VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 26.08.2003 - 3 A 191/01 - asyl.net: M4193
https://www.asyl.net/rsdb/M4193
Leitsatz:

Wohnsitzauflagen für sozialhilfebedürftige anerkannte Flüchtlinge sind grundsätzlich zulässig.

(Leitsatz der Redaktion)

Hat ein Ausländer Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG erhalten und ist im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, kann ihm nach § 14 Abs. 2 Satz 1 AuslG der Wohnsitz in einem bestimmten Landkreis aufgegeben werden. Das durch die Vorschrift eröffnete Ermessen ist durch den Erlass des Innenministeriums vom 16. Oktober 2002 vorgegeben. Der Erlass verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Nach dem Erlass ist die Wohnsitzauflage im konkreten Fall nicht fehlerhaft. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Konventionsflüchtlinge, Aufenthaltsbefugnis, Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ermessen, Erlasslage, Sozialhilfebezug, Familieneinheit, Anfechtungsklage, Fortsetzungsfeststellungsklage, Feststellungsinteresse, Berufungszulassung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 14 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Hat ein Ausländer Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG erhalten und ist im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, kann ihm nach § 14 Abs. 2 Satz 1 AuslG der Wohnsitz in einem bestimmten Landkreis aufgegeben werden. Das durch die Vorschrift eröffnete Ermessen ist durch den Erlass des Innenministeriums vom 16. Oktober 2002 vorgegeben. Der Erlass verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Nach dem Erlass ist die Wohnsitzauflage im konkreten Fall nicht fehlerhaft. (amtlicher Leitsatz)

Die Klägerin wendet sich gegen eine Wohnsitzauflage in ihrer Aufenthaltsbefugnis.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, aber unbegründet.

Nachdem die die Klägerin belastende Auflage mit dem Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnis am 27. Januar 2003 ihre Erledigung gefunden hat, kann die ursprünglich zulässige Anfechtungsklage nur noch als Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weitergeführt werden. Nach der genannten Vorschrift kann, wenn sich ein Verwaltungsakt (etwa durch Zeitablauf wie hier die Auflage) erledigt hat, das Gericht aussprechen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung kann im vorliegenden Fall bejaht werden, weil in der neuen im Januar 2003 erteilten Aufenthaltsbefugnis eine inhaltsgleiche Nebenbestimmung aufgenommen worden ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Wohnsitzauflage während ihrer Geltungsdauer vom 11. Januar 2001 bis zum 27. Januar 2003 rechtswidrig gewesen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Die Wohnsitzauflage hatte und hat ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 2 Satz 1 AuslG. Danach kann die Aufenthaltsgenehmigung mit Auflagen verbunden werden. § 14 Abs. 2 Satz 1 AuslG ist eine Ermessensvorschrift. Zur Anwendung der Ermessensvorschrift hat das Innenministerium einen Erlass veröffentlicht. Nach der zentralen Vorschrift in Ziff. 2.1 des neuen Erlasses werden Aufenthaltsbefugnisse mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nimmt oder nehmen muss.

Eine Ermessensregelung des Ministeriums zur räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis ist zulässig.

An der räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis sozialhilfeberechtigter Ausländer besteht ein öffentliches Interesse. Sozialhilfelasten, die mit der Aufnahme und Unterbringung von Ausländern verbunden sind, sollen möglichst gleichmäßig und gerecht auf die Länder und Kommunen verteilt werden. Durch wohnsitzbeschränkende Auflagen wird eine Binnenwanderung von sozialhilfebeziehenden Ausländern verhindert, und es wird missbräuchlicher, namentlich mehrfacher Inanspruchnahme von Sozialhilfe vorgebeugt. Der Zuzug von Ausländern in Ballungszentren wird vermieden. Die Erlasse tragen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung. Denn insbesondere der neue Erlass sieht vor, dass Wohnsitzauflagen geändert oder gestrichen werden können, etwa zur Herstellung der Familieneinheit, bei Erwerbstätigkeit, durch die der Lebensunterhalt gesichert wird, oder in speziellen Lebenssituationen. Dies dient einem angemessenen Interessenausgleich.

Auch sonst verstoßen die Erlasse von 1998 und vom Oktober 2002 nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention, das Zusatzprotokoll hierzu und gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (vgl. hierzu insbesondere Nds. OVG, Beschl. v. 6.6.2001 - 9 LB 1404/01 -; zur Wohnsitzauflage allgemein vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 27.5.2003 - 7 LB 207/02 -, VG Dresden, Urt. v. 7.11.2001 - A 14 K 1427/01 -, InfAuslR 2002 S. 242; VG Osnabrück, Urt. v. 24.11.1999 - 5 A 193/99 -, InfAuslR 2000 S. 140; VG Düsseldorf, Entscheidung vom 3.11.1999 - 7 K 1413/99 - Juris).

