VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Beschluss vom 09.04.2003 - 4 B 46/03 - asyl.net: M3713
https://www.asyl.net/rsdb/M3713
Leitsatz:

Leistungen nach § 2 AsylbLG für ethnische Minderheiten aus dem Kosovo; der Abschiebung stehen humanitäre Gründe entgegen.

 

Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Kosovo, Roma, Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialhilfe, Duldung, Abschiebungshindernis, Freiwillige Ausreise, Humanitäre Gründe, Situation bei Rückkehr, Übergriffe, Sicherheitslage, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, Abschiebung, UNMIK, Zustimmung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung
Normen: AsylbLG § 2; VwGO § 123
Auszüge:

Leistungen nach § 2 AsylbLG für ethnische Minderheiten aus dem Kosovo; der Abschiebung stehen humanitäre Gründe entgegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Antragsteller können weiter die Gewährung von Leistungen auf der Grundlage des § 2 AsylbLG verlangen. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 - 7 das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.

Hier stehen der freiwilligen Ausreise und der Abschiebung der Antragsteller in ihre Heimat humanitäre Gründe entgegen. Humanitäre und persönliche Gründe im Sinne des § 2 AsylbLG sind solche, die noch nicht das Gewicht haben, um aus Rechtsgründen einer Ausreise und Abschiebung entgegenzustehen, die aber geeignet sind, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer an sich zulässigen Aufenthaltsbeendigung zu überwiegen (NdsOVG, Beschl. v. 27.3.2001 -12 MA 1012/01 -). Humanitäre Gründe sind dabei Umstände, die sowohl eine freiwillige Ausreise als auch die sofortige Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen vorübergehend als unmenschlich erscheinen lassen (GK - AsylbLG, § 2 Rn. 33).

Solche Gründe liegen hier wegen der Volkszugehörigkeit der Antragsteller (derzeit noch) vor. Zwar sind die schweren Übergriffe auf Angehörige der Minderheitenethnien zu denen es im Kosovo nach dem im Juni 1999 erfolgten Abzug der jugoslawischen und serbischen Truppen gekommen ist, mittlerweile zurückgegangen. Die Sicherheitslage und die Gesamtsituation der Gemeinschaften von Roma, Ashkali und Ägyptern hat sich in den letzten Jahren verbessert. Es kann in vielen Regionen von einer stabilisierten Sicherheitslage gesprochen werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. 11. 2002; UNHCR/OSCE: "Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo für den Zeitraum von September 2001 bis April 2002"; Presseerklärung vom 30.5.2002; UNHCR, Bericht vom Oktober 2001: "Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo"; Auskunft an das VG Kassel vom 26. 10.2001; Bericht vom Januar 2003: "Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo"; Bericht vom Januar 2OO3:"Update on the Situation of Roma, Ashkaelia, Egyptian, Bosniak and Gorani in Kosovo"; Schweizer Flüchtlingshilfe, Bericht v. 25.4.2002 "Minderheiten aus Kosova", Bericht vom 16.4.2002 "Kosova - Situation der Minderheiten"). Für die Volksgruppe der Ashkali stellt die Informationsstelle der deutschen Caritas und Diakonie in ihrer Auskunft vom 6. September 2002 an das BayVG Würzburg sogar fest, ihre Situation sei (mit Ausnahme von Prishtina) weitgehend als ungefährlich zu bezeichnen. Im Falle ihrer Rückkehr besteht für Angehörige von Roma und Ashkali deswegen keine extreme Gefahrenlage, die die Annahme eines Abschiebungshindernisses in entsprechender Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen könnte, rechtliche Gründe stehen ihrer freiwilligen Ausreise und Abschiebung nicht entgegen.

Dennoch kann ihnen derzeit eine Ausreise unter humanitären Gesichtspunkten noch nicht zugemutet werden. Den soeben genannten Berichten ist zu entnehmen, dass es noch immer zu Übergriffen auf Angehörige von Roma kommt, die - je nach Ort - in Schwere und Häufigkeit unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Gesamtsituation wird noch nicht als stabil angesehen (hierzu auch UNHCR, "Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo" Berichte v. April 2002 und vom Januar 2003, Bericht vom Januar 2003:"Update on the Situation of Roma, Ashkaelia, Egyptian, Bosniak and Gorani In Kosovo"; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.11.2002). Dabei ist eine freiwillige Ausreise nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen durchaus nicht in jedem Fall ausgeschlossen, was sich auch darin zeigt, dass im Jahr 2000 insgesamt 1.200 Roma freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt sind (Bericht des Ländervertreters über die Tagung der Arbeitsgruppe Eurasil der Europäischen Union über die Sitzung am 25. und 26. Februar 2003 vom 18. März 2003). Die Rückkehr ist aber nach den vorliegenden Erkenntnismitteln derzeit selbst in Regionen noch sehr problematisch, in denen es im Hinblick auf die Gefahr von Übergriffen zu einer erheblichen Verbesserung gekommen ist ( z.B. Peje, Prizren. Rahovec, mit Ausnahme von Suhareke), weil die Unterkünfte knapp sind und auch die übrigen ökonomischen Bedingungen eine weitere Aufnahme von rückkehrenden Roma nicht mehr uneingeschränkt zulassen (UNHCR, Bericht vom Januar 2003:"Update on the Situation of Roma, Ashkaelia, Egyptian, Bosniak and Gorani In Kosovo").

Personen, die den Minderheitengruppen Roma, Ashkali und Ägypter angehören, sollten deswegen nicht zu einer Rückkehr in den Kosovo gezwungen oder veranlasst werden (zum Vorstehenden: UNHCR, "Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo", vom Januar 2003). Als Folge dieser Position stimmt die UNMIK einer Rückführung von Angehörigen von Minderheiten in den Kosovo nicht zu, so dass auch Abschiebungen nicht erfolgen (Nds Innenministerium, Erlass v. 6.1.2002, - richtig 2003).