VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - asyl.net: M3719
https://www.asyl.net/rsdb/M3719
Leitsatz:

Von einem hohen Funktionär des verbotenen Kalifatsstaats (hier: Gebietsemir), der eine innere und äußere Abkehr von den unter den Anhängern des Kalifatsstaats auch nach dem Verbot verfolgten Zielen nicht nach außen glaubhaft und überzeugend deutlich macht, geht eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Regelausweisungstatbestands nach § 47 Abs. 2 Nr. 4 in Verb. mit § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG i.d.F. vom 9.1.2002 aus. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Türken, Aufenthaltsberechtigung, Ausweisung, Kalifatsstaat, Gebietsemir, Islamisches Zentrum Winnenenden und Umgebung e.V., Vereinsverbot, Terrorismus, Regelausweisung, Besonderer Ausweisungsschutz, Schutz von Ehe und Familie, Freiheitlich Demokratische Grundordnung, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Sofortvollzug, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 4; AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 5; AuslG § 48 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 6;
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Wie das Verwaltungsgericht ist der Senat bei der hier gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Auffassung, dass sich die angegriffene Ausweisungsverfügung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird und die privaten Belange des Antragstellers es nicht gebieten, ihn gleichwohl von den Wirkungen dieser Verfügung einstweilen freizustellen.

Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 47 Abs. 2 Nr.4 in Verb. mit § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG i.d.F. vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361). Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Versagungsgrundes gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten dürfte. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer u.a. dann keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

Die Voraussetzungen dieses durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9.1.2002 neu geschaffenen Regelausweisungstatbestandes dürften vorliegen.

Vom Antragsteller, der dem Kalifatstaat als Gebietsemir (...) bis zum Verbot dieser Vereinigung angehörte, dürfte sowohl eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung als auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehen.

Das Bundesverwaltungsgericht, das das Verbot des Bundesministeriums des

Innern am 8.12.2001 durch Urteil vom 27.11.2002 (6 A 4.02) bestätigt hat, hat festgestellt, dass sich der Kalifatsstaat gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundelemente der verfassungsmäßigen Ordnung richtet und dass er sein Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben, in kämpferisch-aggressiver Weise verfolgt und sich die Religionsgemeinschaft außerdem gegen den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Menschenwürde richtet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass der Kalifatsstaat die Demokratie und die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes ablehnt. Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung sei nach seinem Selbstverständnis ausschließlich der Wille Allahs. Außerhalb der islamischen Religion könne es keinen Staat geben. Der Kalifatsstaat verstehe sich in diesem Sinne als real existierender Staat mit eigener Staatsgewalt. Das Gewaltmonopol der Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland werde folglich nicht anerkannt.

Die vom Kalifatsstaat ausgehende Gefahr dürfte, wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar ausgeführt hat, durch das vereinsrechtliche Verbot nicht beseitigt worden sein. Die in der angegriffenen Ausweisungsverfügung wiedergegebenen Publikationen belegen vielmehr das Gegenteil. Auch die von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Publikationen sprechen dafür, dass der Kalifatsstaat seine Agitation und Propaganda weiterhin fortsetzt und nach wie vor an seinen Zielen festhält.

Der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe nicht dargelegt, was er persönlich mit der Erstellung oder Verteilung dieser Publikationen zu tun habe, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich. Die Antragsgegnerin hat nicht behauptet, dass er die Publikationen vertreibe; vielmehr hat sie diese nur als Beleg dafür angeführt, dass die oben beschriebenen Ziele des Kalifatsstaats unter seinen Anhängern auch nach dem Verbot weiterverfolgt werden.

Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht dürften auch zutreffend angenommen haben, dass sich diese Gefahr in der Person des Antragstellers konkretisiert. Hat ein Ausländer einer Vereinigung bis zu ihrem Verbot angehört, so folgt daraus allerdings noch nicht ohne weiteres, dass er den oben genannten Ausweisungstatbestand erfüllt. Denn das Vereinsverbot stellt auf die gefährliche Zielsetzung der Organisation der Vereinigung ab und setzt im Sinne des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts eine konkrete Gefahr für die Sicherheit des Staates nicht voraus. Nach § 47 Abs. 2 Nr. 4 in Verb. mit § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG muss der Ausländer aber selbst eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland in dem oben erläuterten Sinne darstellen. Der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der Sicherheit oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland muss sich in seiner Person konkretisiert haben (BVerwGE 62, 36 ff.). Ob eine derartige Gefährdung vorliegt, ist unter Rückgriff auf den im allgemeinen Polizeirecht entwickelten Gefahrenbegriff zu bestimmen. Danach genügen reine Vermutungen nicht. Vielmehr muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ist nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu differenzieren: Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, um so geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. In Fällen, in denen - wie hier - besonders hochwertige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, kann daher auch schon eine entfernte Möglichkeit eines Schadens die begründete Befürchtung seines Eintritts auslösen (BVerwGE 62, 36 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.4.1996, InfAuslR 1996, 279 ff. m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass die genannte Gefahr nicht allein aus der Zugehörigkeit des Antragstellers zu der verbotenen Vereinigung folgt, sondern dass im vorliegenden Fall besondere Umstände gegeben sind, aus denen sich ergibt, dass vom Antragsteller selbst nach wie vor eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland ausgeht. Der Antragsteller hatte bis zu dem Vereinsverbot als Gebietsemir von Baden-Württemberg eine herausragende Stellung innerhalb der Organisationsstruktur des verbotenen Kalifatsstaats inne. Zudem war er erster Vorsitzender einer ebenfalls verbotenen Teilorganisation. Er war damit nicht nur für die Teilorganisationen des Kalifatsstaats in (...) als oberster Befehlshaber zuständig, sondern, wie die Antragsgegnerin unwidersprochen vorgetragen hat, auch Bindeglied und Ansprechpartner zur Zentrale in (...). Aus den beim Antragsteller anlässlich der am (...) durchgeführten Hausdurchsuchung erhobenen Asservaten und aus seiner Funktion wird deutlich, dass er ein exponierter Repräsentant des Kalifatsstaats ist. Er hat in seiner überregionalen Funktion für die Organisation wesentliche Entscheidungen getroffen und von wichtigen Vorgängen unmittelbar Kenntnis erhalten. In seiner weiteren Funktion als (...) des verbotenen Islamischen Zentrums in (...) war er maßgeblich für die Aktivitäten dieses Zentrums verantwortlich, die zur Einbeziehung in die Verbotsverfügung geführt haben. Diese enge Einbindung der Teilorganisation in die Gesamtorganisation ist im Wesentlichen auf seine Person und seine hervorgehobene Stellung als Vorsitzender und Gebietsemir zurückzuführen. Durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation als aktiver Funktionär hat er das vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Gefährdungspotential mitgeschaffen.

Wer als Gebietsemir in der Lage ist, Mitglieder des Kalifatsstaats unter Einsatz religiös-rechtlicher Autorität zur Verwirklichung einer eigenen Staatsgewalt, auch unter Inkaufnahme von Gewaltanwendung aufzurufen, der muss eine innere und äußere Abkehr von den Zielen der verbotenen Vereinigung nach außen glaubhaft und überzeugend deutlich machen. Die Abkehr von der bislang zutage getretenen Überzeugung muss sich nach außen manifestieren und bedarf in diesem Fall besonderer Darlegungen. Diese ist der Antragsteller schuldig geblieben ist. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er sich nach dem Verbot von den Zielen des Kalifatsstaats, zu deren Weiterverfolgung die Mitglieder ungeachtet des Verbots aufgefordert werden, nach außen erkennbar distanziert hat und dass er für deren Eintritt - in welcher Position auch immer - nicht mehr zur Verfügung steht. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren geltend macht, dass das Islamische Zentrum (...), dessen (...) er war, seit der Verbotsverfügung nicht mehr existiert und er seither keine Vereinsfunktion mehr ausübt, ist dieser Umstand nicht ansatzweise geeignet, seine Loslösung von den Zielen des Kalifatsstaats zu belegen. Vielmehr ist dies lediglich eine rechtliche Konsequenz des rechtskräftig bestätigten Vereinsverbots. Es besteht daher die begründete Gefahr, dass er im Einklang mit der Propaganda zumindest faktisch - im Untergrund - weiter für die Ziele des Kalifatsstaats eintreten und auf Grund seiner Stellung und seines Bekanntheitsgrades als Ansprechpartner für Gleichgesinnte fungieren wird. Nach den - vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogenen - Erfahrungswerten der Verfassungsschutzbehörden arbeiten nach Verbotsfällen rd. ein Drittel der Mitglieder im Untergrund weiter. Gerade das Land Baden-Württemberg, und hier insbesondere auch Winnenden/Rems-Murr-Kreis, bildeten nach Einschätzung des Verfassungsschutzes einen Schwerpunkt des verbotenen Kalifatsstaats. Dies wird auch durch die Einbeziehung mehrerer Teilorganisationen in Baden Württemberg in die Verbotsverfügung belegt. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Gefahr, die von der Anwesenheit ehemaliger hochrangiger Funktionäre des Kalifatsstaats wie dem Antragsteller für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die innere Sicherheit ausgeht, angesichts dieser Erkenntnisse als äußerst konkret einschätzt. Eine Person, die ohne das Vertrauen der Zentrale in Köln, ohne enge Anbindung an diese, ohne gute Kenntnisse der finanziellen und organisatorischen Strukturen der Organisation und vor allem ohne eine uneingeschränkte Identifizierung mit den dargestellten Zielen des Kalifatsstaats in einer Funktion wie der des Gebietsemirs von (...) nicht hätte tätig sein können, stellt, wenn sie sich nicht in der gebotenen Weise nach außen erkennbar von der Zielsetzung des Kalifatsstaats distanziert hat, auch nach dem Verbot nach wie vor eine erhebliche konkrete Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland dar. Der Regelausweisungsgrund des § 47 Abs. 2 Nr.4 in Verb. mit

§ 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG dürfte damit erfüllt sein.

