VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 29.09.2003 - 7 A 4831/02 - asyl.net: M4325
https://www.asyl.net/rsdb/M4325
Leitsatz:

Mitglieder der RDR haben grundsätzlich nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten, wenn sie herausragende Führungspositionen inne haben. Darüber hinaus mussten Personen in leitenden Stellungen zu bestimmten Krisenzeiten (Oktober 2000 bis März 2001 und 19. September 2002 bis März 2003) mit politischer Verfolgung rechnen, so dass es bei ihrer Ausreise in diesen Zeiten zur Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes kommt.

Keine Gruppenverfolgung der Dioulas und ivorischer Staatsangehöriger moslemischen Glaubens.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Côte d'Ivoire, RDR, Mitglieder, Militärangehörige, Putschversuch, Haft, Folter, Glaubwürdigkeit, Dioula, Moslems, Gruppenverfolgung, Bürgerkrieg, Todesschwadrone, Interne Fluchtalternative, Politische Entwicklung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

Seine Behauptung, er habe an mehreren Putschversuchen mitgewirkt, sei in einem Falle für drei Tage inhaftiert und wieder freigelassen worden und nach der Wahl Laurent Gbagos zum Präsidenten der Elfenbeinküste in seine Marinebasis zurückgekehrt, jedoch umgehend festgenommen worden, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft.

Seine Angaben sind in wesentlicher Hinsicht ungereimt und unsubstanziiert gewesen.

Der Kläger musste weder im Zeitpunkt seiner Ausreise noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten, weil er Mitglied der RDR ist.

Zu berücksichtigen ist, dass es in den vergangenen Jahren immer wieder erhebliche Übergriffe gegen Mitglieder der RDR gegeben hat. Sie sind vor dem Hintergrund des auch nach dem Ende des Bürgerkriegs ungelösten Nord-Süd-Konflikts in der Elfenbeinküste zu sehen. In diesen ist der Machtkampf zwischen Präsident Gbagbo und dem RDR-Vorsitzenden Quattara, der auch von persönlichen Rivalitäten geprägt zu sein scheint, eingebettet. Die Verfolgungshandlungen waren jedoch zu keinem Zeitpunkt dauerhaft und systematisch. Sie verschärften sich in Zeiten politischer Destabilisierung, in denen die Regierung nicht willens und in der Lage gewesen ist, gegen Verfolgungshandlungen, die bis zu Tötung von RDR-Mitgliedern reichten, vorzugehen.

Die Maßnahmen haben dann aber auch immer wieder nachgelassen. Es ist davon auszugehen, dass sich nach dem Ende des Bürgerkrieges auch im Südteil des Landes die Verhältnisse wieder ähnlich wie ab dem Frühjahr 2001 stabilisiert haben. Die RDR ist im März 2003 an der Regierung der Nationalen Versöhnung mit sieben Ministern beteiligt worden und in zahlreichen Lokal- und Regionalparlamenten vertreten. Es kann angesichts des nach wie vor ungelösten Grundkonflikts der Elfenbeinküste allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, dass es wieder zu einem Ausbruch von Gewalttätigkeiten kommt. Zu beachten ist ferner, dass von den Übergriffen auch einfache Mitglieder oder Sympathisanten der Partei betroffen waren. Die Auskünfte des Jahres 2003 ergeben jedoch, dass prominente Persönlichkeiten stärker gefährdet sind. Danach haben derzeit nur RDR-Mitglieder in besonders herausragenden Führungspositionen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten. Für andere Mitglieder können Übergriffe zwar nicht ausgeschlossen werden, sie sind aber nicht überwiegend wahrscheinlich.

Darüber hinaus mussten Personen in leitenden aber nicht herausragenden Positionen zu bestimmten Zeiten (von Oktober 2000 bis März 2001 sowie zwischen dem 19. September 2002 und März 2003) ebenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten.

Sie gelten bei einer Ausreise in dieser Zeit als Vorverfolgte, so dass für diese der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab heranzuziehen wäre. Der Kläger ist nach seinen Angaben jedoch lediglich einfaches Mitglied der RDR ohne irgendwelche Funktionen und Aufgaben gewesen. Er ist auch Ende des Jahres 2001, also in einer Phase der politischen Entspannung, ausgereist.

Der Kläger musste weder im Zeitpunkt seiner Ausreise noch muss er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung allein deshalb befürchten, weil er Angehöriger der Volksgruppe der Dioula und moslemischen Glaubens ist.

Es ist zu berücksichtigen, dass den Übergriffen gegen die Angehörigen der moslemischen Volksstämme des Nordens der die Politik der Elfenbeinküste seit längerm beherrschende Nord-Süd-Konflikt zugrundeliegt, der von den politischen Parteien propagandistisch geschürt wird. Zu beachten ist jedoch, dass diese Übergriffe nicht permanent, sondern in Folge bestimmter Einzelereignisse auftreten; eine systematische Verfolgung lässt sich nicht feststellen. Betroffen sind häufig nicht die Moslems ivorischer Staatsangehörigkeit. Ziel der Übergriffe sind - entsprechend dem Konzept der "Ivorite" - vielmehr in erster Linie die Gastarbeiter, die in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Krisen einfache vielfach recht- und wehrlose Opfer sind.

Die Ubergriffe betreffen auch nicht den gesamten Süden der Elfenbeinküste, sondern finden vor allem in Abidjan und anderen größeren Städten statt. Die tödlichen Opfer gehen zwar in die Tausende, zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Moslems auch in den südlichen Landesteilen eine starke Minderheit darstellen.

Ob dem Kläger in den nördlichen Landesteilen der Elfenbeinküste eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, bedarf danach auch insoweit keiner Beurteilung.

Die Zugehörigkeit zur moslemischen Volksgruppe der Dioula und die RDR-Mitgliedschaft führen auch bei zusammenfassender Betrachtung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung. Die RDR repräsentiert - wie bereits ausgeführt - den muslimischen Norden. Die große Mehrheit ihrer Anhänger gehört also den dort beheimateten Ethnien an.