VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 17.12.2003 - 15 ZB 02.31617 - asyl.net: M4653
https://www.asyl.net/rsdb/M4653
Leitsatz:

Staatliche Verfolgung durch das Baath-Regime ausgeschlossen; illegale Ausreise aus dem Irak und Asylantragstellung begründen keine Verfolgungsgefahr mehr.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Berufungszulassungsantrag, Verfahrensfehler, rechtliches Gehör, Beweisantrag, Entscheidungserheblichkeit, Änderung der Sachlage, Regimewechsel, Antragstellung als Asylgrund, illegale Ausreise, Baath-Partei
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 144; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Es kann offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung des Beweisantrags das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Ein Verstoß würde sich nicht mehr auswirken, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO analog). Nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage ist die Klage unbegründet, ohne dass es dabei auf die beantragte Beweiserhebung ankommt. [...]

Zum maßgebenden Zeitpunkt für die Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) hat sich die Sachlage durch die am 20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA in einer Weise verändert, dass sich der Verfahrensverstoß nicht mehr auswirken kann. Auch einen grundsätzlichen Klärungsbedarf (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gibt es insoweit nicht (vgl. Urteil des Senats vom 13.11.2003, 15 B 02.31751). Dem Kläger droht bei einer Rückkehr Wegen seines Asylantrags und seiner illegalen Ausreise keine politische Verfolgung mehr. Derartige früher gefahrbegründende Verstöße haben ihre Bedeutung verloren, weil ihr damals gefährdender Charakter entscheidend auf dem Unrechtsregime Saddam Husseins beruhte. Das Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Macht über den Irak verloren. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen und Institutionen dieses Regimes wie beispielsweise der Baath-Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Angehörige der früheren Staatsführung werden von den USA weltweit gesucht. Über 30 von ihnen sind bereits festgenommen worden oder haben sich gestellt. Damit ist der größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger staatlicher Gewalt getötet, verhaftet, untergetaucht oder geflohen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2003, Stand: Oktober 2003, - LB -, S. 2 f.; Thomas Uwer in wadi, Irakische Flüchtlinge nach dem Regime Change - Vorläufige Einschätzung -, Stand: 8.11.2003). Der Irak steht landesweit unter Besatzungsrecht und wird derzeit von einer "Zivilverwaltung" der Koalition (Coalition Provisional Authority), der CPA, regiert (Uwer, a.a.O.), die sich vor allem auf 170.000 Soldaten aus den USA und Großbritannien stützen kann. Hinzu kommen Militär- und Polizeikontingente aus 36 weiteren Staaten (vgl. LB, S. 2). Der Neuaufbau der Verwaltungsstrukturen wird maßgebend vom Leiter der CPA bestimmt (vgl. LB, S. 3). Als erster Schritt zum Aufbau einer Übergangsregierung wurde ein provisorischer 25-köpfiger Regierungsrat ("Transistory Governing Council") berufen, der sich aus Vertretern aller Bevölkerungsschichten, Ethnien und Glaubensrichtungen zusammensetzt und von einer unter den Ratsmitgliedern rotierenden Präsidentschaft geführt wird. Der US-Zivilverwalter hat sich bei allen Entscheidungen dieses Gremiums ein Veto-Recht vorbehalten. Der Übergangsrat hat u.a. die Aufgabe, eine neue Verfassung auszuarbeiten sowie allgemeine und freie Wahlen vorzubereiten (vgl. LB, S. 4). Er ernannte Anfang September 2003 ein 25-köpfiges Interimskabinett, das den politischen und konfessionellen Proporz des Übergangsrates widerspiegelt. Die Ministerien werden faktisch von einem "senior advisor" geleitet, den die CPA stellt (vgl. LB, S. 5). Es gibt keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass Saddam Hussein oder Angehörige seines früheren Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen (vgl. auch Nds. OVG vom 14.8.2003 -20 A 430102.A-; Sächs. OVG vom 28.8.2003 AuAS 2003, 250; OVG SH vom 28.10.2003 -1 LB 41/03). [...]