OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.2003 - 18 B 1459/03 - asyl.net: M4556
https://www.asyl.net/rsdb/M4556
Leitsatz:

Psychische Belastungen eines Ausländers und dessen Angehörigen, die allein durch eine Abschiebung des Ausländers hervorgerufen werden, führen in der Regel nicht zu einem Abschiebungshindernis.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Duldung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, volljährige Kinder, Krankheit, psychische Erkrankung, depressive Episode
Normen: AuslG § 55 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

 

[...]

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. [...]

Der im Beschwerdeverfahren nur noch im Streit stehende Antrag der beiden - in dem erstinstanzlichen Beschluss als Antragsteller zu 1. und 3. bezeichneten - Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zu 2. eine Duldung für den Zeitraum von sechs Monaten zu erteilen, ist - den Ausführungen des Antragsgegners folgend - abzulehnen. Der volljährige und vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller zu 2. und seine Mutter, die Antragstellerin zu 1., haben einen Anspruch auf zeitweise Aussetzung der Abschiebung des Antragstellers zu 2. und Erteilung einer Duldung an ihn nach § 55 Abs. 2 des Ausländergesetzes - AuslG ,- wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nicht glaubhaft gemacht.

Die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers zu 2. kann sich hier nur aus übergeordnetem Recht ergeben. Dabei gilt es zwar zu beachten, dass den Schutzgewährungen des Art. 6 Abs. 1 GG in Anbetracht der familiären Bindungen zwischen den Antragstellern erhebliches Gewicht zukommen. Es entspricht aber der in den §§ 17 ff. AuslG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung, dass den erwachsenen Kindern von Ausländern - insbesondere wenn diese, wie die Antragstellerin zu 1., lediglich im Besitz einer Duldung sind - der Zuzug zum Zwecke der Familienzusammenführung grundsätzlich nicht ermöglicht wird. Ausnahmen sind allenfalls in Betracht zu ziehen, wenn nach den Verhältnissen des Einzelfalles eine derartige Beistandsgemeinschaft besteht, dass ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen zwingend angewiesen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 -, InfAuslR 1998, 213; OVG NRW, Urteil vom 24. Februar 1999 - 17 A 139/97 -, InfAuslR 1999, 345 (349), und Senatsbeschlüsse vom 2. März 2001 -18 B 1657/00 -, vom 4. März 2003 -18 8 1647/02- und vom 8. Mai 2003 - 18 B 542/02 -).

Diese für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung aufgestellten Voraussetzungen sind hier bereits im Rahmen des Abschiebungsschutzes zu berücksichtigen, weg die Antragsteller für den Antragsteller zu 2. letztlich einen Daueraufenthalt in Deutschland erstreben, ein solcher aber nicht im Wege einer Duldung nach § 55 AuslG ermöglicht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6.99 -, InfAuslR 2000, 16; Senatsurteil vom 25. Mai 2000 - 18 A 4648/96 - und Senatsbeschlüsse vom 2. März 2000 - 18 175/00 -. vom 29. Mai 2000 - 18 B 577/00 -, vom 9. Mai 2001 - 18 B 400/01 - sowie vom - 31. Mai 2002 - 643/02 -).

Von dem Vorstehenden ausgehend erweist sich die Abschiebung des Antragstellers zu 2. nicht als rechtlich unmöglich. Wie der Antragsgegner zutreffend geltend macht, ergibt sich aus der fachärztlichen Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie und Neurologie ... von den Rheinischen Kliniken ... vom 1. Juli 2003 nicht, dass die Antragstellerin zu 1. zur Vermeidung einer wesentlichen Verschlimmerung einer im Rahmen der Gewährung von Abschiebungsschutz relevanten Erkrankung auf die weitere Anwesenheit des Antragstellers zu 2. im Bundesgebiet zwingend angewiesen ist.

Diejenige von den beiden in dem Gutachten gestellten Diagnosen, die nicht - wie die posttraumatische Belastungsstörung - lediglich benannt, sondern - wie die schwere depressive Episode der Antragstellerin zu 1. - aus den mit ihr geführten Explorationsgesprächen konkret hergeleitet und in ihren Auswirkungen beschrieben wird, ist bereits im Rahmen der Gewährung von Abschiebungsschutz angesichts der von der Antragstellerin zu 1. als auslösend geschilderten Ursachen grundsätzlich nicht relevant. Nach ständiger Senatsrechtsprechung führt nämlich nicht jede mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines Bleiberechts für die Bundesrepublik Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr ins Heimatland einhergehende, mithin also letztlich abschiebungsbedingte Gefährdung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf einen Duldungsgrund. Indem das Ausländergesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese nur unter besonderen Umständen als Duldungsgründe gelten (vgl. die Senatsbeschlüsse vom 1. Juli 2002 - 18 B 1516/01 -, vom 9. Januar 2003 - 18 B 2409/02 -, vom 28. März 2003 - 18 B 35/03 - und vom 8. Mai 2003 - 18 B 542/02 -).

Diese in Bezug auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand des von der Abschiebung selbst betroffenen Ausländers entwickelte Rechtsprechung muss auch für den Gesundheitszustand der Angehörigen des Abzuschiebenden gelten, da das Ausländergesetz die psychischen Auswirkungen der Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auf seine nahen Angehörigen gleichermaßen in Kauf nimmt.

Das depressive Leiden der Antragstellerin zu 1. rührt von solchen - grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähigen - psychischen Auswirkungen der drohenden Abschiebung von Angehörigen her. [...]