VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 15.01.2003 - 7 K 3145/02 - asyl.net: M3636
https://www.asyl.net/rsdb/M3636
Leitsatz:

§ 85 AuslG n. F. gibt auch minderjährigen Kindern einen eigenständigen, elternunabhängigen Anspruch auf Einbürgerung.

§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG n. F. gilt über seinen klaren Wortlaut hinaus nicht auch für den Fall, dass ein Ausländer aus Altersgründen seine ausländische Staatsangehörigkeit noch nicht aufgeben kann.

Die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung kommt nicht in Betracht, wenn der Einbürgerungsbewerber nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des ausländischen Staates bei Vorlage der Einbürgerungszusicherung gegenüber den Behörden seines Heimatstaates die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit in absehbarer Zeit überhaupt nicht erreichen kann. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Türken, Minderjährige, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Miteinbürgerung, Elternunabhängige Einbürgerung, Mehrstaatigkeit, Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Einbürgerungszusicherung
Normen: AuslG § 85 Abs. 1; AuslG § 85 Abs. ; AuslG § 85 Abs. 1 Nr. 4; AuslG § 87
Auszüge:

Im Falle der Klägerinnen steht allein der Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit (§ 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) einer Einbürgerung entgegen.

Ein Einbürgerungsanspruch der Klägerinnen nach § 85 AuslG bestünde nur dann, wenn die Voraussetzungen für eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorlägen. Im Falle der Klägerinnen liegt jedoch keiner der Ausnahmetatbestände des § 87 AuslG vor. Nach Art. 20 des Staatsangehörigkeitsgesetzes der Türkei vom 11.02.1964 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei S. 5) unterliegt der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit durch Verzicht der Genehmigung des Ministerrats und hat zur Voraussetzung, dass der Antragsteller mündig und urteilsfähig ist. Mündig ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat (Art. 11 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Türkei, a.a.O., S. 19).

Eine Entlassung der Klägerinnen aus der türkischen Staatsangehörigkeit käme nur dann in Betracht, wenn auch ihre Eltern für sich ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit beantragen würden (Art. 32 StAG, a.a.O., S. 8). Von den Eltern der Klägerinnen werden keine Einbürgerungsverfahren betrieben.

Die Bestimmung des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG können die Klägerinnen im Hinblick darauf, dass nach dem Recht ihres Heimatstaates eine eigenständige Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres möglich ist, nicht für sich in Anspruch nehmen. Nach dieser Vorschrift kommt die Hinnahme von Mehrstaatigkeit in Betracht, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht. Diese vom Wortlaut her klare Bestimmung wurde nicht erst durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.07.1999 (BGBl. I S. 1618) neu geschaffen, sie wurde vielmehr zusammen mit den übrigen einbürgerungsrechtlichen Vorschriften des Ausländergesetzes durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354) eingeführt. Durch das Staatsangehörigkeitsreformgesetz vom 05.07.1999

wurde bei der Bestimmung des § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AuslG lediglich der Begriff des "Heimatstaates" durch den Begriff des "ausländischen Staates" ersetzt. Mit der Einführung einer gesetzlichen Regelung für Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit durch das Ausländergesetz 1990 hat der Gesetzgeber erkennbar kein "Neuland" betreten. Er hat vielmehr zunächst inhaltlich - zum Teil sogar wörtlich - auf die in den Einbürgerungsrichtlinien (GMBl 1978, 16) niedergelegten Kriterien (so bei § 87 Abs.1 Satz 2 Nr. 1 AuslG a. F. auf Ziffer 5.3.3.1) zurückgegriffen. Die Gesetzesmaterialien zu § 87 AuslG a.F. enthalten zur Frage der Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur allgemeine Ausführungen. Die einzelnen Ausnahmefälle sind nicht näher erläutert (vgl. BT -Drs. 11/6321, S. 47 f., 84). Dagegen finden sich in den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 87 AuslG Ausführungen zu einzelnen der aufgelisteten Ausnahmetatbestände (BT -Drs. 14/533, S. 19). Zu § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AuslG wird dargelegt, die Vorschrift betreffe die rechtliche Unmöglichkeit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Dazu zähle grundsätzlich auch der Fall, dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit (noch) nicht aufgeben könne (vgl. aber Abs. 4). Im Falle des § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AuslG fallen somit Wortlaut und Gesetzesbegründung erheblich auseinander. Der Wortlaut der Vorschrift lässt in keiner Weise erkennen, dass mit der Neufassung des § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AuslG - trotz des im Wesentlichen gleich gebliebenen Wortlauts - eine Erweiterung dieser Ausnahmebestimmung beabsichtigt war. Die Verwaltungsvorschriften in der endgültigen Fassung vom 13.12.2000 - StAR-VwV - (GMBl. 2001, 122, 144) enthalten unter Ziffer 87.1.2.1 keinen Hinweis für einen über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Die im Entwurf der Verwaltungsvorschriften enthaltene Textpassage, die in Anlehnung an die genannte Gesetzesbegründung vorsah, dass die Regelung auch für Einbürgerungsbewerber gilt, die nach dem Recht des Herkunftsstaates eine nicht an die Volljährigkeit anknüpfende besondere Altersgrenze für ein Ausscheiden aus ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit noch nicht erreicht haben, ist entfallen (vgl. hierzu im Einzelnen: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., 2001, § 87 AuslG Rn. 10; Berlit in GK-StAR IV § 85 AuslG Rn. 34 ff.). Das Gericht geht deshalb davon aus, dass mit § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG n. F. keine Änderung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (VG Stuttgart, Urteil vom 07.11.2001 - 7 K 5769/00).

Im vorliegenden Fall scheidet auch eine Verpflichtung der Beklagten, den Klägerinnen Einbürgerungszusicherungen zu erteilen, aus. Zwar kommt nach der Verwaltungspraxis (vgl. Nr. 5.3.7 der Einbürgerungsrichtlinien, GM BI 1978, 16; Nr. 8.1.2.6.1 StAR-VwV vom 13.12.2000, GMBl 2001, 122,129) und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.03.1987 - 1 C 26.86 - Buchholz 130 § 90 RuStAG Nr. 7, S 25 f.; Urteil vom 31.05.1994 - 1 C 5.93 - Buchholz 402. 240 § 86 AuslG Nr. 1) zum Nachweis des angestrebten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit gegenüber den Behörden des ausländischen Staates eine Einbürgerungszusicherung in Betracht, wenn der Einbürgerungsbewerber die übrigen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt. Damit wird zugleich als selbstverständlich

vorausgesetzt, dass der Einbürgerungsbewerber nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des ausländischen Staates bei Vorlage der Einbürgerungszusicherung gegenüber den Behörden seines Heimatstaates die Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit in absehbarer Zeit überhaupt erreichen kann (VG Stuttgart, Urteil vom 07.11.2001 - 7 K 5769/00 -).

Der Einbürgerungsanspruch der Klägerinnen hängt zwar allein von der Aufgabe der bisherigen

Staatsangehörigkeit ab (§ 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG). Im Falle der Klägerinnen ist jedoch derzeit gegenüber türkischen Behörden der Nachweis, dass sie im Falle eines Verzichts auf die türkische Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten werden, nicht geeignet, die Aufgabe ihrer türkischen Staatsangehörigkeit durchzusetzen. Wie dargelegt, scheidet nach dem Staatsangehörigkeitsrecht der Türkei im Falle der Klägerinnen eine Aufgabe ihrer türkischen Staatsangehörigkeit derzeit aus.