Gefahren, die älteren Menschen aufgrund fehlender medizinischer Versorgung drohen, da sie keine Versicherung oder anderweitige ausreichende Unterstützung haben, sind allgemeine Gefahren gem. § 53 Abs. 6 S. 2, § 54 AuslG; zur Situation älterer Menschen in Georgien.(Leitsatz der Redaktion)
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Ablehnung der Änderung des Bescheides vom 10.07.1996 hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten. Sie hat wiederum keinen Anspruch auf Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses (§ 113 Abs. 5 VwGO). [...]
Von der Behandlungsbedürftigkeit ausgehend, bestehen in Anbetracht der dem Gericht zur Verfügung stehenden Auskunftslage erhebliche Zweifel an der Erreichbarkeit der erforderlichen Behandlung. Auch wenn der hier vorliegende insulinpflichtige Diabetes Mellitus in Georgien grundsätzlich behandelt werden kann und auch die erforderlichen Medikamente grundsätzlich erhältlich sein sollten (so die Dt. Botschaft in Tiflis in den vom Bundesamt herangezogenen Auskünften sowie Auskunft vom 05.08.2003 an VG Schleswig und 05.03.2003 an VG Gießen), so ist zu befürchten, dass diese Behandlung trotz etwaiger staatlicher Programme bzw. trotz des in den Auskünften vom 08.07.2002 und 05.03.2003 geschilderten Verfahrens nur in der Theorie kostenlos ist, praktisch aber aufgrund der desolaten Finanzlage des georgischen Gesundheitssystems für viele Kranke unerreichbar bleibt – wie es übrigens die von der Beklagten beigezogene Auskunft der Botschaft vom 07.08.2001 an das VG Gelsenkirchen bereits angedeutet hat (vgl. dazu ausführlicher: Einzelrichterurteil der Kammer v. 31.03.2003 – 14 A 295/99 – S. 19 ff).
Eine solche Unerreichbarkeit für die Klägerin unterstellt, ist allerdings nicht dargelegt, ob eine unzureichende oder unterbrochene Behandlung / Medikation bei dem vorgetragenen Krankheitsbild tatsächlich auch zu einer wesentlichen Verschlimmerung des Zustandes führen würde und v.a., ob mit dieser Verschlimmerung auch konkret, d.h. alsbald nach Rückkehr in den Heimatstaat zu rechnen wäre. Die gerichtliche Frage nach den voraussichtlichen Folgen des Abbruchs der hier stattfindenden ärztlichen und medikamentösen Behandlung wurde durch das ärztliche Schreiben vom 09.09.2003 nicht beantwortet und ergibt sich auch sonst nicht ohne weiteres aus den Umständen oder der Aktenlage.
Hinzu kommt, dass eine individuell festzustellende erhebliche Gefahr im Zielstaat nicht soweit verbreitet sein darf, dass daraus eine allgemeine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG herzuleiten ist, die eine politische Leitentscheidung im Sinne des § 54 AuslG gebietet. Dies ist nach der höchstrichterlicher Rechtsprechung der Fall, wenn sich aus einer allgemeinen Gefahr wie etwa der schlechten wirtschaftlichen oder medizinischen Versorgungslage individuelle Gefährdungen ergeben, die durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber gleichwohl nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (hierzu ausführlich Urteil v. 31.03.2003 a.a.O. mit Verweis insbesondere auf BVerwG, Urteil vom 08.12.1998 – 9 C 4/98 -, BVerwGE 108, 77 ff = InfAuslR 1999, 266 ff).
In Anwendung dieser Grundsätze hat das BVerwG in seinem Beschluss vom 29.04.2002 (- 1 B 59/02 -) klargestellt, dass eine Gesundheitsgefahr wegen eines aus finanziellen Gründen beschränkten Zugangs zu einer Heilbehandlung sowohl eine Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 1 als auch eine allgemeine Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG darstellen kann. Der vom BVerwG u.a. zitierte VGH München (Urteil vom 10.10.2000 – 25 B 99.32077 -) hatte eine Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG angenommen für Gesundheitsgefahren, die sich aus der mangelnden Finanzierbarkeit medizinischer Versorgung ergeben. Dabei verwies er explizit darauf, dass Kranke, die ohne Einkommen und finanzielle Unterstützung durch die Familie keine hinreichende medizinische Versorgung erlangen können, eine Bevölkerungsgruppe in diesem Sinne bilden, wenn Erwerbsunfähigkeit, fehlender Versicherungsschutz und finanzielle Unterstützungsbedürftigkeit als häufige Erscheinung im Heimatland festzustellen sind. Ursache solcher schwierigen Lebensbedingungen seien die wirtschaftliche und soziale Situation für die Bevölkerung insgesamt, die sich typischerweise in einem unterentwickelten Versorgungssystem auswirkten.
Für den Herkunftsstaat Armenien hat das BVerwG entschieden, dass der gesamten Bevölkerung oder jedenfalls der Bevölkerungsgruppe der älteren Erwerbslosen aufgrund der dortigen katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Situation die typischerweise damit verbundenen Mangelerscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit, Unterernährung oder unzureichende medizinische Versorgung droht und zu erheblichen Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 AuslG führt mit der Folge, dass Abschiebungsschutz nur über eine politische Leitentscheidung nach § 54 AuslG oder ausnahmsweise im Einzelfall bei einer extremen Gefahr gewährt werden kann (Urteil vom 08.12.1998 –9 C 4.98 – BVerwGE 108, 77 ff).
Nach diesen Grundsätzen wäre auch für die Klägerin der Anspruch des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG "gesperrt", weil die Gefahr, aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgungslage einer erheblichen Gesundheitsgefahr ausgesetzt zu sein, nach den obigen Feststellungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zugleich eine Vielzahl weiterer Personen in Georgien betrifft, die wie die Klägerin aufgrund ihres Alters kein eigenes Einkommen haben, keinen Versicherungsschutz genießen und alleinstehend ohne ausreichende anderweitige Unterstützung wären. Dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich für sich geltend gemacht.
Eine entsprechende politische Leitentscheidung gibt es in Schleswig-Holstein trotz der festzustellenden erheblichen Gefahren für behandlungsbedürftige Georgier nicht. Gleichzeitig ist für die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr keine solche extreme Gefahr dargelegt, dass sie "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde" (BVerwG a.a.O.). Für die Annahme eines solchen Sachverhaltes ist in Anbetracht des geschilderten Inhalts der bis zur Entscheidung vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen nichts erkennbar. Es ist weder mitgeteilt, um welchen Typ Diabetes es sich handelt, noch, in welchen Intervallen die ärztliche Betreuung erfolgen muss oder welche konkret absehbaren Folgen es hätte, wenn diese ausbliebe bzw. die Medikamente nicht erhältlich wären. [...]