VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 15.08.2003 - 3 UE 2870/99.A - asyl.net: M4339
https://www.asyl.net/rsdb/M4339
Leitsatz:

Asylbewerbern aus der Demokratischen Republik Kongo droht weder allein wegen der Asylantragstellung noch wegen einer nicht besonders exponierten Exilpolitik politische Verfolgung bei Rückkehr in ihr Heimatland.

Das Risiko, nach längerem Auslandsaufenthalt an Malaria zu erkranken, ist in Kinshasa nicht in einem solchen Maße gesteigert, dass Rückkehrer "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten (Amtliche Leitsätze)

Verletzungen" ausgeliefert würden.

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, LCD, Haft, Machtwechsel, Beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Politische Entwicklung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, PDSC, Demonstrationen, Offener Brief, Publikationen, Internet, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Malaria, Infektionsrisiko, Semi-Immunität, Allgemeine Gefahr, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

 

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG.

Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus ihrem Heimatland ausgereist. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in sein Heimatland nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 141/80 a.a.O.). Bei der Prüfung der Frage, ob dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland, die Demokratische Republik Kongo (DRK), politische Verfolgung droht, ist der "normale" Wahrscheinlichkeitsmaßstab mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzulegen. Auf die Frage, ob er vor seiner Ausreise aus seinem Heimatland, das damals noch Zaire hieß, politisch verfolgt worden ist, kommt es nicht mehr an, denn jedenfalls wegen des inzwischen erfolgten Machtwechsels sind eventuelle Akte politischer Verfolgung der heutigen Regierung der DRK nicht zurechenbar (Hess. VGH, U. v. 17.06.1999 - 3 UE 404/95 -).

Vorliegend bestehen auch keine Besonderheiten, die es gleichwohl, als möglich erscheinen lassen könnten, dass der Kläger zu 1. wegen seines Verhaltens vor seiner Ausreise, insbesondere wegen seiner Tätigkeit für die von ihm gegründete LCD, Verfolgung befürchten müsste. Angesichts der Tatsache, dass die Macht in Zaire inzwischen von Kabila Senior auf Joseph Kabila gewechselt hat und somit ein zweimaliger Wechsel in der diktatorischen Spitze des Regime stattfand, die Partei, die der Kläger zu 1. gegründet hat, relativ klein war und in der Folgezeit nach der Ausreise des Klägers zu 1. weder in der DRK noch im Ausland weitergeführt wurde, ist nicht erkennbar, dass das Regime ein Interesse an der Verfolgung von Taten haben könnte, die unter dem Mobutu-Regime möglicherweise eine Verfolgung ausgelöst haben.

Dem Kläger droht bei der Rückkehr in die DRK nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Wegen des Asylantrags, den der Kläger zu 1. auch nach dem Machtwechsel zu Kabila senior bzw. Kabila junior aufrecht erhalten hat, droht ihm keine politische Verfolgung. Er hat seinen Asylantrag mit der Kritik an der Regierung Mobutu und den von ihm geschilderten Haftsituationen begründet. Allein der Asylantrag wird daher wegen der gegen die damalige Politik Mobutus gerichtete Zielrichtung unter der Herrschaft Kabilas nicht zu einer politischen Verfolgung des Klägers zu 1. und seiner Familie führen.

Auch die exilpolitische Tätigkeit des Klägers zu 1. für die PDSC in der Bundesrepublik lässt nicht auf die Gefahr politischer Verfolgung bei Rückkehr in das Heimatland schließen.

Durchgehend vertritt das Auswärtige Amt die Auffassung, dass Mitgliedern der PDSC keine Verfolgung in der DRK droht, obwohl die politischen Parteien verboten seien (AA, z.B. 04.07.1997) 08.12.1997; sowie allgemein Lagebericht vom 02.08.2002).

Die vom Kläger angegebenen öffentlichen Aktionen liegen einige Jahre zurück und haben von ihrer Tragweite und ihrer Bedeutung für das politische Leben in der Bundesrepublik nicht ein Ausmaß, das es in irgendeiner Weise wahrscheinlich machen könnte, dass kongolesische Stellen darauf aufmerksam geworden wären. Es fehlen insoweit auch jegliche Angaben des Klägers zu 1. dazu, dass sich bei den Demonstrationen eine Vielzahl von Menschen eingefunden hätte oder dass die Demonstrationen ansonsten aus einem anderen Grund besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregt hätten. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 1. aus der Masse der übrigen Asylbewerber aufgrund seiner Aktivitäten damit deutlich hervorgetreten wäre, sodass den Regierungsstellen bewusst geworden wäre, dass mit diesen Aktivitäten nicht nur ein Bleiberecht im Ausland erreicht werden solle.

