der Klägerin Ziff. 1, berücksichtigt. Im Ergebnis ist die Zuweisung in den Landkreis Waldshut aber unverhältnismäßig. Die Zuweisung war nämlich unter Berücksichtigung insbesondere der Belange der Klägerin Ziff.1 nicht erforderlich, um den angestrebten Zweck der gleichmäßigen Kosten- und Personenverteilung zu erreichen.

Eine Maßnahme der Verwaltung ist dann erforderlich, wenn kein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes zur Verfügung steht. Eine solche "Erforderlichkeit" ist jedoch nicht gegeben. Der Landkreis Karlsruhe hatte im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung - im Verhältnis zum Landkreis Waldshut gesehen - die gleiche Fehlquote an aufzunehmerden Personen. Es wäre somit auch möglich gewesen, die Kläger in diesen Landkreis zuzuweisen, um so das gesetzgeberische Ziel des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, die gleichmäßige Verteilung der Personen und Kosten, zu erreichen.

Für die Klägerin Ziff. 1 hätte die Zuteilung nach Karlsruhe in jedem Fall das mildere Mittel dargestellt. Denn sie ist auf Grund einer posttraumatischen Belastungsstörung in Karlsruhe in psycho-therapeutischer Behandlung. Würde die Klägerin Ziff.1 aber verpflichtet, ihren Wohnsitz in Wutöschingen zu nehmen, wäre es ihr nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich, die Behandlung in Karlsruhe weiterzuführen. Nach Einschätzung der Kammer würde nach aller Voraussicht der Umzug nach Wutöschingen zu einem Abbruch der Behandlung in Karlsruhe führen. Da der Beklagte das von ihm angestrebte Ziel der gleichmäßigen Verteilung der Personen und Kosten aber auch durch eine Zuweisung der Klägerin Ziff. 1 in den Landkreis Karlsruhe hätte erreichen können, führt die Nichtberücksichtigung dieser Möglichkeit zur Fehlerhaftigkeit der getroffenen Verfügung.