OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.12.2003 - 3 LB 51/01 - asyl.net: M4498
https://www.asyl.net/rsdb/M4498
Leitsatz:

Keine politische Verfolgung von Roma im Kosovo oder Serbien und Montenegro; keine extreme Gefährdungslage für Roma im Kosovo oder Serbien und Montenegro.

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Roma, Krankheit, Bronchitis, Lungenemphysem, Übergriffe, Verfolgungsbegriff, Gebietsgewalt, UNMIK, KFOR-Truppen, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Zurechenbarkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Interne Fluchtalternative, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage, Existenzminimum, Diskriminierung, Medizinische Versorgung, Erlasslage, Memorandum of Understanding
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Keine politische Verfolgung von Roma im Kosovo oder Serbien und Montenegro; keine extreme Gefährdungslage für Roma im Kosovo oder Serbien und Montenegro.

(Leitsatz der Redaktion)

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.

Ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG besteht trotz der nach wie vor äußerst angespannten Sicherheitslage für Roma im Kosovo nicht, weil die gegen die Angehörigen der Roma gerichteten Maßnahmen keine politische Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG darstellen. Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung, wobei dem Staat staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die ihn verdrängt haben, oder denen er das Feld überlassen hat und die ihn insoweit ersetzen (vgl. BVerfG a.a.O. und BVerfG, InfAuslR 2000, 521 ff.). Einer derartigen staatlichen oder quasi staatlichen Verfolgung sind die Angehörigen der Roma seit dem Einzug der KFOR-Truppen im Kosovo aber nicht mehr ausgesetzt und es ist auch nicht erkennbar, dass sich hieran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Vielmehr ist festzustellen, dass aus dem Kosovo stammende Roma im Falle einer Rückkehr in den Kosovo vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sind, so dass selbst im Fall von vorverfolgt ausgereisten Angehörigen dieser Minderheit die Annahme einer politischen Verfolgung nicht in Betracht kommt.

Unabhängig hiervon sind Roma aber in auch in Serbien vor politischer Verfolgung hinreichend sicher und es drohen ihnen dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen und am Herkunftsort - ohne die dortige Verfolgung - so nicht bestünden (vgl. zur sog. inländischen Fluchtalternative BVerfGE 80, 315 343 f.>; 81, 58 65 f.>).

Die gewalttätigen Übergriffe gegen Angehörige nichtalbanischer Bevölkerungsgruppen im Kosovo stellen keine politische Verfolgung dar.

Die im Kosovo stattfindenden gewalttätigen Übergriffe gegen Angehörige nichtalbanischer Bevölkerungsgruppen wie z. B. Roma durch albanische Zivilisten sind der internationalen Gemeinschaft bereits nicht als mittelbare Verfolgung zurechenbar.

Anhaltspunkte dafür, dass die UNMIK und die KFOR-Truppen nicht sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gleichermaßen zum Schutz aller im Kosovo lebenden Bevölkerungsgruppen einsetzen, bietet das zur Verfügung stehende Erkenntnismaterial nicht. Die UNMIK und die KFOR gewähren allen im Kosovo lebenden Bevölkerungsgruppen - und damit auch den Roma - mit den ihnen an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz und sind dazu prinzipiell auch in der Lage, zumal insoweit übereinstimmend alle Erkenntnisquellen zumindest von einer graduellen Verbesserung der Sicherheitslage der Minderheiten im Kosovo berichten.

Unabhängig von der Situation im Kosovo wären die Kläger als Angehörige der Roma bei einer Rückkehr in ihr Heimatland gegenwärtig und auf absehbare Zeit auf Grund der nach ihrer Ausreise erfolgten durchgreifenden Veränderung der politischen Verhältnisse in Serbien vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Die Kläger müssen als Roma in Serbien keine politische Verfolgung mehr befürchten. Die neue politische Führung in Serbien gewährleistet den Minderheiten Schutz; in Montenegro ist dies schon länger der Fall. Aus diesem Grunde hat der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 23. Mai 2002 - 3 L 176/95 - und 11. September 2003 - 3 LB 35/01 - für Minderheiten in Serbien eine hinreichende Verfolgungssicherheit bejaht, wobei es in den Beschlüssen - wie vorliegend - um moslemische Roma ging.

Zur Lage der Roma gibt es zwar nach wie vor Berichte über eine starke Diskriminierung dieser Minderheit in der jugoslawischen Gesellschaft, jedoch geht dies nicht auf gezielte staatliche Maßnahmen zurück. Im Gegenteil widerspricht dies der neuen Minderheitenpolitik im Heimatland der Kläger. So berichtet das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 17. Mai 2001 an das VG Köln, dass in früheren Zeiten vereinzelt Übergriffe von Skinheads auf Roma bekannt geworden seien, in der jüngsten Zeit aber nicht mehr. Roma sind seit dem politischen Umschwung am 5. Oktober 2000 besser geschützt. Die Justizbehörden greifen jetzt Klagen von Roma auf.

