VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 07.03.2003 - 2 A 13/02 - asyl.net: M4065
https://www.asyl.net/rsdb/M4065
Leitsatz:

Eltern haften nicht für die Abschiebungskosten ihrer miteingereisten minderjährigen Kinder.

Die Höhe der vom Ausländer zu tragenden Haftkosten richtet sich nach dem Haftkostenbeitrag gem. § 50 StVollzG.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Abschiebungskosten, Kinder, Minderjährige, Haftung, Eltern, Gesamtschuldner, Kostenhöhe
Normen: AuslG § 82 Abs. 1; AuslG § 83 Abs. 1 Nr. 2; StVollzG § 50 Abs. 2; StVollzG § 171; FrhEntzG § 8 Abs. 2; BGB § 1664
Auszüge:

Der Einzelrichter kann offen lassen, ob bereits die Kostengrundentscheidung des Landkreises Harburg in den Bescheiden vom 28. Mai 2001, in denen die Kosten der Abschiebung den Klägern und ihrer Tochter jeweils einzeln auferlegt worden sind, einer Geltendmachung der Abschiebungskosten, die auf seine Tochter entfallen, gegenüber dem Kläger zu 2. entgegensteht. Denn jedenfalls ist keine Anspruchsgrundlage vorgetragen oder sonst ersichtlich, wonach der Kläger zu 2. verpflichtet wäre, diese Kosten zu bezahlen. Nach § 82 Abs. 1 AuslG hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung entstehen. In den nachfolgenden Absätzen 2 bis 5 AuslG ist geregelt, wer neben dem Ausländer für diese Kosten haftet. Eine Bestimmung dahingehend, dass die Eltern für die Abschiebungskosten ihrer mitgebrachten minderjährigen Kinder haften, enthält die Vorschrift nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine solche Haftung nicht aus § 1664 BGB. Nach dieser Vorschrift haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner. Die Vorschrift hat zwei Funktionen. Im Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern ist sie Anspruchsgrundlage für einen selbständigen Schadensersatzspruch des Kindes gegen seine Eltern. Daneben gibt die Vorschrift für die Haftung der Eltern aus § 1664 BGB wie auch für andere (z.B. deliktische) Haftpflichtnormen einen Haftungsmaßstab, im vorliegenden Fall also eine Haftungserleichterung zugunsten der Eltern, die gemäß § 277 BGB eventuell nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften (Diedrichsen in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl., § 1664 BGB Rdnr. 1). Auf andere Personen ist die Vorschrift nicht analog anwendbar (L. Michalski in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch Bd. II, 10. Aufl., § 1664 BGB Rdnr. 1 m.w.N.).

Aus 1664 Satz 2 BGB ergibt sich nichts anderes. Die darin geregelte gesamtschuldnerische Haftung der Eltern setzt das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs voraus und kann ihn aber nicht ersetzen. Der Bescheid vom 20. Dezember 2001 gegen den Kläger zu 2. war deshalb hinsichtlich der auf die Kosten der Abschiebung seiner Tochter entfallenden Teil in Höhe von 7.741,32 DM aufzuheben.

Hinsichtlich der in den angefochtenen Bescheiden gegenüber beiden Klägern enthaltenen Kosten der Abschiebungshaft in Höhe von 5.045,70 DM hat die Klage Erfolg, nachdem die Kläger ihren Antrag insoweit beschränkt haben, als ein Haftkostenbeitrag von 500,22 DM für 33 Tage (Verpflegung 366 DM/monatlich = 402,60 DM, Unterbringung bei einer Belegung mit mehr als drei Gefangenen 88,75/monatlich = 97,62; vgl. Bek. des MJ vom 28.11.2000, Nds. Rpfl. 2000, S. 13) akzeptiert wird. Nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG umfassen die Kosten der Abschiebung die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft und der Übersetzungskosten und die Ausgaben für die Unterbringung, Verpflegung und sonstige Versorgung des Ausländers. Eine ausdrückliche Regelung dahingehend, in welcher Höhe die Kosten der Abschiebungshaft geltend gemacht werden können, enthält das Ausländergesetz nicht. Wird die Haft nicht in eigenen Hafträumen, sondern in einer Justizvollzugsanstalt im Wege der Amtshilfe vollzogen, richten sich die Kosten nach dem sog. Haftkostenbeitrag im Sinne von § 50 StVollzG (Funke-Kaiser in Gesamtkommentar Ausländerrecht, Stand: März 2002, § 83 AuslG Rdnr. 13 m.w.N.). Die Anwendbarkeit des § 50 StVollzG ergibt sich aus § 8 Abs. 2 FrhEntzG iVm § 171 StVollzG. Wird Abschiebungshaft (§ 57 AuslG) im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen, so gelten nach § 8 Abs. 2 FrhEntzG die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 StVollzG entsprechend. §171 StVollzG verweist u. a. auf die - entsprechende - Anwendung des § 50 StVollzG. Nach Abs. 2 der Vorschrift darf von Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen, ein Haftkostenbeitrag in Höhe des Betrages erhoben werden, der nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 des 4. Buches SGB durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Der Bundesminister der Justiz stellt den Durchschnittsbetrag für jedes Kalenderjahr nach den am 1. Oktober des vorhergehenden Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge fest und macht ihn im Bundesanzeiger bekannt. Es spricht Überwiegendes dafür, dass aus der entsprechenden Anwendung des § 50 Abs. 2 StVollzG im Rahmen der Feststellung der vom Ausländer zu erstattenden Abschiebungskosten folgt, dass der Ausländer - unabhängig davon, dass er entgegen der Regelung des § 50 Abs. 2 StVollzG nicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht - einen entsprechenden Beitrag zu seinen Haftkosten zu leisten hat. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde dazu führen, dass die Verpflichtung des Ausländers zur Erstattung der Haftkosten nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG durch die Regelungen des Freiheitsentziehungsgesetzes und Strafvollzugsgesetzes im Ergebnis aufgehoben würden, weil abzuschiebende Ausländer in der Regel in keinem freien Beschäftigungsverhältnis stehen.

Diese Auslegung entspricht auch der Neuregelung des § 50 Abs. 2 StVollzG durch Art. 11 ER-JuKoG vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3422), wonach der Haftkostenbeitrag nicht mehr vom Bestehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses abhängig gemacht wird und die Kosten einer Zwangshaft - mithin auch der Abschiebungshaft - nach der Nr. 9010 des Kostenverzeichnisses in Höhe des Haftkostenbeitrags nach § 50 Abs. 2 und 3 StVollzG anzusetzen sind. Im Ergebnis kann dies aber offen bleiben, weil sich die Kläger nur gegen die Haftkosten in Höhe von 152,90 DM täglich wenden, den Haftkostenbeitrag für Unterbringung und Verpflegung in Höhe von 500,22 DM mit der Klage aber nicht angreifen.