OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 02.07.2003 - 2 LA 172/02 - asyl.net: M3831
https://www.asyl.net/rsdb/M3831
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen, unter denen die Veröffentlichung regimekritischer Artikel im Internet bei Rückkehr nach Syrien die Gefahr politischer Verfolgung begründet.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Syrien, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Publikationen, Internet, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Beweisantrag, Sachverständigengutachten, Ablehnung, Rechtliches Gehör, eigene Sachkunde, Beweiswürdigung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103
Auszüge:

Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

Die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) greifen nicht durch.

Zu Unrecht rügt der Kläger als Verletzung des rechtlichen Gehörs, das Verwaltungsgericht habe dadurch den Grundsatz des rechtlichen Gehors verletzt, dass es unter Hinweis auf die eigene Sachkunde seinen Antrag abgelehnt habe, durch Einholung eines Sachverständigengutachten des Deutschen Orient-Instituts Beweis darüber zu erheben, dass er infolge der Veröffentlichung eines mit seinem Namen gekennzeichneten regimekritischen Artikels im Internet bei Rückkehr nach Syrien mit Verfolgung rechnen müsse.

Die Ablehnung eines Beweisantrages, der auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichtet ist, mit der Begründung, das Gericht habe eine ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der entscheidungserheblichen Tatsachenfragen, gehört zu den Ablehnungsgründen, die ihrer Art nach im Prozessrecht anerkannt sind (BVerwG, Urt. v. 20.03.1990 - 9 C 91.89 -, BVerwGE 85, 92, 94 ff.;GK-AsylVfG, § 78 RdNr; 380 ff., m.w.N.). Diese Entscheidung beruht im vorliegenden Fall auch nicht auf einer willkürlichen Werteinschätzung des Verwaltungsgerichts, die das Berufungsgericht berechtigen würde, sein eigenes richterliches Ermessen an die Stelle desjenigen des Verwaltungsgerichts zu setzen (vgl. zu dieser Kennzeichnung einer schlechthin unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrages den Senatsbeschluss v. 23.02.2000, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Beurteilung, ob die exilpolitische Tätigkeit des Klägers innerhalb des Rahmens einer asylrechtlich nicht relevanten untergeordneten Betätigung bleibe, auf verschiedene Auskünfte sachkundiger Stellen und auf gerichtliche Entscheidungen gestützt und hieraus seine Sachkunde abgeleitet (vgl. S. 4, 5, 6 UA).

Soweit der Kläger bemängelt, die genannten Erkenntnismittel enthielten keine Stellungnahme zu der speziellen Frage der Gefährdung durch Veröffentlichungen im Internet, macht er der Sache nach nicht einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs geltend; vielmehr rügt er die - nicht fern liegende - Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, das aus den verwerteten Erkenntnismitteln auch Anhaltspunkte für die Beurteilung von Veröffentlichungen im Internet entnimmt. Mit derartigen Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht erfolgreich geltend gemacht werden; denn eventuelle Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts sind nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.11.1995 - BVerwG 9 B 110.94 -, DVBI. 1996,108).

Der Kläger kann die Zulassung der Berufung auch nicht unter Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verlangen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzlich Bedeutung, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die vom Kläger zur Prüfung gestellte Frage, ob "Syrer, die regimekritische Texte im Internet in arabischer Sprache veröffentlichen, im Falle der Rückkehr nach Syrien mit politischer Verfolgung zu rechnen haben," erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Dass auch Veröffentlichungen im Internet geeignet sein können, die Gefahr einer politischen Verfolgung bei Rückkehr nach Syrien zu begründen, bedarf keiner Prüfung in einem Berufungsverfahren, sondern ist als geklärt anzusehen, soweit dies fallübergreifend möglich ist. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass Internet-Veröffentlichungen nach Syrien hineinwirken können und dass eine staatliche Überwachung des Internets existiert (vgl. hierzu den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien v. 07.10.2002, S. 8, 9). Die Nutzung des Internets hat sich dort rasch ausgeweitet. So gibt es nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFIl vom Dezember 2002 (zitiert nach juris web Nr. SYR 00051098) allein in Damaskus mittlerweile über 300 Internet-Cafés. Zwar sind viele Webseiten gesperrt, die Sperrungen werden von den Internet-Cafés jedoch zumeist aufgehoben oder den Nutzern ist bekannt, wie sie diese umgehen können (vgl. Erkenntnisse des BAFl vom Dezember 2002, a.a.O.).

Bei dieser Ausgangslage beurteilt sich die Frage, ob eine Veröffentlichung im Internet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung begründet, nach dem Maßstab, der auch sonst für die Abgrenzung asylrechtlich relevanter von nicht relevanter exilpolitischer Aktivität bedeutsam ist (ebenso für die Situation in der Türkei bei Internet- Aktivitäten türkischer Asylbewerber VGH Mannheim, Urt. v. 27.07.2001 -A 12 S 228/99 -, S. 10, zitiert nach juris web). Es kommt hiernach darauf an, ob der Asylbewerber aus Sicht der syrischen Behörden wegen herausgehobener exilpolitischer Betätigung als gefährlicher Regimegegner eingeschätzt wird, etwa weil es sich bei seiner Tätigkeit um eine intensive, nicht vom Staat selbst gelenkte exilpolitische Betätigung an herausragender Stelle handelt (vgl. das Senatsurteil v. 27.05.2003 - 2 L 539/99 -; Senatsbeschluss v. 14.02.2001 - 2 LA 667/01, m.w.N.).

Ob diese Bedingungen gegeben sind, auch soweit es um exilpolitische Veröffentlichungen im Internet geht, ist jeweils eine Frage des Einzelfalls. Sie hängt etwa vom Inhalt des veröffentlichten Textes ab, von der Häufigkeit der Veröffentlichungen regimekritischen Inhalts, vom Bekanntheitsgrad des Autors als Regimegegner und Verfasser regimekritischer Veröffentlichungen; bedeutsam kann auch sein, ob die Veröffentlichung im Internet über sogenannte Links auf der Homepage von Organisationen besucht werden kann, die als regimefeindlich angesehen werden, mit der Folge, dass für den Verfasser aus Sicht der syrischen Stellen eine für ihn gefährliche Nähe zu diesen Organisationen entsteht (vgl. hierzu das Senatsurteil v. 27.05.2003, a.a.O., S. 21, 22 VA).

Die an diesen Kriterien orientierte Einzelfallprüfung ist einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich.