VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.11.2003 - 13 S 2709/02 - asyl.net: M4670
https://www.asyl.net/rsdb/M4670
Leitsatz:

1. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes gemäß § 4 Abs. 3 StAG setzt einen im Zeitpunkt der Geburt des Kindes seit acht Jahren ununterbrochen rechtmäßigen Aufenthalt eines Elternteils im Bundesgebiet voraus.

2. § 89 Abs. 3 und § 97 AuslG sind bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegen, nicht entsprechend anwendbar.(Amtliche Leitsätze)

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Aufenthaltdauer, Eltern, Passlosigkeit, Passpflicht, Erlöschen, Aufenthaltstitel, Übergangsregelung, Unterbrechung, Analogie, Anwendbarkeit, Regelungslücke
Normen: StAG § 40b; StAG § 4 Abs. 3; AuslG 1965 § 3 Abs. 1; AuslG 1965 § 9 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 89 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die Berufung ist aber nicht begründet. [...]

Die Kläger können ihre Einbürgerung nicht gemäß § 40b StAG in Verbindung mit § 4 Abs. 3 StAG beanspruchen. [...]

Die Mutter der Kläger erfüllt nicht die Anforderungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG an die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 40b StAG müssen - im Gegensatz zur Ansicht der Kläger - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG nicht nur zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags nach § 40b Satz 2 StAG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 7.10.2003 - 13 S 887/03 -), sondern bereits zum Zeitpunkt der Geburt der Kläger vorgelegen haben. Dies entspricht dem Sinn des § 40b StAG als Übergangsvorschrift, mit der diejenigen Kinder, die bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 (BGBl. I 1618) - StAngRG - am 1.1.2000 noch keine zehn Jahre alt waren, weitgehend so gestellt werden sollen, als hätte der Tatbestand des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG, der die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland normiert (Ius-soli-Erwerbstatbestand), schon bei ihrer Geburt gegolten (vgl. Urteil des Senats vom 7.10.2003, a.a.O.).

Zum Zeitpunkt der Geburt der Kläger hat ihre Mutter aber nicht seit acht Jahren rechtmäßig ihren Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG wird - wie auch sonst - grundsätzlich durch den Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung vermittelt; darüber hinaus ist der gesetzlich erlaubte oder genehmigungsfreie wie auch der nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990/§ 21 Abs. 3 AuslG 1965 fiktiv erlaubte Aufenthalt rechtmäßig (vgl. Beschluss des Senats vom 30.7.2003 - 13 S 1664/02 -; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 4 StAG RdNr. 76). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in dem von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG geforderten Zeitraum ist dabei auf das jeweils maßgebliche Ausländerrecht abzustellen.

Zwar ist der Mutter der Kläger am 12.12.1978 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden und war ihr Aufenthalt im Bundesgebiet zunächst rechtmäßig. Doch war sie in der Zeit vom 14.4.1987 bis zum 14.6.1987 nicht im Besitz eines gültigen Passes, obwohl sie nach § 3 Abs. 1 des bis zum 31.12.1990 geltenden Ausländergesetzes vom 28.4.1965 der Passpflicht unterlag. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 erlosch die Aufenthaltserlaubnis, wenn der Ausländer keinen gültigen Pass mehr besaß. Dies galt beim Ablauf der Gültigkeit des Passes unabhängig davon, ob die Verlängerung oder Erneuerung des Passes beantragt wurde, bevor die Gültigkeit des Passes abgelaufen war (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 3.8.1987 - 1 S 821/87 -, InfAuslR 1987, 324; Urteil vom 26.10.1988 - 11 S 1947/87 -, InfAuslR 1989, 82); auf ein Verschulden des Betroffenen kam es nicht an (BVerwG, Urteil vom 30.5.1989 - 1 C 57.87 -, NVwZ 1989, 1078; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.10.1988, a.a.O.). Demgemäß erlosch mit dem Ablauf der Gültigkeit des Passes der Mutter der Kläger am 14.4.1987 die ihr erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Einer gesonderten Verfügung der Ausländerbehörde bedurfte es hierfür nicht, da diese Rechtsfolge unmittelbar kraft Gesetzes eintrat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.5.1989, a.a.O.; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl., § 9 AuslG Anm. 1; Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., § 9 AuslG RdNr. 3). In der Übertragung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in den am 15.6.1987 neu ausgestellten Pass der Mutter der Kläger kann damit allenfalls eine Neuerteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gesehen werden (zur Möglichkeit, dem Ausländer nach Vorlage eines neuen Passes nach den allgemeinen Bestimmungen des AuslG 1965 erneut eine [unbefristete] Aufenthaltserlaubnis zu erteilen vgl. BVerwG, Urteil vom 30.5.1989, a.a.O.; Kloesel/Christ, a.a.O., Anm. 3). Durch diese wurde die Aufenthaltserlaubnis aber nicht - was die Kläger in der Sache geltend machen - rückwirkend für den Zeitraum der zweimonatigen Passlosigkeit im Jahr 1987 erteilt. Denn die Ausländerbehörde konnte nicht über die von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge des § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965 disponieren.

