VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 16.05.2003 - 1 K 3502/02.A - asyl.net: M3878
https://www.asyl.net/rsdb/M3878
Leitsatz:

Gegen einen Feststellungsbescheid nach § 32 AsylVfG, dass das Asylverfahren durch Rücknahme des Asylantrags eingestellt ist, ist die Anfechtungsklage statthaft; daneben ist die Verpflichtungsklage auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG statthaft; die Rücknahme eines Asylantrages kann nur widerrufen werden, wenn der Widerruf dem BAFl vor oder gleichzeitig mit der Rücknahme zugeht; die Anfechtung der Rücknahme gem. §§ 119 ff. BGB analog ist nicht möglich außer in Fällen der arglistigen Täuschung, Drohung, unzulässigen Drucks oder unzulässiger oder falscher Belehrung.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Rücknahme, Asylantrag, Einstellung des Verfahrens, Widerruf, Anfechtung, Unzutreffende Belehrung, Ausländerbehörde, Klageart, Anfechtungsklage, Zulässigkeit, Durchentscheiden, Spruchreife, Abschiebungshindernis, Verpflichtungsklage
Normen: AsylVfG § 32; BGB § 130; BGB § 119 ff.; VwGO § 92 Abs. 2; AuslG § 53; AsylVfG § 5 Abs. 2
Auszüge:

Der Bescheid in Ziffer 1) stellt einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. In ihr ist ausgesprochen, dass das Asylverfahren der Klägerin gemäß § 32 AsylVfG eingestellt ist und somit von der zuständigen Behörde nicht fortgeführt wird mit der Folge, dass die Klägerin im Rahmen des eingeleiteten Verfahrens die erstrebte Asylanerkennung nicht erreichen kann. Die Wirkung des Bescheids erschöpft sich somit nicht nur in der verfahrensrechtlichen Folge der Einstellung des Asylverfahrens, sondern verschlechtert auch die materielle Rechtslage der Klägerin; ihr bisheriges Asylvorbringen führt infolge Beendigung des Verfahrens nicht zur Asylgewährung und ist darüber hinaus im Falle eines neuen Asylantrags abgeschnitten, weil ein Folgeantrag, um den es sich gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem erneuten Asylverfahren führen kann. Ferner erlischt nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG die Aufenthaltsgestattung mit der Zustellung des Bescheids. In dieser der Bestandskraft fähigen deklaratorischen Feststellung, das Verfahren werde nicht zur Sache weiterbetrieben, liegt eine im Sinne von § 35 VwVfG regelnde Folge des Bescheids, die ihm Verwaltungsaktcharakter vermittelt und die materiellrechtliche Rechtsposition der Klägerin verschlechtert. Dass die Beklagte nur etwas feststellt, was sich ohnehin aus dem Gesetz ergibt, nimmt der Feststellung nicht den Charakter als Verwaltungsakt.

Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheids wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.

Die Anfechtungsklage ist auch nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von der Klägerin in erster Linie verfolgte Klageziel der Asylanerkennung die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Allerdings wird im Bereich gebundener begünstigender Verwaltungsakte aus § 113 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit dem Amtsermittlungsprinzip des § 86 Abs. 1 VwGO allgemein abgeleitet, dass bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde die dem Rechtsschutzbegehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist mit der Konsequenz, dass das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme. Dieser Grundsatz, der auch im Asylverfahren Geltung beansprucht (Beschlüsse des BVerwG vom 14. Mai 1982 - BVerwG 9 B 179.82 - Buchholz 402.24 § 31 AuslG Nr. 1 und vom 28. Mai 1982 - BVerwG 9 B 1152.82 - NVwZ 1982, 630 ) gilt jedoch nicht ausnahmslos. Ob eine Ausnahme in den Fällen, in denen das Bundesamt eine sachliche Prüfung des Asylbegehrens verweigert, bereits aus den Erwägungen anzunehmen ist, mit denen das Bundesverfassungsgericht die Prüfungskompetenz des gegen eine Maßnahme der Ausländerbehörde angerufenen Verwaltungsgerichts bei Asylfolgeanträgen gemäß § 14 AsylVfG a.F. beschränkt hat (vgl. Beschluss des BVerfG vom 13. Marz 1993 - 2 BvR 1988/92 - InfAuslR 1993,229) kann dahingestellt bleiben.

Der hier anzuwendenden Prozessordnung selbst lässt sich in § 113 Abs. 3 VwGO - unabhängig davon, ob die Vorschrift auf Anfechtungsklagen beschränkt ist - jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssen, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben können, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Wenn nicht allein diese allgemeinen Erwägungen, so steht doch die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Eine solche Verpflichtung des Gerichts, auch in Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt wegen fälschlich angenommener Antragsrücknahme über das Asylbegehren zu entscheiden, würde nämlich vor allem die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf einen Monat; sie müsste, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden.

Darüber hinaus ginge dem Antragsteller, wenn die Beklagte mit ihrer Auffassung durchdringen würde, die Sachentscheidung über den Asylantrag nicht nachholen zu müssen, dem Antragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist.

Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87 b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist. Diese Regelungen des Asylverfahrensgesetzes lassen darauf schließen, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist. Auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verlautbart den Rechtsgedanken, dass bei einer im Unbeachtlichkeitsurteil falschen Entscheidung durch das Bundesamt das Verfahren vor dem Bundesamt fortgesetzt werden soll. Bei einer nach § 32 AsylVfG zu Unrecht unterbliebenen Sachentscheidung gilt regelmäßig dasselbe. Dass diese Nachholung gleichfalls einen Zeitverlust mit sich bringen kann, tritt gegenüber dem Anliegen einer schnellen Beendigung des Aufenthalts bei rechtskräftiger Versagung von Asyl und Abschiebungsschutz zurück.

