VG Halle

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Zitieren als:
VG Halle, Beschluss vom 10.11.1998 - B 1 K 388/98 - asyl.net: M3673
https://www.asyl.net/rsdb/M3673
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Vietnamesen, Aufenthaltsbefugnis, Verlängerung, Ausweisung, Straftäter, unerlaubter Aufenthalt, Steuerhehlerei, Ermessen, Sofortvollzug, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AuslG § 45 Abs. 1; AuslG § 46 Nr. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alternative VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs im Falle des Abs. 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen.

Die Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Denn die Ausweisungsverfügung erweist sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung zwar als rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist aber unverhältnismäßig.

Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 AuslG. Danach kann nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Dies ist hier der Fall.

Denn der Antragsteller hat mehrfach gegen deutsche Strafgesetze verstoßen. Er ist wegen illegalen Aufenthaltes und wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in neun Fällen rechtskräftig verurteilt worden. Diese vorsätzlichen Verstöße gegen Rechtsvorschriften sind nach Überzeugung der Kammer nicht mehr als geringfügig einzustufen, zumal der Antragsteller insoweit zu insgesamt 190 Tagessätzen verurteilt worden ist.

Dem Antragsgegner ist auch kein Ermessensfehler unterlaufen.

Das Ermessen der Ausländerbehörde wird durch § 45 Abs. 2 AuslG näher geregelt. Danach sind bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen: die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben und die in § 55 Abs. 2 AuslG genannten Duldungsgründe. Diesen Anforderungen wird der Ausweisungsbescheid gerecht. Die Dauer des Aufenthaltes des Antragstellers wurde in die Ermessensentscheidung ebenso einbezogen wie das Fehlen besonderer sozialer und enger familiärer Bindungen im Bundesgebiet.

Die Kammer hat auch erwogen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgrund des längeren Zurückliegens der Straftaten gewahrt ist. Dies ist der Fall. Die letztmalige Verurteilung erfolgte am 08. Juli 1997. Dieses Urteil ist seit dem 16. Juli 1997 rechtskräftig. Keine acht Monate später wurde die Ausweisungsverfügung erlassen. Dies stellt keinen längeren Zeitraum dar.

Auch der erstmals im vorliegenden Verfahren vorgebrachte Einwand des Antragstellers, er habe sich in dem Strafverfahren gegen ihn wegen Steuerhehlerei in neun Fällen nur geständig gezeigt, weil er bei Offenlegung der wirklichen Straftäter erhebliche Nachteile für seine körperliche Unversehrtheit befürchtet habe, läßt keine andere Entscheidung zu. Zwar hat das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auch Änderungen der Sach- und Rechtslage vom Ergehen der behördlichen Anordnung bis zur gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen, denn das Gericht nimmt in diesem Verfahren eine Interessenabwägung und nicht nur eine etwa reine Rechtmäßigkeitskontrolle vor, das heißt, das Gericht hat darüber zu befinden, ob jetzt, also im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, ein öffentliches oder überwiegendes privates Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht und nicht etwa, ob es früher einmal bestanden hat.

Die Angaben des Antragstellers und der Inhalt des Strafurteils werfen keine ernstlichen Zweifel des Gerichts an der Richtigkeit des Strafurteils auf. Vielmehr sind die Angaben des Antragstellers als bloße Schutzbehauptung zu werten. Daß auf den Antragsteller seitens anderer vietnamesischer Staatsangehöriger erheblicher Druck ausgeübt werde, wofür ein Zeuge angeboten wird, erklärt nicht, weshalb der Antragsteller im Strafverfahren geständig war und nicht - ohne "Offenlegung der wirklichen Straftäter"- schlicht geschwiegen hat. Zudem beruht das Urteil des Amtsgerichts Halle-Saalkreis vom 08. Juli 1997 auch auf der uneidlichen Aussage des Zeugen B.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist aber unverhältnismäßig. Sie entspricht zwar den formellen Anforderungen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO enthält nur ein formelles Begründungsgebot, dem die Behörde nachgekommen ist. Unerheblich ist hierbei, ob die gegebene Begründung die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu tragen vermag. Die Begründung ist auch nicht lediglich formelhaft. Vielmehr stellt der Antragsgegner auf die Gefahr der Wiederholung von Straftaten durch den Antragsteller ab, die nicht vollends auszuschließen sei. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehung muß aber materiell ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Es muß die begründete Gefahr bestehen, die von dem Ausländer ausgehende, mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich bis zum Schluß des Verfahrens realisieren; der allgemeine Verdacht einer Beeinträchtigung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland genügt nicht (vgl. BVerfG, Beschluß vom 12.09.1995 - 1 BvR 1179/95 - InfAuslR 1995, 397 <401>). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, daß beim Antragsteller die konkrete Gefahr weiterer erheblicher Verstöße gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland besteht, sind nicht ersichtlich. Auch der Antragsgegner hat in der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dargelegt, daß derzeit keine aktuellen Erkenntnisse über Straftaten vorlägen. Eine Wiederholungsgefahr sei lediglich nicht vollends auszuschließen. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß die vom Antragsteller begangenen Straftaten bereits länger als sieben Jahre zurückliegen, ohne daß der Antragsteller seither auffällig geworden.