VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 09.07.2003 - 11 UE 275/02.A - asyl.net: M4093
https://www.asyl.net/rsdb/M4093
Leitsatz:

Gefährdung iranischer Staatsangehöriger wegen exilpolitischer Betätigung bei einer monarchistischen Organisation nur bei herausragend aktiven, überregionalen Führungspersönlichkeiten in Betracht zu ziehen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Nehzate Azadi, Korruption, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Monarchisten, Demonstrationen, Zeitschriften, Publikationen, Überwachung im Aufnahmeland, Drittstaatenregelung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 2 GG
Auszüge:

Die zugelassene Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen, soweit der Kläger begehrt, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. Januar 1999 zu 1. aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger sich auf Art. 16 a Abs. 1 GG nicht berufen kann, weil er gemäß Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist. Denn der Kläger ist auch, wenn man davon ausgingen, dass er gemäß seinen Angaben aus der Türkei auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland eingereist wäre und somit der Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht eingriffe, nicht als politisch Verfolgter gem. Art. 16 a Abs. 1GG anzuerkennen.

Der Kläger hat zu den Umständen vor seiner Ausreise aus dem Iran bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 12. Oktober 1998 sowie vor dem Verwaltungsgericht am 31. Januar 2001 und bei seiner Vernehmung vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 25. März 2003 angegeben, er sei von 1988 bis 1998 in der Erdölraffinerie auf der iranischen Insel Lawan beschäftigt gewesen. Dort habe er in alten Unterlagen mehrere Hinweise auf Unterschlagungen im Geschäftsbetrieb der Raffinerie entdeckt. Er habe Kopien dieser Unterlagen und Berichte darüber an die Freiheitsbewegung Nehzate Azadi übergeben, in der er seit (...) Mitglied gewesen sei. Darüber seien dann MeIdungen in oppositionellen Zeitungen erschienen. Nach der dritten Übergabe von Unterlagen habe er Urlaub gehabt und sei nach (...) gefahren und habe dort mit seiner Partei im (...) Kontakt aufgenommen. Anlass für seine Ausreise sei die Festnahme einer Verbindungsperson gewesen, der er Unterlagen über die Unterschlagungen übergeben habe. Er habe aber vor seiner Ausreise von dieser Festnahme nichts gewusst.

Aus diesem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Iran politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war. Er hat über keinerlei Kontakt mit staatlichen Stellen im Zusammenhang mit seiner Ausreise berichtet. Soweit er mutmaßt, dass die von seiner Organisation Nehzate Azadi ihm empfohlene Ausreise wegen Festnahme eines Mittelsmannes erfolgt sei, lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass ihm politische Verfolgungsmaßnahmen unmittelbar drohten. Über das weitere Schicksal dieses Verbindungsmannes, insbesondere ob und wann dieser wieder frei gelassen wurde, lässt sich dem Vortrag des Klägers nichts entnehmen. Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass der Kläger vor seine Ausreise aus dem Iran weder von politischer Verfolgung betroffen war noch ihm eine solche Verfolgung im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar bevorstand.

Dem somit unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Kläger droht wegen seinerNachfluchtaktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Aus der Verteilung der von dem Kläger genannten Zeitungen sowie der Teilnahme an Sitzungen "der Organisation der Monarchisten" ergibt sich nicht, dass dem Kläger deshalb politische Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr in den Iran drohten.

Eine allgemeine aktive Betätigung für eine exiloppositionelle Gruppierung führt noch nicht zu Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben (Bundesamt für Verfassungsschutz vom 23.08.2002 an VG Köln). Bei einfacher Teilnahme an Massendemonstrationen ist es auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass Teilnehmer identifiziert werden; selbst bei einer Identifizierung ist davon auszugehen, dass iranischen Sicherheitsbehörden bewusst ist, dass ein Aufenthalt in Deutschland meist nur durch Betreiben eines Asylverfahrens, in dem eine oppositionelle Tätigkeit zum Iran vorgetragen wird, erreicht werden kann (Auswärtiges Amt vom 11.01.1999 an VG Bayreuth). Eine reelle Gefährdung kann allenfalls für ganz hervorgehobene Persönlichkeiten der Oppositionsgruppen eintreten, die namentlich in Erscheinung treten (Auswärtiges Amt vom 18.04.2001, Lagebericht) Der Grad der Ausforschung durch den iranischen Nachrichtendienst und andere staatliche bzw. halbstaatliche Einrichtungen des Iran im Ausland ist umso höher je größer der Umfang der jeweiligen Aktivitäten ist. Groß ist der Verfolgungsdruck insbesondere für solche Organisationen, die aufgrund von Guerillaaktivitäten im Iran als terroristisch eingestuft werden, wie z. B. der Volksmudjaheddin Iran (Bundesamt für Verfassungsschutz vom 21.01.2000 an VG Köln). Die Teilnahme an regimefeindlichen Demonstrationen, auch die Veröffentlichung von Bildern dieser Demonstrationen, auf der Teilnehmer der Demonstrationen zu sehen sind, führt ebenso wie ein auch namentlich gezeichneter Leserbrief regimekritischen Inhalts nicht zu politischer Verfolgung im Iran (Auswärtiges Amt vom 08.02.2000 an VG Trier). Es ist damit zu rechnen, dass Botschaften und Konsulate Aktivitäten besonders exponierter exilpolitischer Persönlichkeiten in der Leitungsebene von Exilorganisationen auszuspionieren und zu beobachten versuchen.