Die besondere Struktur des Asylverfahrens steht daher in den Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt nach den § 32 AsylVfG einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die das Verwaltungsgericht "durchzuentscheiden" hätte, regelmäßig entgegen (vgl. dazu BVerwG, DVBI. 1995, 857 ff; OVG NRW v. 08. März 1995, 23 A 4191/94.A; VG Düsseldorf, Urteil vom 02. Mai 1995, 25 K 4061/03.A; so auch von Bargen in Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, zu § 32 AsylVfG Rdnr. 27 ff unter Darstellung des Streitstandes m.w.N.).

Der Anfechtungsantrag ist unbegründet, da Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 15. Mai 2002 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das Bundesamt hat zur Recht festgestellt, dass das Asylverfahren nach § 32 AsylVfG eingestellt worden ist, da die Klägerin ihren Asylantrag mit Erklärung vom 20. Dezember 1999 zurückgenommen hat.

Ein Widerruf dieser Erklärung liegt nicht vor. Ein etwaiger Widerruf hätte nach dem für das öffentliche Recht maßgeblichen Rechtsgedanken des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Bundesamt vor oder gleichzeitig mit der Rücknahme zugehen müssen. Selbst wenn man also die mit der Klage abgegebenen Erklärung als Widerruf ansehen würde, wäre er dem Bundesamt zu spät zugegangen.

Eine Anfechtung der Rücknahme in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff BGB ist unabhängig von der Frage, ob eine solche in entsprechender Anwendung des § 121 BGB unverzüglich erfolgte, nicht möglich. Eine entsprechende Anwendung der §§ 119 ff BGB für die Rücknahme des Asylantrages nach § 32 AsylVfG ist wie bei Prozesshandlungen (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, Vorb. zu § 40 Rdnr. 15 m.w.N. ) aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich ausgeschlossen. Dafür spricht vor allem die Nähe zur Regelung des § 92 Abs. 2 VwGO. Es wäre kaum nachvollziehbar, die Rücknahme der Asylklage als grundsätzlich nicht anfechtbar, die Rücknahme des Asylantrages dagegen als anfechtbar anzusehen. Die Rechtssicherheit hat gerade im asylrechtlichen Verwaltungsverfahren kein geringeres Gewicht als im Prozess (vgl. auch von Bargen in Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, zu § 32 AsylVfG Rdnr. 14. ).

Allerdings wird der Asylbewerber nicht in jedem Fall an der Rücknahme festgehalten. Vielmehr sind Ausnahmen von dem Grundsatz der Unanfechtbarkeit anzuerkennen bei arglistiger Täuschung, Drohung, unzulässigem Druck, unzutreffender Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder die Ausländerbehörde, beim Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen und im Falle des offensichtlichen Versehens (vgl. Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, Vorb. zu § 40 Rdnr. 15; Kopp/Ramsauer, VwVfG Kommentar, Vorb. zu § 9 Rdnr. 12 a; von Bargen in Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, zu § 32 AsylVfG Rdnr. 15).

Die hier nur in Frage kommende Ausnahme der unzutreffenden Empfehlung durch die Ausländerbehörde kann allerdings nicht festgestellt werden. Anhaltspunkte für eine solche unzutreffende Belehrung sind in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Ausländerbehörde nicht ersichtlich. Eine schriftliche Zusage existiert auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde nur zutreffende Empfehlungen abgibt. Dass die Ausländerbehörde hier mündlich eine unzutreffende Empfehlung abgegeben hat, ist nicht ersichtlich. Der Vortrag der Klägerin diesbezüglich beschränkt sich auf die Behauptung einer solchen unzutreffenden Empfehlung. Die näheren Umstände und die tatsächlich ausgesprochene Empfehlung werden nicht genauer dargelegt. Auch kann die Klägerin nicht darlegen, welcher Gestalt genau die Empfehlung der Ausländerbehörde gewesen sein soll und unter welchen Voraussetzungen sie ausgesprochen worden sein soll.

Bliebt es folglich bei der Rücknahme des Asylantrages nach § 32 AsylVfG hat das Bundesamt gem. § 32 AsylVfG zu Recht festgestellt, dass das Asylverfahren eingestellt ist.

Der Antrag, der auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gerichtet ist, ist als Verpflichtungsklage statthaft. Die Feststellung von Abschiebungshindernissen ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Das Gericht ist auch befugt, "durchzuentscheiden". Für die Klägerin besteht anders als im Falle der wegen Rücknahme des Antrags nicht ergangenen Entscheidung über den Asylantrag keine andere Möglichkeit des Rechtsschutzes. Es bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz, denn die besonderen Verfahrensgarantien und die besondere Sachkunde des Bundesamtes, die Anlass geben, der Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag in jedem Fall den Vorrang vor der des Gerichts einzuräumen, gelten nicht für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Die Entscheidung darüber gehörte seit jeher zu den Aufgaben der Ausländerbehörden und wurde nur aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung auf das Bundesamt übertragen, damit alle das Bleiberecht betreffenden Entscheidungen in einer Hand liegen. Entsprechend entscheidet nach § 5 Abs. 2 AsylVfG über den Asylantrag und die Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 51 AuslG gegeben sind, ein weisungsunabhängiger Einzelentscheider des Bundesamtes. Die Entscheidung über § 53 AuslG hat der Gesetzgeber aus § 5 Abs. 2 AsylVfG ausgenommen.