BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 16.05.2003 - 1 B 251.02 - asyl.net: M4078
https://www.asyl.net/rsdb/M4078
Leitsatz:

Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) durch Unterlassung einer Anhörung zu den persönlichen Vorfluchtgründen des Klägers. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Mündliche Verhandlung, Glaubwürdigkeit, Anhörung, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 96
Auszüge:

Die Beschwerde macht unter Hinweis auf den vom Kläger vorgelegten "Parteiausweis" geltend, das Berufungsgericht hätte aufgrund der Sachaufklärungspflicht des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) den Kläger zu seinen "persönlichen Vorfluchtgründen" anhören müssen. Die vermeintliche Nichterweislichkeit der UFC-Mitgliedschaft habe das Berufungsgericht dazu verleitet, von der Unglaubwürdigkeit des Verfolgungsvorbringens des Klägers auszugehen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vortrag zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal in entscheidungserheblichen Teilen Glauben geschenkt und daraus auf eine erlittene politische Verfolgung geschlossen hätte.

Im Ergebnis ist diese Rüge begründet. Das Berufungsgericht hat eine Anhörung des Klägers aus zwei Gründen für entbehrlich gehalten. Zum einen, weil der Kläger in der ersten Instanz auf die mündliche Verhandlung verzichtet und im Berufungsverfahren "keine neuen tatsächlichen Umstände vorgetragen habe, die eine persönliche Anhörung erforderlich erscheinen lassen". Zum anderen hat es sich hinsichtlich des Vorfluchtschicksals - ausdrücklich der Würdigung des Bundesamts angeschlossen und deshalb den "Vortrag des Klägers zu seiner Mitgliedschaft in der UFC sowie den angeblichen Verhaftungen" für "unglaubhaft" gehalten; es komme hinzu, dass der Kläger sein Verfahren weder ergänzt noch konkretisiert habe. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um das Unterlassen einer persönlichen Anhörung des Klägers zu rechtfertigen.

Das Berufungsgericht hätte den Kläger im vorliegenden Fal nicht für unglaubwürdig halten dürfen, ohne ihn selbst persönlich angehört zu haben. Nach der Rechtsprechung des Senats darf das Berufungsgericht aus der bei der Anhörung durch das Bundesamt protokollierten Aussage des Ausländers allenfalls dann auf dessen Unglaubwürdigkeit schließen, wenn diese Aussage solche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Unvereinbarkeiten mit gesicherten Erkenntnissen des Berufungsgerichts aufweist, dass sie die Wahrheit derbehaupteten Tatsachen auch ohne einen persönlichen Eindruck des Gerichts von seiner Glaubwürdigkeit von vornherein ausschließen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 11. Juni 2002 BVerwG 1 B 37.02 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260 und vom 10. Mai 2002 BVerwG 1 B 392.01 Buchholz a.a.O. Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381). Ein solcher Ausnahmefall wird vom Berufungsgericht nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar.