BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 01.07.2003 - BVerwG 1 C 32.02 - asyl.net: M4238
https://www.asyl.net/rsdb/M4238
Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts aufgrund des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots in Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits vom 26. Februar 1996. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Marokkaner, Aufenthaltserlaubnis, Nachträgliche Befristung, Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko, Arbeitsberechtigung
Normen:
Auszüge:

Die Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht, weil sie zu Unrecht ein Aufenthaltsrecht der Klägerin aufgrund des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots in Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits vom 26. Februar 1996 ( ABI EG L 70/2000 S. 2 ff.; BGBl II 1998 S. 1811; im Folgenden: Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko) bejaht hat.

Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf das verwaltungsgerichtliche Urteil ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmungen im Fall der Klägerin erfüllt sind, weil ihr die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 AuslG erteilt wurde und dieser Grund mit der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft Ende Juni 2000 nachträglich entfallen ist. Es hat ferner in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Klägerin nach § 19 AuslG, insbesondere nach der Härtefallregelung in dessen Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Absatz 2, verneint. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt.

Das Berufungsgericht hat allerdings § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG deshalb nicht für anwendbar gehalten, weil der Klägerin seiner Ansicht nach ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen zusteht. Diesen Anspruch hat es aus Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko hergeleitet, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung im Besitz einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung gewesen sei, die bis heute nicht erloschen sei. Diese Auffassung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

Art. 64 Abs. 1 und 2 des am 1. März 2003 in Kraft getretenen Europa Mittelmeer-

Abkommens/Marokko lautet wie folgt:

(1) Jeder Mitgliedstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.

(2) Absatz 1 gilt hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für alle marokkanischen Arbeitnehmer, die dazu berechtigt sind, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine befristete, nicht selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben.

Wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG C 18.02 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt) im Einzelnen aufgeführt hat, entfaltet diese Bestimmung ebenso wie das in dem Vorgängerabkommen enthaltene Diskriminierungsverbot zugunsten marokkanischer Arbeitnehmer (Art. 40 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko vom 27. April 1976 - ABl EG L 264/1978 S. 1 ff.; BGBl 1978 II S. 690 ff. -) in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung. Sie erfasst nicht nur solche marokkanischen Staatsangehörigen, die als Wanderarbeitnehmer eingereist sind, sondern auch solche, die aus anderen Gründen - etwa als Asylbewerber oder zum Zwecke der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind. Entscheidend für die Anwendung der Bestimmung ist allein, dass der marokkanische Staatsangehörige sich im Zeitpunkt der Geltendmachung seiner Rechte aus dem Abkommen legal in dem Mitgliedstaat aufhält und als Arbeitnehmer beschäftigt ist. Das Diskriminierungsverbot ist auch nicht nur auf eine befristete nicht selbständige Erwerbstätigkeit beschränkt. Jedenfalls hinsichtlich der in Art. 64 Abs. 1 des Abkommens genannten Kündigungsbedingungen gilt es auch für unbefristete Arbeitsverhältnisse (vgl. im Einzelnen das oben genannte Urteil des Senats a.a.O. II. 1.a-c)

Allerdings ergeben sich aus diesem Diskriminierungsverbot grundsätzlich keine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche für marokkanische Arbeitnehmer. Allenfalls ausnahmsweise kann unter dem Gesichtspunkt der praktischen Wirksamkeit der Rechte aus dem Diskriminierungsverbot ein Anspruch auf weiteren Aufenthalt zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit aus Art. 64 des Abkommens hergeleitet werden (effet utile). Dies kommt in Betracht, wenn der Mitgliedstaat dem marokkanischen Arbeitnehmer in Bezug auf die Beschäftigung durch eine Arbeitserlaubnis für eine bestimmte Zeit weitergehende Rechte verliehen hat als in Bezug auf den Aufenthalt (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - Europäischer Gerichtshof (EuGH) - vom 2. März 1999 - Rs. C41 /96 I-Yassini, Slg. I, 1209 = NVwZ 1999, 1095 = InfAuslR 1999, 218). Bei einer nach deutschem Recht erteilten unbefristeten Arbeitsgenehmigung ist das indes in aller Regel nicht der Fall. Eine solche Genehmigung vermittelt wegen des Vorrangs des Aufenthaltsrechts kein von der Aufenthaltsgenehmigung unabhängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortsetzung einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit und auf weiteren Aufenthalt nach dem Diskriminierungsverbot in Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko. Wegen der EinzeIheiten wird auch insoweit auf das oben bereits zitierte Urteil des Senats (a.a.O, II.1.d - f) verwiesen.