OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.11.2003 - 10 B 11432/03.OVG - asyl.net: M4501
https://www.asyl.net/rsdb/M4501
Leitsatz:

Eine Duldungsauflage, den Wohnsitz in einem Ausreisezentrum zu nehmen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 56 Abs. 3 S. 2 AuslG; somit liegt keine Rechtsstreitigkeit nach dem AsylVfG vor; die Einweisung in ein Ausreisezentrum stellt auch dann keine Schikane mit strafähnlichem Charakter dar, wenn zum Zeitpunkt der Ersteinweisung nicht klar ist, welche konkreten Maßnahmen zur Förderung der Mitwirkungsbereitschaft des Betroffenen ergriffen werden sollen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Duldung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft, Verhältnismäßigkeit, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde, Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz
Normen: AsylVfG § 80; AuslG § 56 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahin gehend zu entsprechen, dass er bis auf weiteres von der ihm im Zusammenhang mit seiner Duldung unter dem 19. Mai 2003 erteilten Auflage zur ausschließlichen Wohnsitznahme in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Trier verschont bleibe.

Die Beschwerde ist statthaft; sie ist insbesondere nicht aufgrund des § 80 AsylVfG ausgeschlossen, nachdem es sich bei dem angefochtenen Beschluss nicht um eine Entscheidung nach dem Asylverfahrensgesetz handelt. Der Antragsgegner hat die streitbefangene Zuweisung des Antragstellers zur Landesunterkunft für Ausreisepflichtige im Hinblick auf die diesem nach dem erfolglosen Abschluss seines Asylverfahrens wegen der bestehenden Unmöglichkeit seiner Abschiebung aus tatsächlichen Gründen gemäß § 55 Abs. 2 AuslG erteilte Duldung auf § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG gestützt, wonach bezüglich einer solchen Duldung weitere Auflagen angeordnet werden können. Entsprechend dieser Rechtsgrundlage handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren nicht um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz (vgl. BVerwG, NVwZ 1993, S. 276). Eine andere Betrachtungsweise wäre von daher allenfalls dann angezeigt, wenn das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers vor dem Hintergrund seiner gegen die in Rede stehende Auflage erhobenen Klage – 2 K 1276/03.NW – ungeachtet der vom Antragsgegner dieser solchermaßen zugrunde gelegten ausländerrechtlichen Bestimmung gleichwohl als Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz angesehen werden müsste, weil die streitbefangene Maßnahme im unmittelbaren Zusammenhang mit der noch ausstehenden Vollstreckung der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im seinerzeit ergangenen Asylbescheid vom 31. Januar 2001 verfügten "asylverfahrensrechtlichen" Abschiebungsandrohung stünde. Davon kann jedoch mit Blick auf die jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. NVwZ 1998, S. 292), der der Senat hiermit folgt, nicht ausgegangen werden.

Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung ist der Anwendungsbereich der das Widerspruchsverfahren und das Gerichtsverfahren betreffenden Sondervorschriften der §§ 11, 74 ff AsylVfG und damit auch des § 80 AsylVfG danach zu bestimmen, ob die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz hat. Während dies bei Entscheidungen des Bundesamtes, die dieses in Wahrnehmung der ihm vom Asylverfahrensgesetz übertragenen Aufgaben trifft, immer der Fall ist, beurteilt sich die Frage, ob Maßnahmen anderer Behörden ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz haben, nach dem Gefüge und dem Sinnzusammenhang der einzelnen Regelungen. So liegt es z. B. entsprechend dem Ablauf des Asylverfahrens nahe, dass Maßnahmen der Ausländerbehörde gemäß § 19 AsylVfG bei der Weiterleitung eines Asylbewerbers im Asylverfahrensgesetz ihre Grundlage finden; entsprechendes wird für Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung und Verteilung der Asylbewerber gemäß §§ 44 ff AsylVfG oder für Entscheidungen zur Aufenthaltsgestattung gemäß §§ 55 ff AsylVfG gelten. Demgegenüber muss gerade der vielgestaltigen Verzahnung der Aufgaben des Bundesamtes einerseits mit denen der Ausländerbehörde andererseits bei der Aufenthaltsbeendigung gemäß § 34 ff, insbesondere 41 ff AsylVfG durch eine differenzierende Würdigung des gesetzlich erfassten Fallgruppen Rechnung getragen werden. Danach gilt, dass die Zuständigkeit des Bundesamtes grundsätzlich mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG i. V. m. §§ 50 und 51 Abs. 4 AuslG und mit der Unterrichtung der Ausländerbehörde gemäß § 40 AsylVfG endet, wogegen die Abschiebung den nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften zuständigen Landesbehörden gemäß §§ 63 Abs. 1 und 4 AuslG obliegt. Dies hat zur Folge, dass die Ausländerbehörde alsdann eigenverantwortlich auch über die Aussetzung der Abschiebung in der Gestalt einer Duldung entscheidet, deren Voraussetzungen in § 55 Abs. 2 bis 4 AuslG geregelt sind, und dass ihr von daher insbesondere auch die Entscheidung hinsichtlich der praktisch im Vordergrund stehenden Fragen, ob eine Abschiebung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, übertragen ist. Angesichts dieser grundsätzlichen Trennung zwischen der im Asylverfahrensgesetz geregelten, dem Bundesamt vorbehaltenen "Entscheidungsphase" und der im Ausländergesetz verbliebenen ausländerbehördlichen "Vollstreckungsphase" verbleibt schließlich auch kein Raum mehr, diese Duldung wie auch deren nähere Ausgestaltung durch entsprechende Auflagen als bloßen Annex der Asylentscheidung oder als Teil einer funktionalen Einheit mit dem Asylverfahren anzusehen und den asylverfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 11 und 74 ff AsylVfG zu unterstellen (ebenso hinsichtlich vergleichbarer Zuweisungsverfahren bereits der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 19. Januar 2001 – 11 B 12129/00.OVG –, dessen 7. Senat im Beschluss vom 17. Oktober 2001 – 7 B 11319/01.OVG sowie der beschließende Senat selbst im Beschluss vom 22. September 2003 – 10 B 11243/03.OVG –).

