OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.05.2003 - 3 LB 2/03 - asyl.net: M4126
https://www.asyl.net/rsdb/M4126
Leitsatz:

Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Betätigung für iranische oppositionelle Organisationen nur bei exponierten Aktivitäten, nicht jedoch wegen einfacher Mitgliedschaft und hierfür typische Aktivitäten wie einfache Demonstrationsteilnahme, Betreuung von Büchertischen oder Verteilen von Propagandamaterial.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Regimegegner, Volksmudjahedin, politische Entwicklung, Menschenrechtslage
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. [...]

Die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Aktivitäten ist nur dann gerechtfertigt, wenn zum einen davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden des Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind, und wenn zum anderen anzunehmen ist, dass ihm auf Grund dieser Kenntnis tatsächlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung für den Fall der Rückkehr droht. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Auskunftslage reicht eine einfache Mitarbeit in einer exilpolitischen Organisation verbunden mit den hierfür typischen Aktivitäten - wiederholte einfache Demonstrationsteilnahme, Betreuung von Büchertischen bzw. Verteilen von Propagandamaterial - grundsätzlich nicht aus. Der Betroffene muss vielmehr auf Grund seiner Aktivitäten aus der Vielzahl der exilpolitisch aktiven Iraner hervortreten. Wann dies im Einzelnen der Fall ist, hängt von den konkret-individuellen Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. [...]

Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln löst die private oder öffentliche Äußerung von Unzufriedenheit und Kritik im Iran an der Regierung oder der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage grundsätzlich keine staatlichen Zwangsmaßnahmen aus, solange diese die Werte der islamischen Revolution und des schiitischen Islam nicht verunglimpft oder erkennbar darauf abzielt, dass Regime als solches zu stürzen. Eine nach außen wirksame aktive politische Betätigung, die erkennbar den Sturz des Regimes oder des islamischen Systems zum Ziel hat, wird dagegen mit strafrechtlichen Maßnahmen verfolgt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 18. April 2001). Als Begründung für strafrechtliche Maßnahmen werden dabei herangezogen die Art. 183 bis 196 des StGB betreffend die Bestrafung wegen "Feindschaft gegen Gott" ("Mohareb") und "Korruption (Verderben schaffen) auf Erden" ("Mofzed bil Arz"). Gemäß Art. 183 StGB ist ein Feind Gottes (Mohareb) jeder, der bewaffnet und in öffentlichkeitswirksamerweise Angst bei den Menschen verbreitet und sie einschüchtert, sowie ihre Freiheit und Sicherheit usurpiert. Gemäß Art. 186 StGB sind alle diejenigen Mitglieder und Unterstützer einer Opposition, die bewaffnet gegen die iranische Regierung kämpft, die die Position dieser Gruppe kennen und aktiv zur Förderung ihrer Ziele beitragen, "Feinde Gottes", selbst wenn sie nicht im militärischen Zweig der Gruppe mitarbeiten. Gemäß Art. 190 StGB werden "Feinde Gottes" oder Personen, die sich der "Korruption auf Erden" schuldig gemacht haben, mit Körperstrafe oder den Tod bestraft. Auch einige unter den Begriff der "Staatsschutzdelikte" zu subsumierende Artikel, die im Zuge der Taazirat-Reform 1996 in das StGB eingefügt wurden (insbesondere Art. 498 bis 515), sehen zum Teil harte Strafen für gegen das Regime gerichtete Aktivitäten vor, die bei Vorliegen der genannten Erschwerungsgründe bis zur Todesstrafe gehen können.

Die Mitgliedschaft in offiziell verbotenen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen führen. Zu diesen verbotenen Organisationen zählen vor allem linksorientierte (z.B. Volksmudjaheddin, frühere Tudeh-Partei, Fedayin-e-Khalq), und Kurdenparteien (z.B. DPK-I, Komalah). Die monarchistische Opposition wird angesichts ihrer derzeitigen Schwäche nicht in gleichem Maße wie etwa die Volksmudjaheddin als Bedrohung empfunden, ihre Mitglieder werden daher nicht mehr verfolgt.

Die Auskunftslage zur Organisation der Volksmudjaheddin stellt sich wie folgt dar: Der Gruppe der Volksmudjaheddin gilt ausweislich der Erkenntnisquellen das besondere Interesse des iranischen Nachrichtendienstes, was auf die Gewaltbereitschaft der Organisation, die einen gewaltsamen Umsturz im Iran propagiert, und ihre Guerilla-Aktivitäten zurückzuführen ist. Die Volksmudjaheddin unterhalten ein weltweites Netzwerk von Sympathisanten und aktiven Mitgliedern und bekämpfen seit 1981 die herrschende Regierung. Wegen ihrer Rolle im Iran-Irak-Krieg, in dem sie auf Seiten des Irak kämpften, werden sie in der Bevölkerung aber mehrheitlich verachtet. Den Volksmudjaheddin werden von der iranischen Regierung eine Reihe von Terroranschlägen im Lande zugeschrieben. Die Volksmudjaheddin/Nationaler Widerstandsrat Iran bekennt sich zudem regelmäßig zu Terroranschlägen innerhalb des Iran, so auch zum Mord an den stellvertretenden Generalstabschef Schirasi am 10. April 1999 in Teheran (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 20.04.1999 und 16.05.2000). Aus diesem Grund zählen die Volksmudjaheddin zu den Hauptfeinden der islamischen Regierung und sind die am meisten verfolgte Oppositionsgruppe. Ihre Mitglieder und Unterstützer werden häufig als "Kämpfer gegen Gott" betrachtet, was zur Folge haben kann, dass ihnen harte Strafen drohen können (vgl. amnesty international, Bericht vom 11.09.1997 an VG Münster).