Auch regimekritische Schreiben an Kabila, die von Staatsangehörigen der DRK des Öfteren per Einschreiben an den Diktator gesandt werden, führen nicht zu der Annahme, dass Kabila die Absender bei Rückkehr ins Heimatland politisch verfolgt. Die häufig geübte Praxis von Exilkongolesen, solche Briefe an den Amtssitz zu schicken, wird nach Auffassung des Auswärtigen Amtes (Auskunft vom 07.12.1998) dann als unbeachtlich eingestuft, wenn gravierende formelle Mängel oder erhebliche autographische Ungenauigkeiten auf einen im Umgang mit Behörden ungeübten Verfasser hindeuten und wenn die erforderliche Ernsthaftigkeit des Vorbringens nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.

Gleiches gilt entsprechend für den Text, den der Kläger seinen Angaben zufolge ins Internet gestellt hat und der sich kritisch zu Laurent-Désiré Kabila verhält.

Auch die Erkenntnisse von amnesty international (ai) stehen dem nicht entgegen. Die Organisation hat keine konkreten Erkenntnisse über Referenzfälle, in denen zurückkehrende Kongolesen wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit verfolgt worden wären.

Die Kläger Familie können sich auch nicht auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen.

Soweit es die Gefahren durch Malaria betrifft, stellt diese Krankheit eine Gefahr dar, die der ganzen Bevölkerung droht, sodass grundsätzlich eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG notwendig wäre. Eine Extremgefahr infolge der schlechten Lebensbedingungen lässt sich auch selbst unter Berücksichtigung der Gefährdung durch eine eventuelle Erkrankung an Malaria in der DRK für die klagende Familie nicht feststellen (vgl. ebenso: OVG Baden-Württemberg, U. v. 13.11.2002, a.a.O.; OVG Münster, U. v.18.04.2002, a.a.O.).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die einmal erworbene Semi-Immunität nach

längerem Aufenthalt außerhalb eines Malariaübertragungsgebietes wieder verloren geht, kann eine Extremgefahr für Erwachsene ausgeschlossen werden. Selbst wenn man von einer Erkrankungshäufigkeit von 3 bis 4%, wie sie sich aufgrund der Erkrankungsrate bei Touristen errechnen lässt, annimmt und eine Sterblichkeitsrate von 1 % zugrunde legt, wie sie bei Kindern in der Altersgruppe von 0 bis 4 Jahren vorliegt, stellt dies keine Extremgefahr dar. Die Höhe dieser Sterblichkeitsrate bedeutet nicht, dass jeder Abgeschobene gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod entgegengeht. Darüber hinaus kommt hinzu, dass es wirksame und kostengünstige Prophylaxemöglichkeiten gibt, wie beispielsweise das imprägnierte Moskitonetz.

Zwar wird das malariaspezifische Sterberisiko unter Umständen gesteigert, wenn Durchfallerkrankungen aufgrund verseuchten Wassers hinzukommen, wie der Gutachter Junghanss in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2001 vor dem VGH Baden-Württemberg ausgeführt hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 13.11.2002, a.a.O.). Ein solches erhöhtes Risiko besteht insoweit aufgrund fehlender Gewöhnung an die Keimflora jedoch nur für Kleinkinder, die von außen in das Erregergebiet kommen, nicht jedoch für Erwachsene.

Auch die Frage, ob die klagende Familie nach eventueller Infektion mit Malaria schwerste Verletzungen erleidet, ist zu verneinen. Nach Angaben des Gutachters Junghanss in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2002 vor dem VGH Baden-Württemberg (zitiert nach VHG Baden-Württemberg, U. v. 13.11.2002, a.a.O.) müssen Rückkehrer mit verloren gegangener Semi-Immunität in Malariagebieten mit einer schweren Malaria rechnen. Auch kann eine schwere Malaria bleibende Schäden zur Folge haben. Allerdings liegt dieses Risiko von Spätschäden nur bei 10 bis 20%. Es handelt sich dabei auch nicht stets um schwerwiegende Schäden, wie etwa Erblindung und Lähmung, sondern dieses Risiko ist nochmals geringer. Damit kann auch insoweit von einer extremen Gefahr schwerster Verletzungen nicht ausgegangen werden.

Auch ansonsten geben die allgemein schlechten wirtschaftlichen und sozialen

Lebensbedingungen in der DRK keinen ausreichenden Anlass, von einer extremen Situation auszugehen. Es herrscht in der Region keine allgemeine Hungersnot; es ist auch nicht erkennbar, dass gerade im Großraum Kinshasa eine besonders schlechte Lebensmittelversorgung bestünde.