OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.12.2003 - 3 LB 11/02 - asyl.net: M4497
https://www.asyl.net/rsdb/M4497
Leitsatz:

Keine politische Verfolgung von ethnischen Minderheiten und gemischt-ethnischen Familien in Serbien und Montenegro einschließlich Kosovo; keine extreme Gefährdungslage für ethnische Minderheiten; posttraumatische Belastungsstörung ist in Serbien und Montenegro behandelbar.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Albaner, Serben, Mischehen, Gemischt-ethnische Abstammung, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Registrierung, Sozialleistungen, Existenzminimum, Diskriminierung, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Medizinische Versorgung, Retraumatisierung
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

 

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien einschließlich Kosovo.

Insofern ist vorab festzustellen, dass die Kläger nicht nur - wie dies das Verwaltungsgericht bereits rechtskräftig festgestellt hat - im Kosovo vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind, sondern auch in Serbien oder Montenegro, so dass für die Frage des Vorliegens von Abschiebungshindernissen das gesamte Staatsgebiet von Serbien und Montenegro in den Blick zu nehmen ist.

Die Kläger sind selbst als gemischt-ethnische Familie bei einer Rückkehr in ihr Heimatand gegenwärtig und auf absehbare Zeit auf Grund der nach ihrer Ausreise erfolgten durchgreifenden Veränderung der politischen Verhältnisse in Serbien vor politischer Verfolgung hinreichend sicher und müssen dort wegen des albanischen Vaters und Ehemannes keine politische Verfolgung mehr befürchten. Die neue politische Führung in Serbien gewährleistet den Minderheiten Schutz; in Montenegro ist dies schon länger der Fall.

Die wirtschaftliche Situation in Serbien und Montenegro ist zwar weiterhin prekär, doch ist die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ebenso wie die medizinische Grundversorgung gewährleistet. Angehörige von Minderheiten, auch albanische Volkszugehörige oder gemischt ethnische Familien haben in Serbien und Montenegro, sofern sie dort mit einem ständigen Wohnsitz registriert sind, grundsätzlich Zugang zu allen staatlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, insbesondere zu Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge, Bildungseinrichtungen und Wohnraum. Hierbei kommt es aber oft zu praktischen Problemen, wenn die notwendigen Dokumente für die Registrierung fehlen, so insbesondere bei aus dem Kosovo geflohenen Personen ohne Papiere, da dann eine Registrierung nicht erfolgt. Das Minderheitenministerium versucht, hier die relevanten Gesetze zu

ändern und praktische Hilfe zu leisten.

Bezogen auf die Problematik der inländischen Fluchtalternative ist festzustellen, dass Angehörige von gemischt-ethnischen Familien in Serbien bei der vorzunehmenden generalisierenden Betrachtung, bei der allerdings Besonderheiten des Einzelfalles in der gebotenen Weise zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, DVBI 1994, 524; BVerwG, Buchh. 402.25 § 1 AsylVfG a.F. Nr. 104 und 145), dort nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten haben, dass sie so im Kosovo nicht befürchten müssten. Im Gegenteil ist die Ausgangssituation für die Betroffenen in Serbien und Montenegro, zumindest dann, wenn ihnen eine Registrierung gelingen kann, weil ihnen insbesondere nicht die notwendigen Papiere fehlen, deutlich besser als im Kosovo, vor allem im Hinblick auf die angebotenen Sozialleistungen, zu denen sie dann Zugang haben.

Dies gilt auch im Falle der Kläger, da die Klägerin zu 2) ebenso wie der Ehemann und Vater der Kläger zu 3) bis 5) seinerzeit mit gültigem Personalausweis ausgereist war, und die Kläger damit bei einer generalisierenden Betrachtung nach Beschaffung neuer Ausweispapiere die Möglichkeit einer Registrierung bei einer Niederlassung in Serbien oder Montenegro haben.

