Zu den wissenschaftlichen Mindestanforderungen an ein nervenärztliches Gutachten (hier: Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung; im Anschluss an VG München, Urteil vom 4.12.2001, NVwZ-RR 2002, 230).
Zu den wissenschaftlichen Mindestanforderungen an ein nervenärztliches Gutachten (hier: Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung; im Anschluss an VG München, Urteil vom 4.12.2001, NVwZ-RR 2002, 230).
(Leitsatz der Redaktion)
Die Androhung der Abschiebung des Antragstellers auf der Grundlage der §§ 49, 50 AuslG ist nicht zu beanstanden. Die Abschiebung des Antragstellers ist auch nicht nach § 55 Abs. 2 AuslG auszusetzen.
Der Antragsteller hat zwar nervenärztliche Stellungnahmen von Dr. ... vom 25.02.2002, 03.12.2002 und 05.06.2003 vorgelegt, wonach im Kern übereinstimmend ausgeführt wird, dass sich der Antragsteller seit dem 22.02.2002 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung befindet und bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung entstanden ist durch die lebens- und existenzbedrohend erlebten Erlebnisse im Heimatland und eine angst- depressive Störung bei anhaltender Belastungssituation vorliegt. Das Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises kommt in seiner Stellungnahme vom 25.03.2003 zu dem Ergebnis, dass im Vordergrund der Beschwerden des Antragstellers eine posttraumatische Belastungsstörung und eine depressive Störung liege.
Das Gericht vermag jedoch den nervenärztlichen Stellungnahmen von Dr. S. nicht zu folgen, da die Stellungnahme nicht den wissenschaftlichen Mindestanforderungen an ein entsprechendes Gutachten entsprechen. Vorzulegen wäre ein detailliertes Gutachten, welches nachvollziehbare Aussagen über Ursachen und Auswirkungen der Störung sowie diagnostische Feststellungen zum weiteren Verlauf der Behandlung enthält. Das Gutachten hat in methodischem Vorgehen und in der Darstellung den Prinzipien der Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gehorchen. Die Befundtatsachen müssen zunächst getrennt von ihrer Interpretation dargestellt werden. Bei Interpretationen mit Schlussfolgerungen aus den erhobenen Informationen muss angegeben werden, auf welche Befundtatsachen sie sich stützen. Erforderlich ist auch eine schriftliche Darstellung des Explorationstextes, da nur auf dieser Grundlage eine sorgfältige inhaltsanalytische Bearbeitung möglich ist. Ein bloß zusammenfassender Bericht reicht nicht aus. Wesentlicher Bestandteil der Begutachtung ist die inhaltliche Aussage der vom Arzt selbst erhobenen Aussage inBezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen. Wesentlich sind dabei methodische Vorkehrungen (Konstanzanalyse, Kompetenzanalyse, Motivationsanalyse), zur Verhinderung interessengeleiteter Aussagen und Angaben des Patienten im Hinblick auf seinen weiteren Aufenthalt in Deutschland (vgl. Urteil des VG München vom 04.12.2001, NVWZ- RR 2002, Seite 230).
Diesen Anforderungen wird das vorgelegten Gutachten in keiner Weise gerecht.
Eine Aussageanalyse wird nicht vorgenommen. Es wird lediglich ausgeführt, dass die posttraumatische Belastungsstörung durch die lebens- und existenzbedrohend erlebten Ereignisse im Heimatland entstanden sind. Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht als Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophartigen Ausmaßes, die bei fast jedem einen tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören insbesondere eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung und anderen Verbrechen zu sein (vgl. Lindtstädt Qualitätsanforderungen an medizinische Gutachten mit Beispielen aus dem Problemkreis traumatisierter Flüchtlinge, Seite 21). Vorliegend ist in keiner Weise ersichtlich, dass der Antragsteller, der im Alter von 19 Jahren 1995 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, derartigen belastenden Erlebnissen ausgesetzt war.
Im übrigen können die beim Antragsteller diagnostizierten Erkrankungen auch in Serbien und Montenegro ärztlich behandelt werden. Wie sich aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 16.10.2002 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien und der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.08.2002 an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ergibt, ist das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien durch ein Netz von staatlichen, medizinischen Anstalten abgedeckt, bestehend aus allgemeinen Polikliniken, medizinischen Zentren mit allgemeinen Krankenhäusern und fachärztlichen Diensten, Spezialkrankenhäusern und medizinischen Instituten. In diesen Anstalten arbeiten Fachärzte für Neuropsychiatrie, Psychiater und klinische Psychologen, die sich mit der Behandlung von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen wie auch anderen Erkrankungen aus dem Bereich der Psychiatrie befassen. Es werden Pharmakotherapien und Psychotherapien durchgeführt. Insbesondere sind psychische Erkrankungen jeder Art in Serbien und Montenegro zu behandeln. Dass die Erkrankung des Antragstellers nur in der Bundesrepublik Deutschland behandelt werden kann, ist vor dem Hintergrund, dass schwerwiegende traumatisierende Kriegserlebnisse des Antragstellers in seiner Heimat in keiner Weise dargelegt sind, nicht ersichtlich. Auch ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht, dass der Abbruch der Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland zu einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde. Zwar ist in der fachärztlichen Bescheinigung ausgeführt, dass eine Rückkehr des Antragstellers mit einer akuten Verschlechterung der Symptome zu rechnen sei. Damit ist jedoch die konkrete Gefahr einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterung des Antragstellers nicht dargetan, zumal dem Antragsteller ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich nicht zusteht, so dass er eine konstante Situation für sich nur dadurch erlangen kann, dass er in seine Heimat ausreist und sich dort in psychiatrische Behandlung begibt. Soweit in der nervenfachärztlichen Stellungnahme davon die Rede ist, dass im Falle des Antragstellers Selbstmordgefahr bestehe, ist im Hinblick auf die psychosoziale Belastung durch die Abschiebung des Antragstellers, die nachvollziehbar dargelegt wird, bei dem Vollzug der Abschiebungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung von Amts wegen das Bestehen eines Abschiebungshindernisses zu beachten und gegebenenfalls durch ein vorübergehendes Absehen von der Abschiebung oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendige Vorkehrung dafür zu treffen, dass es zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers kommt. Dazu gehört auch, dass der Antragsteller nicht nur ärztlich begleitet wird, sondern auch bei der Ankunft in Jugoslawien eine Übergabe in ärztliche Obhut sichergestellt ist.
Da es an schwerwiegenden Kriegserlebnissen fehlt, ist auch eine Retraumatisierung des Antragstellers nicht zu befürchten.