Im Hinblick auf die allgemein schwierige Lage der Roma handelt es sich um eine Problematik, die grundsätzlich nur Gegenstand einer Entscheidung nach § 54 AuslG sein kann, da insoweit eine ganze Bevölkerungsgruppe betroffen ist. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG kommt schon nicht in Betracht, weil für die Kläger aufgrund des Erlasses des Schleswig-Holsteinischen Innenministeriums vom 23. Mai 2003 - IV 606 - 212 - 29.234.50 -14 in Anknüpfung an das Memorandum of Understanding des Bundesministers des Innern und des UNMIK-Sonderbeauftragten Steiners vom 31. März 2003 eine mit einem Abschiebestopp nach § 54 AuslG vergleichbare Schutzsituation geschaffen wurde.

Aber selbst wenn man in Betracht zieht, dass der genannte Erlass nur noch für dieses Jahr gilt, ergibt sich gleichwohl kein anderes Ergebnis. Denn es besteht keine extreme Gefährdungslage in dem vorbezeichneten Sinne im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Kläger zur Volksgruppe der Roma, die die Anwendung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen könnte. Dies gilt weder bezogen auf das Gebiet des Kosovo noch auf Serbien.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen kann trotz der Berichte über Übergriffe auf Roma im Kosovo nicht angenommen werden, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppe bei einer Abschiebung in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dem steht entgegen, dass UNMIK und KFOR nicht nur durchweg bereit, sondern in weiten Bereichen auch in der Lage sind, den Roma und Ashkali Schutz zu gewähren.

Für die Bevölkerungsgruppe der Roma in Serbien ist zwar festzustellen, dass ihre Lebensbedingungen in Serbien ausgesprochen schwierig sind und es im täglichen Leben in der Tat immer noch Vorbehalte und Diskriminierungen gibt. Diese schwierige Situation rechtfertigt aber ebenfalls nicht die Annahme einer extremen Gefahrenlage, denn es kann auch im Bezug auf Serbien keine Rede davon sein, dass Roma im Falle der Abschiebung dort gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden.

Auch aus den Erkrankungen der Kläger ergeben sich keine individuellen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.

Der Kläger zu 1) leidet an einer chronischen Bronchitis (beginnendes Lungenemphysem), die die Gabe inhalativer Medikamente erforderlich macht, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, vorrangig aber einen Stopp der Nikotinzufuhr. Die Klägerin zu 2) leidet an einer Echinokokose der Leber, Zustand nach Operation, die 1996 mit einer Escarzoltherapie behandelt wurde. Seitdem waren/sind (nur noch) einmal im Jahr Kontrolluntersuchungen mittels Ultraschall erforderlich. Desweiteren leidet auch sie an einer chronisch obstruktiven Bronchitis, hinsichtlich der vorrangig der Nikotingenuss gestoppt werden sollte, um eine chronische Lungenerkrankung zu verhindern, sowie die Gabe inhalativer Medikamente erforderlich ist. Schließlich wurde bei ihr eine Ohrradikaloperation rechts durchgeführt, die eine vierteljährliche regelmäßige Kontrolle des rechten Ohres mit fachärztlicher Reinigung und Pflege erforderlich macht. In einem Attest vom 22. Juni 1999 werden auch noch rezidivierende Magenschleimhautentzündungen und ein Wirbelsäulensyndrom genannt.

Es ist nach der Erkenntnislage jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand der Kläger im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland alsbald wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmern würde und es auf diese Weise alsbald zu einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung kommen würde.

Ob insbesondere die bei der Klägerin zu 2) wegen ihrer diversen Erkrankungen erforderlichen Kontrolluntersuchungen im Kosovo durchgeführt werden können und wie dies verneinendenfalls rechtlich zu beurteilen ist, kann wegen der chronischen Bronchitis, an der beide Kläger leiden, dahinstehen. Dass die Nikotinkarenz von den Klägern jederzeit und überall auf der Welt durchgeführt werden kann, liegt klar auf der Hand und bedarf auch keiner weiteren Erörterungen. Ansonsten kann aber eine chronische Bronchitis im Kosovo schon nicht behandelt werden, da es dort an spezialisierten Ärzten und medizinischen Einrichtungen fehlt, und auch die (nachrangig) vorzunehmende Gabe inhalativer Medikamente ist im Kosovo nicht durchführbar, da die Medikamente dort nicht erhältlich sind (vgl. Online Loseblattwerk Serbien und Montenegro des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zum Gesundheitswesen, Stand: März 2003; Informationszentrum Asyl und Migration des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Erkenntnisse des Bundesamtes, BR Jugoslawien/Kosovo, Stand Januar 2003).

Anders verhält es sich aber mit Blick auf Serbien. Dort sind Atemwegserkrankungen grundsätzlich behandelbar. Es gibt dort ohnehin nur sehr wenige Erkrankungen, die aufgrund fehlender Ausrüstung oder Ausbildung des Personals nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation, die auch das Gesundheitswesen betrifft, kann es zwar vorübergehend zu Engpässen kommen, jedoch werden lebensbedrohliche Erkrankungen im Regelfall sofort behandelt (vgl. Online Loseblattwerk Serbien und Montenegro des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zum Gesundheitswesen, Stand: März 2003; Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 16. Oktober 2002 und 28. Juli 2003).