Da der Antragsteller eine Aufenthaltsberechtigung besitzt, liegen bei ihm, wie die Antragsgegnerin zutreffend erkannt hat, die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes gem. § 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG vor. Danach kann ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Schwerwiegende Gründe in diesem Sinne liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vor (§ 48 Abs. 1 S. 2 AuslG). Dies hat die Antragsgegnerin nicht verkannt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, da der Antragsteller bislang strafrechtlich im Sinne des § 47 Abs. 1 AuslG nicht in Erscheinung getreten ist. Daraus kann jedoch nicht im Wege des Umkehrschlusses abgeleitet werden, dass Regelausweisungstatbestände nach § 47 Abs. 2 AuslG keinen besonders schwerwiegenden Ausweisungsgrund darzustellen vermögen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 48 Rdnr. 21). Vielmehr können schwerwiegende Gründe auch dann vorliegen, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers ein deutliches Übergewicht hat (BVerwGE 81, 155, 158; 101,247 ff.). Wird - wie hier - die Ausweisung spezialpräventiv motiviert, so liegt nach der zu der bisherigen Fassung des

§ 48 Abs. 1 AuslG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei dem nach dieser Vorschrift besonderen Ausweisungsschutz genießenden Personenkreis ein schwerwiegender Grund nur unter folgenden Voraussetzungen vor: Zum einen muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten insbesondere aus der Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ernsthaft droht und damit von dem Ausländer eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Die Ausweisungsgründe sind mithin nicht bereits dann "schwerwiegend" im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG, wenn etwa lediglich eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen besteht (BVerwGE 101, 247 ff.). Mit der Änderung des Ausländergesetzes durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde ein neuer Regeltatbestand für eine Ausweisung im Fall einer Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit Deutschlands durch einen Ausländer geschaffen. Die Aufnahme des Versagungsgrundes des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG in die Aufzählung der Regelausweisungsgründe erfolgte auf Grund der aktuellen Bedrohungssituation und hebt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers den besonderen Gefährdungsgrad von Handlungen hervor, die die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gewaltbereiten Terrorismus fördern oder unterstützen. In seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus hat der Bundesrat ausgeführt, dass bereits der Verdacht der Unterstützung des Terrorismus zur Ausweisung führen müsse. Extremismus in der genannten Form habe im Rahmen einer wehrhaften Demokratie regelmäßig das Ende des Aufenthaltsrechts zur Folge. Es könne hier nicht so lange gewartet werden, bis Ermittlungen im Einzelfall zweifelsfrei ein Fehlverhalten nachweisen könnten, da das mit einem solchen Zuwarten verbundene Risiko für die Gesellschaft nicht tragbar sei (vgl. Pressemitteilungen des Bundesrats vom 30.11.2001).

Gegenüber § 46 Nr. 1 AuslG a.F. hat sich an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung - mit Ausnahme der Einbeziehung der Mitgliedschaft in einer internationalen terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung - nichts geändert. Jedoch ist auf der Rechtsfolgenseite durch die Heraufstufung von einer Ermessens- zu einer Regelausweisung eine gewichtige rechtliche Verschärfung eingetreten (vgl. auch Huber, Die Änderungen des Ausländer und Asylrechts durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz, NVwZ 2002, 787 ff., 790). Die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung und die Regelausweisung setzen weder vorherige strafrichterliche Feststellungen noch einen Bezug zum Terrorismus voraus; die Ausländerbehörden haben den Gefährdungstatbestand vielmehr selbständig und ohne Rücksicht auf einen terroristischen Hintergrund zu ermitteln und zu bewerten (vgl. Renner, Terrorismusbekämpfung und Schutzsuchende, ZAR 2003, 52 ff., 58). Der Gesetzgeber hat mit dieser Neuregelung zu erkennen gegeben, dass er den elementaren Schutzgütern der Bundesrepublik eine hohe Bedeutung beimisst, so dass bei ihrer Verletzung oder Gefährdung das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers regelmäßig ein deutliches Übergewicht zukommt.

