LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.06.2003 - L 1 AL 2/02 - asyl.net: M4081
https://www.asyl.net/rsdb/M4081
Leitsatz:

Zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis im Falle der besonderen Härte. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Libanesen, Abgelehnte Asylbewerber, Arbeitserlaubnis, Nachrangigkeit, Arbeitsmarktprüfung, Besondere Härte, Aufenthaltsdauer, Abschiebungshindernis, Tatsächliche Unmöglichkeit, Passlosigkeit, Menschenwürde, Integration
Normen: SGB III § 285 Abs. 2; SGB III § 288 Abs. 1 Nr. 2; ArGV § 1 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und belasten den Kläger.

Dieser hat einen Anspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis als Hilfskraft im (...) bis zum 30.06.2004.

Dieser Anspruch gründet auf §§ 285 Abs. 2, 288 Abs. 1 Nr. 2 SGB 3 vom 24.03.1997 (BGBl I 594) in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) vom 17.09.1998 (BGBl I 2899). Die Versagung der Arbeitserlaubnis stellt für den Kläger unter besonderer Berücksichtigung des einzelnen Falles eine besondere Härte dar.

Die Anwendung dieser Vorschrift schließt die Notwendigkeit der Prüfung der Arbeitsmarktvorbehalte nach § 285 Abs. 1 SGB 3 sowie die Auseinandersetzung mit dem Argument der Beklagten, für die vom Kläger angestrebte Beschäftigung gebe es genügend deutsche bzw. bevorrechtigte Arbeitssuchende, aus.

Im vorliegenden Fall ist von einer besonderen Härte auszugehen, weil die besonderen Verhältnisse des Klägers diese Beurteilung rechtfertigen.

Der Senat stimmt der Beklagten im Grunde zu, dass allein dem langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann, weil der Kläger diesen durch sein Handeln - Einreise unter falschem Namen und Nichtvorlage seines Passes - jedenfalls zum Teil selbst verursacht hat. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass diese Umstände spätestens seit November 1995, d.h. seit fast acht Jahren, entfallen sind und nach einer in Teilen der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (BSGE 65, 126, 133), eine besondere Härte angenommen werden kann, wenn mindestens acht Jahre Aufenthalt nach Vollendung des 15. Lebensjahres abgelaufen sind und u.a. feststeht, dass der Kläger das Inland nicht verlassen muss.

Eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen kann aber dahinstehen, weil sich die besondere Härte im vorliegenden Fall auch aus anderen Umständen ergibt.

Unabhängig von dem inzwischen 17-jährigen Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland darf nicht außer Acht gelassen werden, dass er auch in absehbarer Zukunft keine gegenwärtig realistische Möglichkeit besitzt, in den Libanon zurückzukehren.

Dies ergibt sich aus den Darlegungen des Ausländeramtes der Stadt E..., nach denen die Libanesische Botschaft in vergleichbaren Fällen bisher niemals kooperationsbereit war und eine erneute Abschiebung des Klägers nicht angedacht wird. Dies sei, so das Ausländeramt, erst möglich, wenn weitere Dokumente über den Kläger aufgefunden würden. Dass hiervon nach aller Erfahrung aber nicht auszugehen ist, zeigt der Zeitablauf seit dem Auffinden des Passes im Jahre 1995. Es ist unerfindlich, welche Unterlagen über den Kläger noch aufgefunden werden könnten, nachdem sein Pass seit acht Jahren vorliegt. Der Senat muss nach alledem davon ausgehen, dass der Kläger die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen muss. In diesem Zusammenhang sollte auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger seit vielen Jahren Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, obwohl er seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft verdienen könnte. Folgte man der Auffassung der Beklagten, bedeutete dies, dass dem Kläger niemals erlaubt werden könnte, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Dies widerspricht aber dem Schutz der Menschenwürde aus Artikel 1 Grundgesetz (s. hierzu auch LSG Berlin vom 17.08.2001, Die Sozialgerichtsbarkeit 2001, 679).

Hinzu kommt, dass der Kläger in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland weitergehend integriert ist. Er spricht einwandfrei Deutsch und lebt hier seit einigen Jahren vollständig akzeptiert. Seine mehrfachen Straftaten, sind dagegen größtenteils jugendbedingt. Seit vielen Jahren ist der Kläger nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten, so dass von einer sozialen Integration ausgegangen werden kann.

Diese durch den langjährigen Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber die Unmöglichkeit, in den Libanon zurückzukehren, d.h. die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, sowie durch seine soziale Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik hervorgerufenen Umstände stellen besondere Verhältnisse des vorliegenden Falles dar, die eine besondere Härte rechtfertigen.