OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.05.2003 - 8 A 2109/03.A - asyl.net: M3954
https://www.asyl.net/rsdb/M3954
Leitsatz:

Die Tätigkeit im Vorstand eines der PKK/KADEK nahestehenden Vereins ist auch dann eine exponierte exilpolitische Tätigkeit, wenn das Vorstandsmitglied "nur" für kulturelle Aktivitäten o.ä. zuständig ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Divergenz, Türkei, PKK, Vereinsvorstand, Mitglieder, exilpolitische Betätigung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung ist gern. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG wegen Divergenz zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung einen von der Entscheidung des Senats vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A - abweichenden Tatsachensatz zur Bewertung exilpolitischer Tätigkeit in einem der PKK/KADEK nahe stehenden Verein zu Grunde gelegt.

Nach der angeführten Entscheidung des Senats ist die Betätigung in einer der PKK bzw. KADEK nahe stehenden, linksextremistischen oder aus anderen Gründen als militant staatsfeindlich eingestuften Exilorganisation im Regelfall als exponierte exilpolitische Tätigkeit einzustufen, wenn der Betreffende zu dem aus dem Vereinsregister ersichtlichen Vorstand der Organisation zählt, weil dies auf eine lenkende oder jedenfalls maßgebliche Funktion im Rahmen von Bestrebungen hinweist, die von den türkischen Sicherheitskräften und dem Geheimdienst als in hohem Maße staatsgefährdend betrachtet werden. Bei Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte kann die Mitgliedschaft im Vorstand eines derartigen Vereins trotz Eintrags in das Vereinsregister anders zu bewerten sein, etwa dann, wenn es sich um einen unverhältnismäßig großen Vereinsvorstand handelt oder um einen Vereinsvorstand, dessen Mitglieder auffällig häufig wechseln (zu diesen Gesichtspunkten vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Mai 2003 - 8 A 1946/03.A).

In Fällen dieser Art muss im Rahmen einer Gesamtwürdigung ermittelt werden, ob die Vorstandsmitgliedschaft im Zusammenhang mit den übrigen Aktivitäten des Betroffenen diesen in so hinreichendem Maße als Ideenträger oder Initiator in Erscheinung treten lassen, dass von einem Verfolgungsinteresse des türkischen Staates auszugehen ist.

Eine exilpolitische Tätigkeit ist auch dann trotz Vorstandsmitgliedschaft in einem PKK-Verein und der mit ihr verbundenen Vermutungswirkung nicht exponiert, wenn nicht erkennbar ist, dass der Asylbewerber im Vereinsvorstand mehr als nur untergeordnete Aufgaben zu erfüllen hat, also nur eine passiv-untergeordnete Stellung einnimmt. Allerdings ist ein solcher Fall nicht - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - schon dann gegeben, wenn der Betroffene "nur" für kulturelle Aktivitäten (Folkloreveranstaltungen, Bildung und Ausbildung von Jugendlichen) oder dafür zuständig ist, die Vereinsmitglieder zum Erscheinen bei Mitgliedervollversammlungen zu bewegen. Die hier angesprochene Fallgruppe einer passiv-untergeordneten Stellung dient lediglich zur Abgrenzung exponierter exilpolitischer Tätigkeit gegenüber Personen, die für den türkischen Staat trotz ihrer Mitgliedschaft in einem als staatsgefährdend angesehenen Verein ohne Interesse sind, etwa weil ihre Mitgliedschaft erkennbar nur für Zwecke des Asylverfahrens begründet worden ist. Wer in einem PKK-Verein oder einer vergleichbaren Exilorganisation als Mitglied des Vorstands die von ihm zu erfüllenden Aufgaben aktiv wahrnimmt, zählt zu dieser Fallgruppe auch dann nicht, wenn seine Tätigkeiten lediglich mittelbar als "politisch" einzustufen sind. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass nur solche Vorstandstätigkeiten eine exponierte exilpolitische Betätigung darstellen, die einen besonderen politischen Aussagegehalt beinhalten, weicht von der Senatsrechtsprechung ab; sie läuft im übrigen darauf hinaus, die Kriterien für eine exponierte exilpolitische Tätigkeit zweifach zu prüfen, nämlich bei der Feststellung der Vorstandsmitgliedschaft und der Charakterisierung des betroffenen Vereins als PKK-Verein einerseits sowie bei der Bewertung der im konkreten Fall geleisteten Vorstandstätigkeit andererseits. Demgegenüber geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die aktive Wahrnehmung einer Vorstandstätigkeit in einem derartigen Verein schon für sich genommen die Vermutung exponierter exilpolitischer Betätigung begründet. [...]