Hinsichtlich der exilpolitisch tätigen iranischen Staatsangehörigen stellt sich die Auskunftslage wie folgt dar: Ob die iranischen Behörden einen exilpolitisch tätigen Flüchtling entsprechend den o.g. Vorschriften als Regimegegner einstufen, hängt maßgeblich davon ab, welches Gefahrenpotential für das Regime der jeweiligen Organisation, für die sich der Asylsuchende engagiert, beigemessen wird, und in welchem Umfang sich dieser für die Organisation engagiert. Aus den vorliegenden Erkenntnisquellen ergibt sich, dass der Iran grundsätzlich alle oppositionellen Gruppen im Exil, regimekritische Einzelpersonen und Anhänger von Unabhängigkeitsbewegungen als potentielle Bedrohung ansieht und mit Hilfe des iranischen Nachrichtendienstes im Ausland beobachtet. Dabei wird versucht, die Identifizierung der Personen mit Video- oder Fotoaufzeichnungen vorzunehmen; teilweise werden auch Informanten in den Reihen der Veranstaltungsteilnehmer bzw. innerhalb der betreffenden Gruppen eingesetzt (vgl. Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz an VG Leipzig vom 23.08.2000; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Münster vom 31.10.1997). Das besondere Beobachtungsinteresse gilt dabei solchen Organisationen, die mit gewaltsamen Mitteln einen Umsturz im Iran durchführen wollen, und damit insbesondere auch den Volksmudjaheddin.

Nach umfassender Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen gibt es indes keine ausreichenden Tatsachengrundlagen für die Annahme, dass dem Kläger im Falle seiner exilpolitischen Betätigungen im Falle der Rückkehr in den Iran mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Es kann bereits nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten Nachfluchtaktivitäten dem iranischen Staat bekannt geworden sind. [...]

Letztenendes kann es jedoch dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger vorgetragenen Nachfluchtaktivitäten den iranischen Behörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bekannt geworden sind; jedenfalls gibt es keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger wegen dieser Aktivitäten im Falle der Rückkehr in den Iran politische Verfolgung drohen würde. Zwar führt amnesty international (Stellungnahme vom 11.09.1997 an VG Münster) aus, dass - in einem vergleichbaren Fall, in welchem es um das Verteilen von Flugblättern und Propagandamaterial der Volksmudjaheddin ging - dies den iranischen Behörden bekannt geworden sei und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die betreffende Person wegen der Unterstützung bzw. des Sympathisantentums mit der Organisation der Volksmudjaheddin verdächtigt und bei einer Rückkehr entsprechend behandelt würde. Der Erkenntniswert dieser Auskunft wird aber wesentlich dadurch eingeschränkt, dass amnesty international in derselben Stellungnahme selbst betont, das es schwer einzuschätzen sei, in welchem Umfang die iranischen Behörden die exilpolitischen Aktivitäten iranischer Oppositionsgruppen beobachten. [...]

Der Senat teilt angesichts der vorstehend genannten Erkenntnisse die in der obergerichtlichen Rechtsprechung vorherrschende Auffassung, dass die einfache Mitgliedschaft in einer exilpolitischen Organisation (auch einer solchen der Volksmudjaheddin) verbunden mit den hierfür typischen Aktivitäten (Demonstrationensteilnahme, Betreuung von Büchertischen, Verteilen von Propagandamaterial) von den iranischen Behörden nicht als eine erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende Aktivität bewertet wird. Eine Gefährdung kann allenfalls für solche Personen angenommen werden, die sich exponiert haben und aus der Masse der mit ihrem Staat unzufriedenen Iraner hervorgetreten sind (so OVG Lüneburg, Urteil vom 26.10.1999, 5 L 3180/99; VGH München, Beschluss vom 15.12.1999, 19 ZB 98.33167; OVG Bautzen, Urteil vom 05.06.2002, A 2 B 117/01; Urteil vom 30.01.2002, A 4 B 4313/98; OVG Münster, Beschluss vom 16.04.1999, 9 A 5338/98.A; ebenso VG Arnsberg, Urteil vom 12.01.1999, 4 K 516/97.A).

Vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse kann jedenfalls von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Gefahr für den Kläger nicht ausgegangen werden. Allein durch seine Teilnahme an Demonstrationen mit Hunderten oder Tausenden anderer Teilnehmer ist der Kläger in keiner Weise besonders hervorgetreten. [...]