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BVerwG, Urteil vom 03.06.2003 - 1 C 19.02 - asyl.net: M4023
https://www.asyl.net/rsdb/M4023
Leitsatz:

§ 48 VwVfG ist jedenfalls im Falle einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung anwendbar.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Österreicher, Einbürgerung, Rücknahme, Straftäter, Ermittlungsverfahren, Auslandsstraftaten, Strafverfahren, Falschangaben, Täuschung, Vertrauensschutz, Staatenlose, Unionsbürgerschaft, Ermessen, Revisionsverfahren, Rechtliches Gehör
Normen: BayVwVfG § 48 Abs. 1 S. 1; GG Art. 16 Abs. 1 S. 1; GG Art. 16 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3; StAG § 8; EG-Vertrag Art. 11 ff.
Auszüge:

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist Art. 48 BayVwVfG (wortgleich mit § 48 VwVfG). Der Auffassung der Revision, dass diese Vorschrift für die Rücknahme von Einbürgerungen generell nicht herangezogen werden könne, kann nicht gefolgt werden.

Mangels einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung im Staatsangehörigkeitsrecht zum Wegfall der Staatsangehörigkeit sind die allgemeinen Rücknahmevorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze - hier: Art. 48 BayVwVfG - im Fall einer von vornherein rechtswidrigen Einbürgerung jedenfalls dann, wenn die Einbürgerung durch bewusste Täuschung erwirkt worden ist, anzuwenden. Das Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG -, nach dessen § 8 (damals noch: RuStAG) der Kläger eingebürgert wurde, enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen (vgl. insbesondere § 17 StAG). Nicht geregelt sind die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. Auch § 24 StARegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach § 8 RuStAG bzw. StAG anwendbar (vgl. Beschluss vom 13. April 1989 - BVerwG 1 B 54.89 - InfAuslR 1989, 276).

Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Verfassungsprinzip der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns erfordert eine Korrekturmöglichkeit jedenfalls bei einer durch bewusste Täuschung erwirkten, mithin "erschlichenen" Einbürgerungsentscheidung.

Der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung steht nicht das in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit entgegen. Es kann offen bleiben, ob eine derartige Rücknahme schon keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt oder ob ein solcher Eingriff jedenfalls über eine historische und teleologische Auslegung des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG zu rechtfertigen ist. Dieser ist nämlich entstanden in Reaktion auf die vom nationalsozialistischen Regime praktizierte Aberkennung der Staatsangehörigkeit aus rassistischen, politischen und religiösen Gründen, er sollte also gezielte Zwangsausbürgerungen verhindern (vgl. Schnapp in: v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. Art. 16 Rn. 14; Zuleeg in: Alternativkommentar zum Grundgesetz Art. 16 Rn. 17). Einen Vertrauensschutz für durch Täuschung erwirkte Einbürgerungen hatte der Verfassungsgeber nicht im Blick (zur Entstehungsgeschichte der Grundgesetzvorschrift vgl. JöR 1 1951, 159 ff.). Eine Rücknahme erschlichener Einbürgerungen gerät mit der genannten Zielsetzung des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich nicht in Konflikt. Hinzu kommt, dass diese Vorschrift nicht isoliert gesehen werden darf, sondern im Kontext mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung steht (vgl. auch Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Art. 16 GG Rn. 6).

Auch das in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Verbot des Verlusts der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen bei Eintritt von Staatenlosigkeit steht im Hinblick auf das hier in gleicher Weise zu berücksichtigende Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung grundsätzlich der Rücknahme einer durch bewusste Täuschung erwirkten Einbürgerung nicht entgegen (vgl. auch Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., § 16 RuStAG Rn. 31; Renner in: Hailbronner/Renner, a.a.O., Art. 16 GG Rn. 37). Dementsprechend kommt nach Art. 8 Abs. 2 des für die Bundesrepublik Deutschland mit Vertragsgesetz vom 29. Juni 1977 (BGBl 1977 II; 597) ratifizierten Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 der Grundsatz, dass ein Vertragsstaat keiner Person seine Staatsangehörigkeit entziehen darf, wenn diese dadurch staatenlos wird, nicht zur Anwendung, wenn die Staatsangehörigkeit durch falsche Angaben oder betrügerische Handlungen erworben worden ist.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den angefochtenen Rücknahmebescheid ergibt Folgendes: Der zurückgenommene Einbürgerungsbescheid vom 25. Januar 1999 war von Anfang an rechtswidrig im Sinne von Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG. Die nach § 8 RuStAG (in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung) getroffene Ermessensentscheidung war fehlerhaft, weil ihr ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde lag. Sie beruhte nämlich auf der unzutreffenden behördlichen Annahme, dass keine strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger anhängig seien. Nach derartigen Verfahren war im Antragsformular gefragt worden. Sie waren für die Beurteilung der Frage von Bedeutung, ob der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 2 AuslG erfüllt (§ 8 Satz 1 Nr. 2 RuStAG). Danach ist eine außerhalb des Bundesgebietes begangene Straftat dann zu berücksichtigen, wenn sie im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Bei Hinweisen auf das mögliche zukünftige Vorliegen des Versagungstatbestandes des § 46 Nr. 2 AuslG aufgrund der in Österreich geführten Ermittlungen hätte die Einbürgerungsbehörde die Einbürgerung des Klägers zurückstellen müssen. Insofern gilt nichts anderes als bei der Anspruchseinbürgerung nach dem Ausländergesetz, wo dies in § 88 Abs. 3 AuslG ausdrücklich geregelt ist (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift bei im Ausland geführten Ermittlungsverfahren vgl. BVerfG, Kammer-Beschluss vom 22. Dezember 1993 - 2 BvR 2632/93 - NJW 1994, 2016). Infolge der fehlenden Angabe des Klägers über das gegen ihn in Österreich anhängige Ermittlungsverfahren traf der Beklagte hier eine fehlerhafte Einbürgerungsentscheidung.