Damit hielt sich die Mutter der Kläger jedenfalls für die Zeit ihrer Passlosigkeit vom 14.4.1987 bis zum 14.6.1987 ohne die nach § 2 AuslG 1965 für sie erforderliche Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf und war ihr Aufenthalt in diesem Zeitraum nicht rechtmäßig. Diese Unterbrechung der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes ist beachtlich, da der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 4 Abs. 3 StAG einen zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes seit acht Jahren ununterbrochen rechtmäßigen Aufenthalt des maßgeblichen Elternteils im Bundesgebiet voraussetzt (vgl. auch Ziffer 4.3.1.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13.12.2000 [GMBl. 2001, S. 122] und Anlage 28 der nach § 4 Abs. 3 Satz 3 StAG erlassenen 16. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vom 12.11.1999 [BGBl. I S. 2203]) . Weder § 89 Abs. 3 StAG, der für die erleichterte Einbürgerung von Ausländern nach den §§ 85 ff. AuslG bestimmt, dass Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außer Betracht bleiben, wenn sie - neben anderen - darauf beruhen, dass der Ausländer nicht im Besitz eines gültigen Passes war, noch § 97 AuslG, nach dem Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben können, finden bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegen, Anwendung. [...]

Eine entsprechende Anwendung des § 89 Abs. 3 AuslG auf die Regelung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG kommt nicht in Betracht (anders aber: VG Stuttgart, Urteile vom 14.3.2001 - 7 K 3738/00 -, InfAuslR 2001, 299, vom 25.4.2001 - 7 K 715/01 -, InfAuslR 2001, 319 und vom 9.8.2002 - 7 K 4424/01 -; GK/StAR, § 89 AuslG RdNr. 4, vgl. allerdings eine analoge Anwendung nicht in Betracht ziehend: GK/StAR, § 4 StAG RdNr. 220 ff.). Denn es fehlt bereits an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt voraus, dass die normative Regelung lückenhaft ist, dass der Gesetzgeber also in Wahrheit für den zu entscheidenden Fall keine Regelung getroffen hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.7.1990 - 1 BvR 984/87, 1 BvR 985/87 -, BVerfGE 82, 286, 304; BVerwG, Urteil vom 14.3.1974 - II C 93.72 - BVerwGE 45, 85, 90; Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 46.78 -, BVerwGE 57, 183, 186; Urteil vom 26.10.1995 - 3 C 11.94 -, a.a.O.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 370 ff.), weil er eine nach seiner Grundabsicht der Regelung bedürftige Frage übersehen oder irrtümlich für von ihm bereits geregelt gehalten hat. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Denn § 89 Abs. 3 AuslG war bereits in der ursprünglichen Fassung des Ausländergesetzes vom 9.7.1990 enthalten und ist unverändert geblieben, während § 4 Abs. 3 StAG erst durch Art. 1 Nr. 3 StAngRG in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügt wurde. Der Gesetzgeber hat dabei davon abgesehen, auf die Vorschrift des § 89 Abs. 3 AuslG zu verweisen oder eine dem § 89 Abs. 3 AuslG entsprechende oder ähnliche Vorschrift in das Staatsangehörigkeitsgesetz aufzunehmen, während er an anderen Stellen durch punktuelle Verweisungen (vgl. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StAG, 37 StAG) Verknüpfungen zwischen dem Staatsangehörigkeitsgesetz und dem Ausländergesetz geschaffen hat. Diese Vorgehensweise des Gesetzgebers ist Beleg dafür, dass er ganz gezielt bestimmte Bestimmungen des Ausländergesetzes im Bereich des Staatsangehörigkeitsgesetzes zur Geltung bringen wollte, andere hingegen nicht. Damit kann vom Vorliegen einer Regelungslücke nicht ausgegangen werden.