Unter Heranziehung dieser Maßstäbe stellt auch nach Auffassung des Senats die Tätigkeit des Antragstellers als Gebietsemir des verbotenen Kalifatsstaats und als örtlicher Vereinsvorsitzender des Islamischen Zentrums, gemessen am Ausweisungszweck des Schutzes der Bundesrepublik und seiner Verfassungsordnung, einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass dar.

Es wird dabei nicht verkannt, dass es sich bei dem verbotenen Kalifatsstaat nicht um eine terroristische Vereinigung im Sinne von § 129 a StGB handelt. Jedoch geht auch vom Kalifatsstaat, der seine Ziele auf aggressiv-kämpferische Weise verfolgt, nicht nur eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch eine Gefahr für deren Sicherheit aus.

Es besteht auch nicht lediglich die entfernte Möglichkeit weiterer Störungen, vielmehr liegt eine konkrete Gefahr vor, dass der Antragsteller für die Ziele des Kalifatsstaats auch nach dem Verbot in zentraler Stellung weiter eintritt. Es liegen hinreichend eindeutige Erkenntnisse vor, aus denen die Antragsgegnerin auf ein dem Antragsteller individuell zurechenbares sicherheitsgefährdendes Verhalten schließen darf. Dies hat die Antragsgegnerin im Einzelnen dargelegt, weshalb der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Ausweisungsverfügung vom 20.11.2002 verweist (§ 117 Abs. 5 in Verb. mit § 125 Abs. 1 VwGO).

Über die Ausweisung des Antragstellers war danach nach Ermessen zu entscheiden (§ 47 Abs. 3 S. 2 AuslG). Die Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde dürfte keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Die Antragsgegnerin dürfte alle relevanten Umstände (vgl. § 45 Abs. 2 AuslG) in ihre Erwägungen eingestellt und zutreffend gewürdigt haben. Insbesondere hat sie die schutzwürdigen persönlichen, familiären, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen sowie den langen rechtmäßigen Aufenthalt des Antragstellers berücksichtigt. Die Antragsgegnerin hat ferner bei der Entscheidung über die Ausweisung die in § 55 Abs. 2 AuslG genannten Duldungsgründe geprüft (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG). Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller in der Türkei die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung drohen könnte, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin rechtlich zutreffend darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses eine Duldung zu erteilen wäre, dies einer Auswei- sung nicht von vornherein entgegenstünde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.9.2001, InfAuslR 2002, 26 ff.).

Auch wenn sich der Antragsteller auf Grund seiner langjährigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet auf Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und zusätzlich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann und deshalb auf Grund von Art. 14 ARB 1/80 nur nach Maßgabe der für Unionsbürger geltenden Grundsätze ausgewiesen werden dürfte, entspricht die Ausweisung aus den oben dargelegten Gründen auch den danach zu stellenden gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen, insbesondere liegt eine im persönlichen Verhalten des Antragstellers begründete tatsächliche und hinreichend schwere konkrete Gefahr vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.4.1996, aaO, m.w.N.).

Schließlich dürfte die Ausweisung auch nicht mit Blick auf den nach Art. 6 Abs.1 GG, Art. 8 EMRK gebotenen Schutz der Familie des Antragstellers unverhältnismäßig sein. Insbesondere ist die Ausweisung nicht nach Art. 8 EMRK schlechthin untersagt, sondern lediglich an die Voraussetzungen geknüpft, dass dies nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ziel und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.8.1995, InfAuslR 1995, 393, 394). Im vorliegenden Fall dürfte die Ausweisung einen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens darstellen, der gesetzlich vorgesehen ist und der zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland notwendig ist.

Es besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung, das über das öffentliche Interesse hinausgeht, das diese Maßnahme als solche rechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 12.9.1995, NVwZ 1996, 58 ff.) bedarf es in den Fällen, in denen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf spezialpräventive Gesichtspunkte gestützt werden soll, der Feststellung begründeter Anhaltspunkte, dass - unter Berücksichtigung der Pflicht der Widerspruchsbehörde und der Verwaltungsgerichte, das Hauptsacheverfahren beschleunigt zu betreiben - die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr in der Zeitspanne bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens besteht. Außerdem müssen die für diesen Zeitraum festzustellenden Gefahren für die Belange der Bundesrepublik Deutschland von solchem Gewicht sein, dass sie schutzwürdige Interessen des Ausländers an der Erhaltung des Suspensiveffekts überwiegen. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Senats gegeben. In der Person des Antragstellers besteht die begründete Gefahr, dass er auch während des Laufs des von ihm betriebenen Verfahrens gegen die Ausweisung für die Ziele des verbotenen Kalifatsstaats in zentraler Stellung eintreten und damit gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verstoßen wird. Es sind keine Umstände dafür erkennbar, dass er jedenfalls in der Zeitspanne bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens das Verbot des Kalifatsstaats beachten wird.