Der angefochtene Rücknahmebescheid wird maßgeblich darauf gestützt, dass der Kläger seine Einbürgerung durch eine bewusste Täuschung erwirkt habe, wobei die Tatbestände des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 BayVwVfG in Betracht kommen, die zu einem Ausschluss von Vertrauensschutz des Begünstigten führen.

Die das Vorliegen einer derartigen Täuschung betreffenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts verletzen indessen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Das Berufungsgericht ist nicht auf den Vortrag des Klägers in drei Punkten eingegangen, wie er mit Erfolg rügt:

a) Sein damaliger Anwalt habe wegen der ausländischen Ermittlungen mit der Einbürgerungsbehörde gesprochen und den Kläger dahin gehend informiert, dass diese unerheblich seien (Schriftsatz vom 4. Juni 2002).

b) Zum damaligen Zeitpunkt sei generell unklar gewesen, ob sich die Mitteilungspflicht auch auf ausländische Ermittlungsverfahren bezog und insbesondere die hier zuständige Eingangsbehörde (Landeshauptstadt München) seinerzeit die Auffassung vertrat, ausländische Ermittlungsverfahren brauchten nicht angegeben zu werden (Schriftsätze vom 30. Mai 2001 und 4. Juni 2002).

c) Erst im Nachhinein hätten die Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13. Dezember 2000 bzw. die Formblatterläuterungen klargestellt, dass auch ausländische Ermittlungsverfahren anzugeben seien (Schriftsätze vom 30. Mai 2001 und 8. April 2002).

Das Gericht hat den in Rede stehenden Vortrag im Kern zwar zur Kenntnis genommen, was aus dessen knapper Wiedergabe im Tatbestand des Berufungsurteils deutlich wird (UA S. 4 oben).

Es hat sich mit ihm aber nicht sachlich auseinandergesetzt, ihn insbesondere nicht in den Entscheidungsgründen verarbeitet. Das wird aus der Formulierung deutlich, dass für das Berufungsgericht "nicht ersichtlich" gewesen sei, dass das Verhalten des Klägers auf anderen Gründen beruhen könne, als das Ermittlungsverfahren zu verheimlichen und die Entscheidung über seine Einbürgerung zu beeinflussen. Das Urteil zieht nicht die Möglichkeit in Betracht, dass sich der Kläger über seine Verpflichtung zur Angabe auch ausländischer Strafverfahren geirrt haben könnte. Hierzu lag dem Gericht aber substantiierter Sachvortrag vor, zu dem vor dem Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme stattgefunden hatte. Das Berufungsgericht hat auch nicht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu diesem Vortrag des Klägers und der hierzu durchgeführten Beweisaufnahme Bezug genommen.

Durch die Nichtberücksichtigung des klägerischen Vortrags zum Fehlen eines Täuschungsvorsatzes hat der Verwaltungsgerichtshof das rechtliche Gehör des Klägers in einer für die Entscheidungsfindung erheblichen Frage verletzt.

Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung des erwähnten Vortrags des Klägers erneut zu prüfen haben, ob dieser die Einbürgerungsbehörde bewusst getäuscht hat.

Ergibt sich aus der gebotenen Befassung mit dem Vorbringen des Klägers, dass dieser die Einbürgerung nicht durch bewusste Täuschung erwirkt hat, dann ist der angefochtene Rücknahmebescheid bereits deshalb rechtswidrig. Kommt das Berufungsgericht dagegen zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Einbürgerung durch bewusste Täuschung erschlichen hat, wird es weiter aufzuklären haben, ob er nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wieder die österreichische erlangt bzw. erlangen kann oder aber - wie er behauptet - staatenlos wird und damit auch seine Rechte aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 17 ff. EG (EGV i.d. Amsterdamer Fassung) verliert.

Im Fall der Wiedererlangung der österreichischen Staatsangehörigkeit kommt es auf die Hilfserwägungen des Beklagten für den Fall der Staatenlosigkeit nicht an. Gleiches gilt, wenn der Kläger gegebenenfalls nicht in zumutbarer Weise an der Wiedererlangung der österreichischen Staatsangehörigkeit mitwirkt. Würde der Kläger hingegen auf Dauer staatenlos, so wäre der angefochtene Bescheid bereits deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte sein Ermessen im Rahmen der für den Fall des Eintritts von Staatenlosigkeit angestellten Hilfserwägungen nicht in einer den oben dargelegten Anforderungen entsprechenden Weise ausgeübt hat.

Der Beklagte hätte namentlich die vom Kläger vorgetragene und aus den Akten ersichtliche Beeinträchtigung seiner auslandsbezogenen und mit Reisen verbundenen beruflichen Tätigkeit infolge der Staatenlosigkeit und des Verlustes seiner Rechte aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 17 ff. EG (EGV i.d. Amsterdamer Fassung) in die Ermessenserwägungen einstellen müssen. Dies hat der Beklagte verkannt, indem er davon ausging, dass der Kläger zur Vermeidung der Staatenlosigkeit "weder ein privates noch ein für ihn sprechendes öffentliches Interesse geltend machen" könne (vgl. Schriftsatz vom 14. Dezember 2000, S. 2) und dass Ermessenserwägungen zum Verlust der Rechte aus der Unionsbürgerschaft nicht angestellt werden dürften (vgl. Schriftsatz vom 17. Dezember 2001, S. 8).