BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 21.01.2003 - BVerwG 1 C 5.02 - asyl.net: M3666
https://www.asyl.net/rsdb/M3666
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen einer Zwangsgeldfestsetzung gem. § 74 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gegen Fluggesellschaften wegen Verstoßes gegen ein Beförderungsverbot von Ausländern ohne Pass und Visum.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Fluggesellschaften, Beförderungsverbot, Passagiere, Passlosigkeit, Visum, Illegale Einreise, Zwangsgeld, Ermessen, Verhältnismäßigkeit, Zwangsvollstreckung, Kumulationsverbot
Normen: AuslG § 74 Abs. 2; VwVG § 9 Abs. 2
Auszüge:

Die Klägerin, (...), wendet sich gegen die Androhung von Zwangsgeld nach § 74 Abs. 2 AuslG zur Durchsetzung eines Verbots der Beförderung von Fluggästen nach Deutschland ohne Pass und Visum.

Die Revision ist nicht begründet.

Die Beklagte war nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG ermächtigt, ein Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung gegen ein - die allgemeine gesetzliche Pflicht nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AuslG konkretisierendes - Beförderungsverbot nach Nr.1anzudrohen. Ein solches unselbständiges Verbot (Unterlassungsgebot) war in der gleichen Verfügung enthalten. Lagen mithin die Voraussetzungen für den Erlass der Zwangsgeldandrohung nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG vor, so stand es grundsätzlich im Ermessen der Beklagten, "das Zwangsgeld nach Satz 2" anzudrohen.

Gegen die Ermächtigungsnorm bestehen weder im Hinblick auf das von der Klägerin nicht mehr angegriffene Beförderungsverbot noch im Hinblick auf die hiermit verbundene Zwangsgeldandrohung verfassungsrechtliche Bedenken.

Sowohl das Beförderungsverbot als auch die Androhung, Festsetzung und Vollstreckung von Zwangsgeldern sollen nach dem erkennbaren Gesetzeszweck dazu dienen, die Einhaltung der Pass- und Visumpflicht in jedem Einzelfall sicherzustellen. Die Beförderungsunternehmer sind für die von ihnen nach Deutschland gebrachten Passagiere verantwortlich und werden durch die behördlichen Maßnahmen dazu angehalten, wirksame Kontrollen einzuführen und damit zugleich die Verpflichtungen aus ihrer luftverkehrsrechtlichen Betriebsgenehmigung zu erfüllen (vgl. das Urteil des Senats vom 7. September 1999 BVerwG 1 C 9.99 - a.a.O. und den Beschluss vom 21. Juni 2000 - BVerwG 1 B 34.00 -). Dadurch wird dem Beförderungsunternehmer kein unzumutbares oder unerfüllbares Verhalten angesonnen.

Sowohl die unmittelbar kraft Gesetzes nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AuslG bestehende Pflicht des Beförderungsunternehmers, "Ausländer auf dem Luft- oder Seeweg nur in das Bundesgebiet <zu> befördern, wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes und eines erforderlichen Visums sind, das sie aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit benötigen", als auch das im Einzelfall konkretisierte Verbot nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG, Ausländer "dem Abs. 1 Satz 1 zuwider in das Bundesgebiet zu befördern" sind ohne weiteres dahin zu verstehen, dass den Beförderungsunternehmer eine nach objektiven Maßstäben bemessene Verpflichtung trifft, Verstöße gegen die Einreisebestimmungen soweit wie irgend möglich zu vermeiden. Dabei überlässt es der Gesetzgeber sowohl nach § 74 Abs. 1 Satz 1 als auch nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG dem einzelnen Beförderungsunternehmer auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln er seinen Pflichten nachkommt (zur hinreichenden Bestimmtheit von nicht weiter umschriebenen Unterlassungspflichten vgl. auch BVerfG, Kammer-Beschluss vom 28. Mai 1996 - 1 BvR 927/91 - NJW 1996, 2567 unter II.2.a). Rechtlich oder tatsächlich unerfüllbare Anforderungen treffen den Beförderungsunternehmer dabei von Gesetzes wegen nicht, auch wenn insbesondere über Art und Umfang effizienter Köntrollmaßnahmen unterschiedliche Auffassungen bestehen können. Das entspricht nach dem Vortrag der Beklagten auch ihrer Auffassung und Praxis. Sollten im Einzelfall gleichwohl unzulässige oder unzumutbar überspannte, mit dem Gesetzeszweck unvereinbare Anforderungen an die Beachtung des Verbots nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG gestellt werden, so kann der Beförderungsunternehmer Rechtsschutz gegen die Zwangsgeldfestsetzung wegen einzelner Verstöße in Anspruch nehmen. Erst und nur in diesen Verfahren besteht gegebenenfalls Anlass zur Überprüfung, ob die Verletzung der Pass- und Visumpflicht im Einzelfall dem Beförderungsunternehmer vollstreckungsrechtlich zuzurechnen ist.