Ausgehend von diesen Grundlagen ist die Wohnsitzauflage im konkreten Fall von Januar 2001 bis Januar 2003 nicht rechtswidrig gewesen. Die Klägerin hat während der gesamten Zeitdauer Sozialhilfe bezogen.

Die Auflage musste nicht zur Herstellung der Familieneinheit aufgehoben werden (Ziffer 5.1 des Erlasses vom Oktober 2002). Der Ehemann der Klägerin war bis Juli 2001 in Berlin in Haft und ist dann entlassen worden. Eine Familieneinheit mit einem gemeinsamen "Wohnsitz" konnte während der Haftzeit weder in Berlin noch anderswo begründet werden. Auch wenn der Ehemann zuletzt im offenen Vollzug gewesen ist, hat er jedoch nach seiner Arbeit in die Justizvollzugsanstalt zurückkehren müssen. Um während der gelegentlichen Freigänge mit ihrem Ehemann zusammen zu sein, war eine Wohnsitzverlegung der Klägerin von Lüneburg nach Berlin nicht erforderlich; insoweit konnte die Klägerin ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ermessensfehlerfrei auf zeitlich befristete Besuchsreisen verwiesen werden. Dies gilt gerade unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin und ihr Ehemann damals offenbar noch keine abschließende Entscheidung getroffen hatten, ob sie sich gemeinsam in Berlin, Lüneburg oder einer anderen Stadt niederlassen.

Für die Zeit nach der Haftentlassung ist die Beibehaltung der Wohnsitzauflage durch die Beklagte ebenfalls nicht ermessensfehlerhaft. Es bestand keine Pflicht der Beklagten, zur Herstellung der Familieneinheit die Auflage für die Zeit nach Haftentlassung des Ehemannes aufzuheben. Bei der Frage der Beibehaltung einer Wohnsitzauflage ist allerdings auf berechtigte Wünsche der betreffenden Eheleute Rücksicht zu nehmen, wobei auch von Bedeutung ist, ob einer der Ehepartner ausreichenden Wohnraum hat oder einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die er bei einem Wohnsitzwechsel aufgeben müsste. Nach der Haftentlassung hat sich der Ehemann jedoch bei der Klägerin aufgehalten, er hat sich in Lüneburg um Arbeit bemüht und wollte einen Führerschein machen (Schriftsatz der Beklagten vom 3.2.2003, Schriftsatz der Klägerin vom 15.4.2003). Die Familieneinheit wurde also in Lüneburg hergestellt, und in Lüneburg gab es eine gemeinsame Wohnung für die Familie. In Berlin bestand demgegenüber nur bei der Schwiegermutter der Klägerin eine Unterkunftsmöglichkeit, und in Berlin gab es keine Arbeitsstelle für den Ehemann. Dies sind Gesichtspunkte, die die Beibehaltung der Wohnsitzauflage bei der Klägerin gerechtfertigt haben.

Die tatsächlichen Umstände haben sich bis heute nicht grundlegend geändert.

Die spezielle Lebenssituation der Klägerin macht die Wohnsitzauflage ebenfalls nicht ermessensfehlerhaft.

Nach Ziff. 5.3 des Erlasses von 2002 kommt eine Streichung der Auflage in Betracht aufgrund der speziellen Lebenssituation eines Betroffenen, wenn dieser ein gewichtiges Interesse daran hat, dauerhaft außerhalb des Zuständigkeitsbereiches zu wohnen und eine Arbeitsaufnahme auf absehbare Zeit nicht zumutbar oder möglich ist (z. B. alleinerziehende Mutter mit Kleinkindern).

Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Ausnahmevorschrift sind nicht gegeben. Denn die Klägerin ist keine dauerhaft alleinerziehende Mutter, sondern lebt die überwiegende Zeit mit ihrem Ehemann zusammen. In der mündlichen Verhandlung hat sie erklärt, ihr Ehemann sei öfter in Lüneburg als in Berlin. Abgesehen davon ist ein gewichtiges Interesse daran, dauerhaft außerhalb des Zuständigkeitsbereiches von Stadt und Landkreis Lüneburg zu wohnen, nicht gegeben. Allein der bloße Wunsch, nach Berlin umzuziehen, ist kein ausreichender gewichtiger Grund, der die beklagte Stadt Lüneburg zwingt, die Wohnsitzauflage aufzuheben.

Die Berufung wird zugelassen, da es immer noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, ob Wohnsitzbeschränkungen ergehen können, um "Binnenwanderungen" ausländischer Sozialhilfeempfänger entgegenzuwirken (§ 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; vgl. zur Zulassung der Revision wegen dieser Frage Nds. OVG, Beschl. v. 6.6.2001 a.a.O.).