BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 22.12.2003 - 2 BvR 2108/00 - asyl.net: M4616
https://www.asyl.net/rsdb/M4616
Leitsatz:

Die Annahme der Gerichte, zwischen dem nicht-sorgeberechtigte Beschwerdeführer und seiner Tochter bestehe keine familiäre Lebensgemeinschaft, begründet keinen Verstoß gegen Art. 6 GG.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Türkei, Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Familienangehörige, Kinder, Deutsche Kinder, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, Sorgerecht, Umgangsrecht, Familiäre Lebensgemeinschaft, Eltern-Kind-Verhältnis, Schutz von Ehe und Familie, Gleichheitsgrundsatz
Normen: AuslG § 23 Abs. 1 HS 2; AuslG § 17 Abs. 1; GG Art. 6; GG Art. 3
Auszüge:

Hinsichtlich der angegriffenen Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Rechtsweg zwar erschöpft. Die Verfassungsbeschwerde hat aber gleichwohl auch insoweit keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 6 GG gerecht.Es war ihnen nicht verwehrt anzunehmen, dass zwischen dem nicht-sorgeberechtigten Beschwerdeführer und seiner Tochter die für das beantragte Daueraufenthaltsrecht nach § 23 Abs.1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG erforderliche familiäre Lebensgemeinschaft nicht bestand. Nach den für die verfassungsgerichtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen in den angefochtenen Entscheidungen fand tatsächlich keinerlei Umgang zwischen Vater und Tochter statt. Das kurz vor dem Verwaltungsgerichtsbeschluss vom 17. Juli 2000 am 19. Juni 2006 familiengerichtlich zugesprochene betreute Umgangsrecht zweimal pro Monat war dem Verwaltungsgericht nicht bekannt. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass es deshalb als veränderter Umstand in dem Beschwerdezulassungsverfahren keine Beachtung erfahren konnte, war zwar seinerzeit umstritten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 80 RZ. 201 m.w.N.), aber jedenfalls vertretbar und ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Jedenfalls bei dieser Sachlage begegnet die Einschätzung der Gerichte, es bestehe keine familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.

Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht darauf berufen, die Kindsmutter habe durch die Beendigung ihrer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die familiäre Lebensgemeinschaft mit der Tochter "unterbrochen". Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG gebietet nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um dem Umstand zu begegnen, dass durch den Wandel der elterlichen Lebensverhältnisse aus familienrechtlichen oder tatsächlichen Gründen die (Wieder- )Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft erschwert oder verhindert wird. Inwieweit hier die Erteilung einer anderen Form der Aufenthaltsgenehmigung oder einer Duldung - gegebenenfalls auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des Ausländergesetzes - in Betracht gekommen wäre, um die weitere Entwicklung der familienrechtlichen Situation abzuwarten, kann dahinstehen, da dies nicht Gegenstand der angegriffenen Gerichtsentscheidungen war.

Soweit das Oberverwaltungsgericht in seiner Begründung hilfsweise auf das dem Beschwerdeführer vom Familiengericht zugesprochene betreute Umgangsrecht eingegangen ist und es nur als unzureichende Begegnungsgemeinschaft angesehen hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob dies mit den sich aus Art. 6 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen - auch nach der Kindschaftsrechtsreform - in Einklang steht. Denn auf dieser lediglich hilfsweise gegebenen Begründung beruht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. Februar 2001, mit dem es den auf dieses betreute Umgangsrecht gestützten Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO abgelehnt hat, hat der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen. Die weitere, erst nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts von dem Beschwerdeführer und der Kindsmutter im Jahre 2001 eigenständig gestaltete Umgangsregelung, die vom Amtsgericht mit Beschluss vom 7. August 2002 für verbindlich erklärt wurde, kann im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs.4 Satz 1 BVerfGG} nicht berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund kann weiter offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit die durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2942) bewirkten Veränderungen der familienrechtlichen Regelungen insbesondere des Umgangsrechts möglicherweise mit einer auch verfassungsrechtlich erheblichen Modifikation des Leitbilds der Familie in Art. 6 GG korrespondieren und welche Auswirkungen dies auf die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 GG hat (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002, 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, S. 849).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist Art. 3 Abs. 1 und 2 GG nicht deshalb verletzt, weil ihm als Vater eines nichtehelichen Kindes gegen den Willen der Mutter die Erlangung des Sorgerechts nicht möglich sei und ihm deshalb ein Daueraufenthaltsrecht nur unter besonderen Umständen zustehen könne. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es gerechtfertigt, das Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich der Mutter und nicht dem Vater oder beiden Elternteilen gemeinsam zuzuordnen. Die weiteren Unterschiede bei der sorgerechtlichen Ausgestaltung rechtfertigen sich aus der derzeit nicht zu beanstandenden Annahme des Gesetzgebers, damit dem Wohl des nichtehelichen Kindes zu entsprechen. Bei dieser Lage bestehen - abgesehen vom Fehlen einer hier nicht einschlägigen Übergangsregelung für bestimmte Altfälle - derzeit keine Gründe für eine Unvereinbarkeit des Regelungskonzeptes von § 1626a BGB zur gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern mit dem Grundgesetz (vgl. Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003 1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01 -, NJW 2003, S. 955). Eine ungerechtfertigte mittelbare Ungleichbehandlung durch den Sorgevorrang der Mutter eines nichtehelichen Kindes im Hinblick auf die Aufenthaltsrechtsregelung in § 23 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 AuslG kann demnach nicht angenommen werden.