Dabei ist grundsätzlich - wie generell im Verwaltungsvollstreckungsrecht - kein Verschulden des Beförderungsunternehmers erforderlich. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur zivilrechtlichen Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, auf die sich die Klägerin in der Revisionsverhandlung berufen hat, das rechtsstaatliche Schuldprinzip bei der Verhängung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft anzuwenden ist, beruht dies auf deren auch strafähnlicher Wirkung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1991 - 1 BvR 1443/87 - BVerfGE 84, 82 87 ff.>; vgl. auch BVerfG, Kammer-Beschluss vom 28. Mai 1996 - 1 BvR 927/9, NJW 1996, 2567 zu § 888 ZPO). Das ist jedenfalls auf das Zwangsgeld zur Durchsetzung eines Beförderungsverbots nach § 74 Abs. 2 AuslG i. V.m. §§ 6 ff. VwVG nicht übertragbar.

Nach diesen Grundsätzen kann die angegriffene Zwangsgeldandrohung von vornherein nicht an dem Inhalt eines - wie hier - nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG erlassenen Beförderungsverbots scheitern. Auf den Umstand, dass das Beförderungsverbot im vorliegenden Falle bestandskräftig geworden ist, kommt es insoweit nicht an.

Von dem ihr nach § 74 Abs. 2 Satz l Nr. 2 AuslG eröffneten Ermessen hat die Beklagte für den hier maßgeblichen Zeitraum - bis Ende 1996 - rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Insbesondere verstößt die Zwangsgeldandrohung nicht gegen den vollstreckungsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da § 9 Abs. 2 VwVG eine einfachrechtliche Ausprägung dieses Grundsatzes enthält, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 2 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip.

Soweit sich die Klägerin gegen die - gegenüber der vorherigen Zwangsgeldandrohung in der Verfügung vom 17. Dezember 1991 um 1.000 DM erhöhten - Androhung des Zwangsgeldes von nunmehr 3.000 DM wendet, hat das Berufungsgericht zum einen berücksichtigt, dass sich die Androhung in dieser Höhe noch unterhalb des Mittelwerts des gesetzlichen Rahmens zwischen 2.000 und 5.000 DM hält (vgl. § 74 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung; seit 1.Januar 2002 zwischen 1.000 € und 2.500 €). Zum anderen hat das Berufungsgericht die Anhebung deshalb für rechtmäßig gehalten, weil die Klägerin ungeachtet der schon in der Vergangenheit wiederholt erhobenen entsprechenden Vorhalte nach wie vor - jedenfalls soweit es die Jahre 1994 bis 1996 betrifft - in nicht unerheblicher bzw. sogar steigender Zahl unerlaubt Passagiere in die Bundesrepublik befördert," und "dass es sich hierbei auch um vorwerfbare Vorfälle gehandelt" habe. Das ist nicht zu beanstanden.

Im Übrigen rechtfertigt grundsätzlich jede fortgesetzte Missachtung eines Beförderungsverbots dessen (präventive) Durchsetzung mit einem sich steigernden Zwangsgeld innerhalb des gesetzlich bestimmten Rahmens.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ferner einwendet, nur bei einem signifikanten Ansteigen der Verstöße im Verhältnis zu den gestiegenen Beförderungszahlen (allein zwischen 1994 und 1997 habe eine Verdoppelung des Beförderungsaufkommens vorgelegen), hätte ein erhöhtes Zwangsgeld angedroht werden dürfen, führt auch dies nicht auf einen Ermessensfehler.

Die Klägerin verkennt vielmehr, dass sowohl das Beförderungsverbot als auch die Androhung, Festsetzung und Vollstreckung von Zwangsgeldern nach dem Gesetzeszweck gerade dazu dienen sollen, die Beförderungsunternehmer zur Einhaltung der Pass- und Visumpflicht durch ihre Passagiere in jedem Einzelfall anzuhalten. Damit wäre es unvereinbar, wenn die Beklagte fortgesetzte Verstöße gegen das Beförderungsverbot mit Rücksicht auf gestiegene Beförderungszahlen nicht mehr zum Anlass eines verschärften Vorgehens nehmen dürfte.

Die Zwangsgeldandrohung ist auch nicht etwa deshalb ermessensfehlerhaft, weil der Klägerin ein unzumutbares oder unerfüllbares Verhalten angesonnen wird oder weil die Androhung wie sie behauptet -eine "erdrosselnde" Wirkung hat. Sowohl das gesetzliche als auch das durch Verwaltungsakt konkretisierte unselbständige Beförderungsverbot sind - wie oben bereits ausgeführt - so auszulegen, dass keine objektiv unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Die Zwangsgeldandrohung bezieht sich nur auf Verstöße gegen das so verstandene Beförderungsverbot, also auf Handlungen oder Unterlassungen, die bei gesetzeskonformer Auslegung des Verbots objektiv rechtswidrig erscheinen.