Im Hinblick auf die allgemein schwierige Lage gemischt-ethnischer Familien, die sich insbesondere durch Vorbehalte und Diskriminierungen im täglichen Leben auszeichnet, handelt es sich um eine Problematik, die grundsätzlich nur Gegenstand einer Entscheidung nach § 54 AuslG sein kann, da insoweit eine größere Bevölkerungsgruppe betroffen ist.

Jedoch ist nach den vorherigen Ausführungen festzustellen, dass eine Abschiebung nach Serbien-Montenegro die Kläger nicht gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Im Gegenteil ist eine solche extreme Gefährdungslage, die die Anwendung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen könnte, bezogen auf das Gebiet von Serbien oder Montenegro gerade nicht festzustellen. Der Senat braucht daher der Frage, wie sich die Situation in Bezug auf das Kosovo für gemischt-ethnische Familien darstellt, nicht näher nachzugehen.

Aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Befundbericht der Verhaltenstherapeutin... ergibt sich, dass die Klägerin zu 2) von ihrem albanischen Ehemann eingesperrt und seit Jahren schwer körperlich und seelisch misshandelt wird. So schlägt er sie mit Metallstangen und anderen Gegenständen, dies auch, als sie schwanger war. Sie hat sich bislang aus Angst vor seiner Familie und weil die Kinder an ihm hängen, nicht von ihm getrennt. Die Klägerin leidet nach ihren Angaben gegenüber der Therapeutin durch diese jahrelangen schweren Misshandlungen mittlerweile an bizarren Verhaltensweisen in Gegenwart anderer Menschen, so uriniert sie beispielsweise unkontrolliert. Sie hat große Angst vor ihrem Ehemann und deshalb auch Suizidgedanken. Die Therapeutin spricht von einer durch diese schweren Misshandlungen des Ehemannes, die Trennung von ihrer montenegrinischen Familie und von ihrem Rollenbild als selbständigere Frau und den Kulturschock im Kosovo ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung, die aufrechterhalten wird durch die weiter bestehende Bedrohung durch den Ehemann.

Aus dieser und den weiteren Erkrankungen der KIägerin zu 2) ergeben sich für diese aber auch keine individuellen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.

Die Klägerin zu 2) leidet nach den von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Attesten an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren depressiven Episode und es besteht der Verdacht auf eine Verhaltensstörung aufgrund einer Schädigung des Gehirns. Desweiteren leidet sie an einem Erschöpfungssyndrom, Nervosität und Schmerzen, sonstigen Rückenschmerzen, einer chronischen venösen Insuffizienz, einer vegetativen Dystonie, psychosomatischen Störungen, einem kIimakterischen Syndrom, polymalgia rheumatica und cerebraler vasculitis.

Es ist nach der Erkenntnislage nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland alsbald wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten oder einer Retraumatisierung verschlimmern würde, und es auf diese Weise alsbald zu einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung kommen würde.

In Serbien und Montenegro gibt es nur sehr wenige Erkrankungen, die aufgrund fehlender Ausrüstung oder Ausbildung des Personals nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Insbesondere orthopädische und psychische Erkrankungen sind behandelbar. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation, die auch das Gesundheitswesen betrifft, kann es zwar vorübergehend zu Engpässen kommen, jedoch werden lebensbedrohliche Erkrankungen im Regelfall sofort behandelt.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Retraumatisierung besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung im Falle einer Abschiebung der Klägerin zu 2). Eine solche ist nach den vorgelegten ärztlichen Attesten vor allem bei einer Rückkehr in den Kosovo gemeinsam mit dem Ehemann zu befürchten. Anders verhält es sich aber, wenn die Klägerin zu 2) nach Montenegro in den Schutz ihrer Familie zurückkehrt. Anhaltspunkte dafür, dass sich dort ihre gesundheitliche Situation verschlechtern könnte, bestehen nicht, sondern es spricht vielmehr vieles für das Gegenteil, insbesondere wenn sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann trennen würde.