VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 03.04.2003 - 5 BV 02.1943 - asyl.net: M4198
https://www.asyl.net/rsdb/M4198
Leitsatz:

Gegenseitigkeit i.S.v. § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmten Fällen hingenommen wird. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Griechen, Unionsbürger, Mehrstaatigkeit, Gegenseitigkeit
Normen: AuslG § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AuslG § 87 Abs. 2
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme des Fortbestehens seiner griechischen Staatsangehörigkeit gemäß § 87 Abs. 2 AuslG.

Nach dieser Bestimmung wird von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr.4 AuslG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abgesehen, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt und Gegenseitigkeit besteht. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so liegt es - anders als bei § 87 Abs. 3 AuslG - nicht im Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde, ob sie die Mehrstaatigkeit des Einbürgerungsbewerbers hinnimmt. Die Einbürgerung hat vielmehr unter den übrigen Voraussetzungen des § 85 AuslG zu erfolgen, ohne dass die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit erforderlich ist. Damit korrespondiert ein Anspruch des Betroffenen auf Einbürgerung unter Hinnahme seiner Mehrstaatigkeit.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AuslG mit Blick auf Griechenland - einen Mitgliedstaat der Europäischen Union - vorliegen.

Gegenseitigkeit besteht, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit generell oder in nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmten Fällen hingenommen wird. Ist die Hinnahme von Mehrstaatigkeit auf einen nach abstrakt-generellen Merkmalen bestimmten Personenkreis (z.B. Ehegatten, Kinder) beschränkt, besteht Gegenseitigkeit nur insoweit, also nur für Unionsbürger aus einer vergleichbaren Personengruppe.

Entgegen der Auffassung des Vertreters des öffentlichen Interesses und des Staatsministeriums des Innern ist eine "Gleichwertigkeit sowohl der Einbürgerungsvoraussetzungen, als auch der Einbürgerungsfolgen" nicht zu verlangen. Das Gegenseitigkeitserfordernis erstreckt sich insbesondere nicht darauf, dass es sich in dem anderen Mitgliedstaat ebenfalls um eine Anspruchseinbürgerung handelt (Berlit in GK-StAR IV-3 § 87 RdNr. 246 m.w.N.). Das ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes sowie dem vom Gesetzgeber mit der Regelung verfolgten Zweck.

Die Privilegierung von Unionsbürgern durch § 87 Abs. 2 AuslG liefe weitgehend leer, wenn (entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut) eine Gleichwertigkeit von Einbürgerungsvoraussetzungen und Einbürgerungsfolgen verlangt würde. Denn mit § 85 AuslG vergleichbare Anspruchseinbürgerungen sind - soweit ersichtlich - allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union fremd. Das Erfordernis einer "Gleichwertigkeit" des ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts auch bezüglich des Verlusttatbestandes beim freiwilligen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG) hätte darüber hinaus zur Folge, dass die Frage der Gegenseitigkeit von vornherein nicht aufgeworfen wäre, weil die Einbürgerung mangels Fortbestehens der bisherigen Staatsangehörigkeit ohne Rückgriff auf § 87 Abs. 2 AuslG erfolgen könnte und müsste. Eine derartige Auslegung "ad absurdum" verbietet sich.

Nicht zu überzeugen vermag ferner das Argument, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) belege mit Nr. 87.2 Abs.2 die Notwendigkeit einer konkreten Betrachtung der Gegenseitigkeit im Einzelfall im Sinn einer Gleichwertigkeit von Einbürgerungsvoraussetzungen und -folgen, indem dort von der Gegenseitigkeit bei bestimmten Personengruppen gesprochen werde. Dieser Schluss geht deshalb fehl, weil sich Nr. 87.2 StAR-VwV alleine auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bezieht (vgl. Nr. 87.2 Abs. 1). Mit dem Zusatz in Abs. 2 soll lediglich klar gestellt werden, dass dann, wenn in dem anderen Mitgliedstaat die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger auf einen nach abstrakt generellen Merkmalen bestimmten Personen kreis (z.B. Ehegatten, Kinder) beschränkt ist, Gegenseitigkeit auch nur insoweit, also nur für Unionsbürger aus einer vergleichbaren Personengruppe, besteht.

Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die Gegenseitigkeitsklausel - wie im Be- scheid der Beklagten angedeutet - der Ausfüllung durch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Deutschland und den übrigen Mitgliedstaaten bedarf. Denn § 87 Abs. 4 AuslG enthält eine spezielle Öffnungsklausel für völkerrechtliche Verträge über weitere Fälle der Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Deshalb braucht im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 2 AuslG Gegenseitigkeit nicht formell durch Vereinbarungen mit dem betreffenden Mitgliedstaat der Europäischen Union gesichert zu sein. Es genügt, dass sie gemessen an dessen Einbürgerungsrecht und Einbürgerungspraxis materiell besteht (ähnlich zur Gegenseitigkeit i.S.v. § 328 Abs. 1 Nr.5 ZPO BGH vom 24.10.2000 NJW 2001, 524 f.).

Im Verhältnis zu Griechenland besteht Gegenseitigkeit, weil dort bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit - ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen - hingenommen wird.