VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 05.09.2003 - 9 UZ 826/02 - asyl.net: M4338
https://www.asyl.net/rsdb/M4338
Leitsatz:

1. Bei einer Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG handelt es sich nicht um eine Rechtsvorschrift, sondern um eine Willenserklärung dieser Behörde, die unter Berücksichtigung des wirklichen Willens und der tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten und geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, auszulegen und anzuwenden ist (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63 = NVwZ 2001, 210 = DVBl. 2001, 214 = InfAuslR 2001, 70 = EZAR 015 Nr. 22).

2. Ein Beschluss der Innenministerkonferenz begründet nicht die Pflicht eines Bundeslandes, die Aufnahme der betreffenden Ausländergruppe in - im Vergleich zur Regelung des Beschlusses - unbeschränkter Form durch landesrechtliche Anordnung nach § 32 AuslG umzusetzen. § 32 Abs. 1 AuslG räumt der obersten Landesbehörde lediglich die Befugnis zu der dort vorgesehenen Anordnung ein, begründet indes keine entsprechende Verpflichtung. Bleibt ein Bundesland in einer nach § 32 AuslG erlassenen Anordnung - was den begünstigten Personenkreis angeht - hinter einem der Anordnung zugrunde liegenden Beschluss der Innenministerkonferenz zurück, so kann ein Ausländer nicht mit Erfolg verlangen, in Übereinstimmung mit der ihm günstigeren Regelung im Beschluss der Innenministerkonferenz behandelt zu werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 66.97 -, NVwZ-RR 1997, 568 = InfAuslR 1997, 302 = EZAR 015 Nr. 14; Hailbronner, AuslR, Stand: Mai 2003, AuslG § 32 Rdn. 16).

3. Vor dem 1. Januar 1999 eingereiste alleinstehende Personen und Ehegatten ohne Kinder, für die nach Abschnitt II.3.5 des Beschlusses der Innenministerkonferenz 1999 (i.V.m. dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. November 1999) die Regelungen für Asylbewerberfamilien und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern (II.3.1 ff. des Beschlusses) entsprechend gelten, kommen nicht in den Genuss der Härtefallregelung, wenn sie ihren Asylantrag erst geraume Zeit nach ihrer Einreise und nach dem Stichtag 1. Januar 1999 gestellt haben. Insoweit gilt für sie - mit anderem Stichtag - die Regelung entsprechend, wie sie durch Ziffer 3 (zweiter Spiegelstrich) des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000 für Asylbewerberfamilien und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern - bezogen auf den Stichtag 1. Juli 1993 - vorgesehen ist.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltsbefugnis, Bleiberechtsregelung 1999, Erlasslage, IMK-Beschluss, Einvernehmen, Bundesinnenministerium, Gleichheitsgrundsatz, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel
Normen: AuslG § 32; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Der Kläger beruft sich in der Begründung seines Zulassungsantrags vom 27. Februar 2002 zunächst darauf, dass ernstliche Zweifel gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Der Senat vermag diese Einschätzung anhand der seine Überprüfung lenkenden Darlegungen im vorgenannten Schriftsatz nicht zu teilen.

Im Übrigen kann es auch nach Einschätzung des Senats keinem Zweifel unterliegen, dass sich die Frage, ob in Hessen unter Beachtung der Härtefallregelung 1999 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden kann, allein nach der gemäß § 32 AuslG ergangenen Anordnung der obersten Landesbehörde bestimmt und nicht nach einem - eventuell von einer solchen Anordnung abweichenden - Beschluss der Innenministerkonferenz. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 19.99 -, BVerwGE 112, 63 = NVwZ 2001, 210 = DVBl. 2001, 214 = InfAuslR 2001, 70 = EZAR 015 Nr. 22) davon aus, dass es sich bei der Anordnung der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG nicht um eine Rechtsvorschrift handelt, die ggf. aus sich heraus auszulegen ist, sondern um eine Willenserklärung der obersten Landesbehörde, die unter Berücksichtigung des wirklichen Willens und der tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten und geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, auszulegen und anzuwenden ist. Dies hat zur Folge, dass ein auf § 32 AuslG und eine nach dieser Vorschrift ergangene Anordnung der obersten Landesbehörde gestützter Anspruch des Ausländers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nur insoweit bestehen kann, als er in der Anordnung und der auf ihr basierenden tatsächlichen Verwaltungspraxis eine Stütze findet.