Auch soweit Personen, deren exilpolitische Aktivitäten über die Teilnahme an Demonstrationen, Besuch von Informationsveranstaltungen und das Verteilen von Flugblättern hinausgehen, bei einer Rückkehr in den Iran eventuell mit einer Befragung durch iranische Behörden rechnen müssen, verursacht eine nicht besonders exponierte Exiltätigkeit in der Regel keine besonderen Komplikationen. Das weitere Vorgehen wird von besonderen individuellen Vorwürfen gegen eine bestimmte Person abhängen (Deutsches Orient-Institut vom 16.03.2001 an Niedersächsisches OVG). Die Gefahr, wegen allgemeiner exilpolitischer Aktivitäten wie der Teilnahme an größeren Veranstaltungen bei einer Rückkehr in den Iran politisch verfolgt zu werden, ist deshalb grundsätzlich als äußerst gering einzuschätzen (Deutsches Orient-Institut vom 28.11.2001 an VG Gelsenkirchen).

Politische Aktivitäten für monarchistische Organisationen wirken fast ausschließlich im Ausland und haben keine Ausstrahlung in den Iran. Eine exilpolitische Aktivität für Monarchisten ist jedenfalls, soweit sie nicht an führender Stelle öffentlichkeitswirksam und mit deutlicher Ausstrahlung in den Iran erfolgt, grundsätzlich unproblematisch.

Eine wirkliche Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran ist bei Wahrnehmung einer untergeordneten oder auch bei einer organisatorisch etwas höher hervorgehobenen Funktion in einer monarchistischen Organisation nicht anzunehmen (Deutsches Orient-Institut vom 08.04.2002 an VG Karlsruhe). Da die iranischen Monarchisten im Iran keinerlei politische Bedeutung haben, ist das Interesse iranischer Behörden, über die Auslandsaktivitäten von Monarchisten zu konkreten Informationen zu kommen, relativ gering. Auch wenn ein Asylbewerber, der in Deutschland eine exilpolitische Tätigkeit für monarchistische Organisationen entwickelt hat, iranischen Behörden namentlich bekannt geworden sein sollte, dürfte nur ein relativ geringes Risiko politischer Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran bestehen. Fälle, in denen iranische Konstitutionalisten oder Monarchisten wegen der einschlägigen Vorschriften des iranischen Strafgesetzbuches bestraft worden wären, sind nicht bekannt. Es sprechen überwiegende Gesichtspunkte dafür, dass wegen der fehlenden politischen Bedeutung monarchistischer Aktivitäten im Iran auch eine bekannt gewordene Mitgliedschaft und Betätigung für monarchistische Organisationen im Ausland kein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates gegenüber rückkehrenden Asylbewerbern begründen. Dabei kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass aus willkürlichen und nicht vorhersehbaren Gründen im Einzelfall eine Beobachtung oder Repressalie gegenüber einem rückkehrenden Monarchisten erfolgen kann (Deutsches Orient-Institut vom 28.01.1999 an Schleswig-holsteinisches Verwaltungsgericht). Insgesamt ist zugrunde zulegen, dass keine Fälle von Personen bekannt geworden sind, die wegen der exilpolitischen Unterstützung monarchistischer Organisationen politischen Verfolgungsmaßnahmen im Iran ausgesetzt waren (amnesty international vom 15.03.2001 an Niedersächsisches OVG).

Da es sich bei exil-monarchistischen Organisationen um kleine Gruppen handelt, deren Aktivitäten relativ begrenzt sind, ist auch nicht davon auszugehen, dass insoweit eine intensive geheimdienstliche Ausforschungspolitik betrieben wir, da diese monarchistischen Organisationen seitens der iranischen Regierung nicht als gefährlich eingeschätzt werden. Nur wenn es sich um herausragend aktive, überregionale Führungspersönlichkeiten monarchistischer Organisationen handelt, könnte eine Rückkehrgefährdung bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall in Betracht kommen. Selbst die Wahl als Nachrücker in den Rat eines monarchistischen Landesverbandes in Deutschland ist insoweit als übliche Aktivität zu werten, aufgrund derer kaum politische Verfolgung drohen dürfte. Da in der Regel als realistisch zugrunde zulegen ist, dass Personen, die sich in Europa in einer politischen Organisation auch aufgrund der Durchführung eines Asylverfahrens engagieren, in der iranischen Realität dies in vielen Fällen nicht täten und den iranischen Behörden dies auch bekannt ist, kann auch in den meisten Fällen normalen Engagements in einer monarchistischen Exilorganisation nicht zugrunde gelegt werden, dass deshalb politische Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran erfolgt (Deutsches Orient-Institut vom 30.04.2001 an VG Berlin). Allein die Mitgliedschaft in der monarchistischen Organisation O.I.K. führt zu keiner besonderen Gefährdung im Iran (Auswärtiges Amt vom 12.12.2001 an Niedersächsisches OVG).

Auf dieser Grundlage besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger wegen seiner dargelegten exilpolitischen Aktivitäten, insbesondere des Verteilens oppositioneller Zeitschriften oder der Teilnahme an Treffen oppositioneller Monarchisten in Deutschland bei der Rückkehr in den Iran politische Verfolgung droht.