Die Revision wendet weiter ein, die angegriffene Zwangsgeldandrohung verstoße gegen das sog.Kumulationsverbot in § 13 Abs. 3 Satz 2 VwVG. Nach dieser Vorschrift sind die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl

zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält", unzulässig.

Die Revision vertritt hierzu die Auffassung, dass die in der Verfügung der Beklagten vorgenommene Androhung des Zwangsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung, nämlich für jeden entgegen dem Beförderungsverbot ohne ausreichende Einreisepapiere ins Bundesgebiet beförderten Ausländer, eine von § 13 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 VwVG untersagte Kumulation von Zwangsmitteln darstelle. Sie übersieht dabei, dass nach der speziellen und ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 74 Abs. 2 AuslG ein Zwangsgeld "für jeden Ausländer", der verbotswidrig befördert wird" anzudrohen ist. Nichts anderes hat die Beklagte hier verfügt (zur Unzulässigkeit einer Zwangsgeldandrohung für jeden Fall der Zuwiderhandlung ohne besondere gesetzliche Ermächtigung vgl. die Entscheidung des Senats vom 26. Juni 1997, - BVerwG 1 Al-O/95 - Buchholz 452.00 § 93 VAG Nr. 1 = NVwZ

1998, 393). Fehl geht auch der zusätzliche Einwand der Revision für jeden Fall der Zuwiderhandlung müsse eine erneute Androhung erfolgen; das sieht § 74 Abs. 2 AuslG nicht vor.

Eine ganz andere Frage ist, ob die Beklagte befugt war, wegen zahlreicher Verstöße Zwangsgelder festzusetzen, ohne diese jemals beizutreiben. Die Revision macht hierzu geltend, ein solches Ansammeln von Zwangsgeldern sei unverhältnismäßig.

Der Senat kann offen lassen, wie das - auch in der Vergangenheit und gegenüber anderen Fluggesellschaften praktizierte Ansammeln von Festsetzungsbescheiden ohne Beitreibungsversuch vollstreckungsrechtlich zu bewerten ist, namentlich ob das Übermaßverbot und der strikte Beugecharakter des Zwangsgeldes nach § 74 Abs. 2 AuslG eine in angemessenen Abschnitten gestufte Vollziehung durch Beitreibung erfordern, auch um auszuschließen, dass die Vollstreckung des Gesamtbetrages nach längerer Zeit in eine strafähnliche Sanktionswirkung umschlägt (vgl. aber auch Beschluss vom 30. November 1994 - BVerwG 4 B 243/94 - Buchholz 31.0 § 80 VwGO Nr. 59 = DÖV 1995, 384 und generell für die Zulässigkeit auch der rein repressiven Vollstreckung bei Unterlassungspflichten zuletzt etwa OVG Saarlouis, Urteil vom 27. November 2001 - 2 R 9/00 - DÖV 2003, 167 m.w.N.). Hierauf kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an.

Das gilt ebenso für die Rüge der Klägerin, die angegriffene erneute Zwangsgeldandrohung von 1994 habe nicht erlassen werden dürfen, weil und bevor die aufgrund des früheren Beförderungsverbots von 1991 festgesetzten Zwangsgelder nicht beigetrieben worden seien. Der Klägerin konnte und kann hieraus kein rechtlich erheblicher Nachteil erwachsen, weil die nachträgliche Beitreibung von Zwangsgeldern wegen der Verletzung eines durch eine neue Verfügung ersetzten (oder sonst gegenstandslos gewordenen) Beförderungsverbots unzulässig ist .

Das ergibt sich aus der ausschließlich präventiven Funktion des Zwangsgeldes als Beugemittel zur Durchsetzung von Beförderungsverboten nach § 74 Abs. 2 AuslG. Wird das Beförderungsverbot - wie hier durch den Erlass einer neuen Verfügung nach § 74 Abs. 2 AuslG in April 2000 gegenstandslos, entfällt der "Titel", dessen Einhaltung und Erfüllung im Wege des Verwaltungszwangs das Zwangsgeld - präventiv - mit Wirkung für die Zukunft erzwingen soll. Eine Vollstreckung bereits festgesetzter Zwangsgelder kann dann keine Beugewirkung mehr entfalten.

Sie wäre nur noch eine nach § 74 Abs. 2 AuslG unzulässige (strafähnliche) Sanktion vergangener Rechtsverstöße; außerdem dürfte sie zugleich - was hier indes keiner abschließenden Entscheidung bedarf - unverhältnismäßig sein.