In Anbetracht dieser Vorgaben erweist sich die streitbefangene Verfügung vorliegend auch nicht etwa deshalb als eine solche nach Maßgabe des Asylverfahrensgesetzes, weil der Antragsgegner selbst sie offenbar als eine solche eingestuft hat, wofür jedenfalls die von ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung spricht, in der er den Antragsteller darauf verwiesen hat, dass dieser – entsprechend den Regelungen der §§ 11 und 74 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG – ohne vorangegangenesWiderspruchsverfahren binnen zwei Wochen Klage erheben müsse. Soweit das Verwaltungsgericht in Anknüpfung an die von ihm angeführte frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen ist, dass nicht nur die verfahrensmäßige Behandlung des Asylgesuchs selbst, sondern auch die Regelung des wegen eines solchen Gesuchs begründeten Aufenthaltes einschließlich der aufenthaltsrechtlichen Abwicklung der Aufenthaltsbeendigung im Falle der Erfolglosigkeit des Asylbegehrens zum Asylverfahren gehöre und dass deshalb die zutreffende Rechtsgrundlage für die verfügte Zuweisung des Antragstellers ohnehin nicht in § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG, sondern sogar im Asylverfahrensgesetz selbst, nämlich in dessen § 60 Abs. 2 Satz 1 zu sehen sei, ergibt sich im vorliegenden Zusammenhang keine andere Betrachtungsweise. Denn findet entsprechend den bisherigen Darlegungen die Duldung eines erfolglos gebliebenen Asylbewerbers im Falle der tatsächlichen Unmöglichkeit seiner Abschiebung ihre Grundlage in § 55 Abs. 2 AuslG und handelt es sich hierbei nach dem Gefüge und dem Sinnzusammenhang der Regelung tatsächlich auch um eine reine ausländerrechtliche Entscheidung, besteht selbstverständlich auch kein Anlass mehr, mit Blick auf deren konkrete Ausgestaltung durch entsprechende Auflagen noch auf diese asylverfahrensrechtliche Norm, die die Rechtsgrundlage für entsprechende Auflagen während des eigentlichen Asylverfahrens im Hinblick auf die dem Asylbewerber zustehende Aufenthaltsgestattung enthält, zurückzugreifen, nachdem das Ausländergesetz selbst die insofern maßgeblichen Vorschriften enthält.

Die nach alledem statthafte Beschwerde bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg.

