VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 24.10.2003 - 12 TG 2210/03 - asyl.net: M4334
https://www.asyl.net/rsdb/M4334
Leitsatz:

Eine besondere Härte im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; Satz 2 AuslG kommt in Betracht, wenn der Ausländer sich während des Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft eine Existenzgrundlage oder vergleichbare materielle Position geschaffen hat, die er wegen der Rückkehrverpflichtung aufgeben muss.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Eigenständiges Aufenthaltsrecht, Besondere Härte, Selbstständige Erwerbstätigkeit, Transportunternehmen, Integration, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AuslG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AuslG § 19 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Die aus der Rückkehrverpflichtung des Antragstellers resultierende Notwendigkeit der Auflösung des Betriebs eines Transportunternehmens kann eine besondere Härte im Sinne des

§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 und Satz 2 AuslG darstellen. Nach der Neufassung des § 19 Abs. 1 AuslG zum 1. Juni 2000 ist der Gesetzgeber zu dem schon früher verwendeten Begriff der "besonderen Härte" zurückgekehrt, nachdem in der Fassung des AuslG von 1997 das Vorliegen einer "außergewöhnlichen Härte" als im Ausland drohende erhebliche Nachteile oder im Inland auftretende unvertretbare Folgen im Zusammenhang mit der Rückkehrverpflichtung unter Berücksichtigung gewachsener Bindungen und von Integrationsleistungen im Bundesgebiet Voraussetzung für das eheunabhängige Aufenthaltsrecht waren. Diese Fälle mussten zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so gravierend sein, dass eine andere Entscheidung als die der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vertretbar war (Renner, Nachtrag "Staatsangehörigkeitsrecht" zur 7. Auflage des Kommentars Ausländerrecht, § 19 AuslR, Rdnr. 13 m.w. Nachw.).

Nach der Neufassung des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AuslG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, von dem in § 17 Abs. 1 bezeichneten Aufenthaltszweck unabhängiges Aufenthaltsrecht verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. Eine besondere Härte im Sinne von Satz 1 Nr. 2 liegt nach der ersten Alternative insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht. Nachdem der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Neufassung klargestellt hat, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bereits dann gewährt werden soll, wenn der Ehegatte durch die Rückkehr ins Herkunftsland ungleich härter getroffen werde als andere Ausländer, die nach kurzer Aufenthaltszeit Deutschland verlassen müssten (BT-Drs. 14/2368, S. 4), und unter Berücksichtigung der Entwicklung dieser Vorschrift genügt nunmehr für die Annahme einer besonderen Härte, dass der Ehegatte durch die Rückkehr ungleich härter als andere Ausländer getroffen wird und seine schutzwürdigen Belange beeinträchtigt werden (Renner, aaO, § 19 AuslR, Rdnr. 13, 15). Zu den schutzwürdigen Belangen in diesem Sinn gehören auch im Inland geschaffene materielle und ideelle Werte, insbesondere auch erhebliche Vermögenswerte des Ausländers.

Unter diesen Voraussetzungen und nach der im Eilverfahren und Beschwerdeverfahren allein miöglichen summarischen Prüfung ist das Vorliegen einer besonderen Härte hier naheliegend.

Der Antragsteller hat in Folge seines ehebedingten Aufenthalts über das gewöhnliche Maß hinausgehende Integrationsleistungen erbracht und mit der Betriebsgründung und -führung, zu der er erst aufgrund der nicht mehr auf die Ausübung unselbständiger Erwerbstätigkeit beschränkten Aufenthaltsgenehmigung vom 13. September 2000 berechtigt war, eine Vielzahl schutzwürdiger Rechtspositionen erworben und zudem mit der Einrichtung eines weiteren Arbeitsplatzes nicht nur materielle Werte geschaffen, die durch eine durch Rückkehr erzwungene Betriebsaufgabe nicht nur beeinträchtigt, sondern verloren gehen würden. Die Rückkehrverpflichtung würde ihn zur Betriebsaufgabe und damit der Aufgabe dieser Rechtspositionen sowie seiner Existenzgrundlage zwingen, denn entgegen der offenbar gegenüber dem Antragsteller geäußerten Ansicht des Antragsgegners erscheint eine Weiterführung des Betriebs im Rhein-Main-Gebiet von seinem Heimatland Türkei aus nur schwer vorstellbar, da dieser ja auch seine Arbeitskraft einbringt und Vertragsabschlüsse unter diesen Voraussetzungen nahezu unmöglich sein dürften. Dazu, ob und inwieweit es für den Antragsteller zumutbar ist, in der Türkei in gleicher oder ähnlicher Weise eine neue Existenz aufzubauen, liegen offensichtlich keinerlei Erkenntnisse vor.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann aus den im Rahmen des Eilverfahrens ersichtlichen tatsächlichen Umständen nicht geschlossen werden, dass es an der Berücksichtigungsfähigkeit dieses schutzwürdigen Belangs fehlt, weil dieser erst nach Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft geschaffen wurde. Dies ergibt sich insbesondere nicht schon aus der erst zum 1. Mai 2001 erfolgten Gewerbeanmeldung, da zu diesem Zeitpunkt die eheliche Lebensgemeinschaft offensichtlich noch bestand, die - wie auch das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat - nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen - erst am 17. Mai 2001 mit dem Auszug der Ehefrau aus der offensichtlich bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsam bewohnten Wohnung in A-Stadt aufgehoben worden ist. Gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, damit sei der Gewerbebetrieb des Antragstellers insgesamt in der Zeit nach der nur noch 14 Tage andauernden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau begründet und aufgebaut worden, wendet dieser zu Recht ein, dass Gründung und Aufbau des von ihm betriebenen Kleintransportunternehmens schon zuvor über geraume Zeit erfolgt sind und die Kosten verursachende Anmeldung als Gewerbe erst zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurde, in dem nach Prüfung aller bedeutsamen Voraussetzungen sowie einer Marktanalyse eine Betriebsgründung als sinnvoll und sicher erschien.

Es sind bisher auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt mit der Auflösung der Lebensgemeinschaft gerechnet hat oder rechnen musste.

Diese besondere Härte ist auch nicht anders als durch Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu vermeiden, insbesondere kann die Aufenthaltsbeendigung nicht durch Erteilung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung vermieden werden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 15 i. V.m. § 7. Abs. 1 AuslG nicht in Betracht kommt, da sich entgegen der Ansicht des Antragstellers aus den von der Stadt Bad Nauheim und der IHK Friedberg vorgelegten Bescheinigungen ein öffentliches Interesse an dem Betrieb des Kleintransportunternehmens nicht entnehmen lässt.