Offenbar will der Kläger geltend machen, dass die Einschränkung in der hessischen Härtefallregelung 1999/2000, wonach Personen, die zwar vor dem Stichtag eingereist sind, ihren Asylantrag jedoch erst geraume Zeit nach Einreise und nach dem Stichtag gestellt haben, nicht in den Genuss der Härtefallregelung kommen sollen, mangels eines entsprechenden Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern unwirksam sei. In der Tat ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats nicht ersichtlich, dass die oberste hessische Landesbehörde auch in Ansehung des den Erlass vom 22. November 1999 (in Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 18./19. November 1999) "präzisierenden" Erlasses vom 20. Januar 2000 das Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern im Sinne des § 32 Satz 2 AuslG hergestellt hätte. Selbst wenn man daher das Fehlen dieses Einvernehmens unterstellen wollte, hätte dies aber nicht die vom Kläger vermutete Konsequenz. Insbesondere könnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung, wonach Personen, die zwar vor dem Stichtag eingereist sind, ihren Asylantrag jedoch erst geraume Zeit nach Einreise und nach dem Stichtag gestellt haben, nicht in den Genuss der Härtefallregelung kommen, unwirksam wäre. Dabei mag dahin stehen, ob diese Anordnung nicht ohnehin nur - wie im Erlass ausgeführt - eine Präzisierung der ursprünglichen, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern ergangenen Anordnung vom 22. November 1999 darstellt und daher nur klarstellt, was schon im Ursprungserlass - wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit - angelegt war. Selbst wenn die oberste Landesbehörde die ursprüngliche Anordnung vom 22. November 1999 (in Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 18./19. November 1999) und damit den von dieser begünstigten Personenkreis durch die vorgenannte "Präzisierung" eingeschränkt hätte, könnte sich ein Ausländer nicht allein auf die großzügigere Regelung im Beschluss der Innenministerkonferenz 1999 berufen. Denn weder dieser Beschluss noch das in Ansehung dieses Beschlusses generell hergestellte Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern begründen die Pflicht eines Bundeslandes, die Aufnahme der betreffenden Ausländergruppe in - im Vergleich zum Beschluss - unbeschränkter Form durch landesrechtliche Anordnung nach § 32 AuslG umzusetzen. § 32 Satz 1 AuslG räumt den obersten Landesbehörden lediglich die Befugnis zu der dort vorgesehenen Anordnung ein, begründet indes keine entsprechende Verpflichtung. Bleibt ein Bundesland in einer nach § 32 AuslG erlassenen Anordnung - was den begünstigten Personenkreis angeht - hinter einem der Anordnung zugrunde liegenden, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern erlassenen Beschluss der Innenministerkonferenz zurück, so mag die (einschränkende) Anordnung möglicherweise wegen fehlenden (erneuten) Einvernehmens unwirksam sein, ein Anspruch des Ausländers darauf, in Übereinstimmung mit der ihm günstigeren Regelung im Beschluss der Innenministerkonferenz behandelt zu werden, resultiert hieraus indes nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 66/97 -, NVwZ-RR 1997, 568 = InfAuslR 1997, 302 = EZAR 015 Nr. 14; Hailbronner, AuslR, Stand: Mai 2003, AuslG § 32 Rdn. 16).

Sollte sich auf der Grundlage des zuvor Ausgeführten der Zustand ergeben, dass eine bestimmte Ausländergruppe in verschiedenen Bundesländern aufgrund der jeweils erlassenen Anordnungen nach § 32 AuslG ungleich behandelt wird, wäre dies - da der Gleichbehandlungsgrundsatz nur die Behörden eines jeden Bundeslandes zwingt, die ihrer Hoheitsgewalt unterliegenden Bürger nicht willkürlich ungleich zu behandeln - nicht von rechtlicher Relevanz (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 19.99 -, a.a.O.). Auch mit seinem aus Art. 3 GG hergeleiteten Argument vermag der Kläger daher keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu begründen.