Nach § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG können Duldungen unter anderem mit weiteren Auflagen versehen werden. Bezüglich des den Ausländerbehörden hiernach eingeräumten Ermessens ist schon seit jeher auf der Grundlage der zu dieser Bestimmung ergangenen Verwaltungsvorschriften (vgl. AuslGVwV Tz. 56.32) anerkannt, dass es bei Vorliegen entsprechenden öffentlichen Interesses beispielsweise auch geboten sein kann, durch eine derartige Auflage zur Wohnsitznahme in einer bestimmten Gemeinde oder darüber hinaus sogar in einer bestimmten Unterkunft zu verpflichten. Dieses Ermessen hat für die Ausländerbehörden des Landes Rheinland-Pfalz eine zusätzliche Konkretisierung dahin erfahren, dass auch Erfordernisse im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht die Unterbringung von Ausländern in einer zentralen Gemeinschaftsunterkunft rechtfertigen können, um dort durch eine Kombination von psychosozialer Betreuung und ausländerrechtlicher Beratung die Bereitschaft zu fördern, bei der Passbeschaffung mitzuwirken und letztlich freiwillig auszureisen, sofern eine realistische Chance zur Beschaffung von Rückreisepapieren besteht (vgl. Verfahrensregelungen für die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige im Rahmen eines Modellprojekts des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 25. Mai 2000), bzw. um dort hinsichtlich solcher Ausreisepflichtiger, die ihre Identität verschleiern, in einer offenen Einrichtung deren ständige behördliche und gerichtliche Erreichbarkeit sicherzustellen, eine gezielte Bündelung von für die Identitätsklärung und Reisepassbeschaffung nötigen Spezialkenntnissen zu erreichen und durch eine Kombination von psychosozialer Betreuung und ausländerrechtlicher Beratung die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Passbeschaffung und letztlich freiwilligen Ausreise zu fördern (vgl. Verfahrensregelungen für die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 16. Juni 2003).

Dabei versteht es sich allerdings von selbst, dass sowohl die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer derartigen zentralen Unterkunft als auch die ins Auge gefassten Maßnahmen dort ihre Grenzen finden, wo diese keinen sinnvollen Bezug mehr zu dem aufgezeigten Verfahrenszweck aufweisen, in Schikane mit strafähnlichem Charakter ausarten, auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen oder den Betreffenden im Einzelfall unverhältnismäßig treffen (vgl. dazu für die Verfahrensregelungen vom 25. Mai 2000 die Beschlüsse bzw. das Urteil des 11. und des 7. Senates des beschließenden Gerichts vom 19. Januar 2001 – 11 B 12129/00.OVG – und vom 17. Oktober 2001 – 7 B 11319/01.OVG – bzw. vom 19. November 2002 – 7 A 10768/02.OVG – sowie des beschließenden Senates vom 23. September 2003 – 10 B 11243/03.OVG –).

Hiernach begegnet die in der Verfügung vom 19. Mai 2003 dem Antragsteller zur Auflage gemachte Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Trier keinen rechtlichen Bedenken.

Der Antragsteller ist nach dem erfolglosen Abschluss seines Asylverfahrens, das er im Übrigen ersichtlich in der Erkenntnis der offensichtlichen Aussichtslosigkeit seines diesbezüglichen Begehrens in der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2001 durch Klagerücknahme beendet hatte, bereits des längeren ausreisepflichtig und hat sich dieser Ausreisepflicht bislang dadurch entzogen, dass er erkennbar von Anfang an falsche Angaben zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit gemacht hat und dass er es seitdem an der Mitwirkung zu deren Aufklärung sowie zur Passbeschaffung hat fehlen lassen (vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen des Bundesamtes im Asylbescheid vom 31. Januar 2001, das Ergebnis der Sprachanalyse vom 4. Mai 2001, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 19. Juli 2001 sowie die Erklärungen der Botschaften von Sierra Leone und Nigeria vom 16. Oktober 2001 und 20. Februar 2002).

Soweit der Antragsteller damit im Zusammenhang einwendet, seine nunmehrige Unterbringung in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Trier stelle einen unverhältnismäßigen, gegebenenfalls sogar schikanösen und strafähnlichen Eingriff dar, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Antragsgegner selbst derzeit nicht abzusehen vermag, welche konkreten Maßnahmen dort ergriffen werden sollen, um den Antragsteller zur Mitwirkung bei der anstehenden Aufenthaltsbeendigung zu bewegen. Insofern ist vielmehr zu sehen, dass es sich vorliegend um die erste Zuweisung des Antragstellers zur Landesunterkunft für Ausreisepflichtige handelt und dass letztlich verlässlich erst nach dessen Aufnahme in dieser Unterkunft und der sich daran anschließenden näheren Kenntnis von seiner Persönlichkeit und der darauf aufbauenden Einschätzung seiner Problematik über das konkret mögliche und sachdienliche weitere Vorgehen befunden werden kann, ohne dass sich etwa derzeit schon feststellen lässt, dass diese Maßnahmen von vornherein jeglicher Erfolg abgesprochen werden müsste.