Darüber hinaus sind der Erwerbstatbestand des § 4 Abs. 3 StAG und der Einbürgerungstatbestand des § 85 AuslG, auf den § 89 Abs. 3 AuslG anzuwenden ist, nicht in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsichten gleich zu beurteilen (vgl. zu diesen Voraussetzungen für den Analogieschluss: BVerwG, Urteil vom 26.10.1995 - 3 C 11.94 -, BVerwGE 99, 362, 368; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 381). Mit § 4 Abs. 3 StAG hat der Gesetzgeber erstmals den Grundsatz des ausschließlichen Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nach Maßgabe des Abstammungsprinzips durchbrochen und zum Teil das Geburtsortsprinzip (Ius-soli-Prinzip) eingeführt. Es tritt nicht an die Stelle des Abstammungsprinzips, sondern ergänzt es für eine fest umrissene Konstellation. Dem Erwerbstatbestand des § 4 Abs. 3 StAG liegt die gesetzgeberische Erwartung zugrunde, dass sich das in der Bundesrepublik geborene Kind ausländischer Eltern auf der Grundlage des länger andauernden und rechtlich gesicherten Inlandsaufenthaltes des maßgeblichen Elternteils in die deutschen Lebensverhältnisse integrieren wird (Hailbronner/Renner, a.a.O., § 4 StAG RdNr. 68; GK/StAR, § 4 RdNr. 187 ff.). Zwar ging der Gesetzgeber auch im Rahmen des § 85 Abs. 1 AuslG davon aus, dass die dort genannten Voraussetzungen auf die erforderliche Integration des Einbürgerungsbewerbers schließen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.9.1995 - 1 B 236.94 -, NVwZ 1996, 717). Doch regelt § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG im Gegensatz zu §§ 85 ff. AuslG, die einen durch die zuständige Ausländerbehörde zu prüfenden Einbürgerungsanspruch normieren, den gesetzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StAG enthält bezüglich des erforderlichen Aufenthaltstitels deutlich strengere Voraussetzungen als § 85 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, da er hinsichtlich der erforderlichen Integrationsvoraussetzungen lediglich an - für die Eintragung der deutschen Staatsangehörigkeit durch den nach § 4 Abs. 3 Satz 2 StAG zuständigen Standesbeamten - einfach zu ermittelnde und eindeutige (formale) Rechtspositionen anknüpft, während für den Einbürgerungsanspruch nach den §§ 85 ff. AuslG weitere die Integrationserwartung sichernde materielle Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 AuslG, §§ 86 ff. AuslG). Lässt § 85 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bereits den Besitz einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis ausreichen, verlangt § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG, dass der maßgebliche Elternteil eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die an den erforderlichen Aufenthaltstitel anknüpfenden beträchtlichen Unterschiede an die Integrationsanforderungen im Rahmen des § 4 Abs. 3 StAG einerseits und der §§ 85 ff. AuslG andererseits schließen eine entsprechende Anwendung des § 89 Abs. 3 AuslG auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG aus (vgl. GK/StAR, § 4 StAG RdNr. 221). [...]