VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 18.12.2003 - 1 K 2104/02 - asyl.net: M4697
https://www.asyl.net/rsdb/M4697
Leitsatz:

Keine Gemeinschaftsunterbringung bei gesundheitlicher Beeinträchtigung.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Asylbewerber, Kongolesen, Unterbringung, Gemeinschaftsunterkünfte, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Folteropfer, Psychische Erkrankung, Privatwohnung, Wohnsitzauflage
Normen: AsylVfG § 53 Abs. 1 S. 1; AsylVfG § 53 Abs. 1 S. 2; GG Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

 

Die Weigerung der Beklagten, den Kläger aus der Gemeinschaftsunterbringung zu entlassen, ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten, weil er einen Anspruch hierauf hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser Anspruch ergibt sich aus §§ 51 Abs. 1 Nr. 1,49 Abs. 1 LVwVfG (zur Zuständigkeit bzw. Passivlegitimation der Beklagten, sollte diese nicht schon aus § 60 Abs. 3 AsylVfG direkt folgen, vgl. §§ 49 Abs. 5 L VwVfG, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 AAZuVO) i.V.m. § 53 AsylVfG. Gemäß § 53 Abs. 1 AsylVfG sollen Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben, und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, zwar in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Die Ausländerbehörde hat gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG bei ihrer Entscheidung darüber, ob sie einen Asylbewerber einer Gemeinschaftsunterkunft oder nicht doch im Einzelfall einer Einzelunterkunft zuweist, jedoch die privaten Belange des jeweils betroffenen Ausländers gegen das öffentliche Interesse abzuwägen. Aus § 53 Abs. 1 AsylVfG kann sich deshalb im Einzelfall ein Rechtsanspruch desjenigen Asylbewerbers, der - wie vorliegend der Kläger - nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ergeben, aufgrund besonderer (atypischer) Umstände aus der Pflicht zur Wohnsitznahme in eine Gemeinschaftsunterkunft entlassen zu werden und eine Einzel- bzw. Privatunterkunft nehmen zu dürfen. Der durch § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit der Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften verbundene Eingriff in die Freiheitssphäre des Asylbewerbers ist nämlich nur dann und nur insoweit zulässig, als er zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist und die gewählten Mittel dabei in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen. Der Zweck der gesetzlich vorgesehenen Grundsatzform der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft ist u.a. der, den Asylbewerbern sowohl für ihre eigene Person als auch im Hinblick auf mögliche künftige Asylantragsteller vor Augen zu führen, dass mit dem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter vor dessen unanfechtbarer Stattgabe kein Aufenthalt im Bundesgebiet zu erreichen ist, wie er nach allgemeinem Ausländerrecht eingeräumt wird. Daraus folgt, dass Asylbewerber die mit der Wohnsitznahme in Gemeinschaftsunterkünften typischerweise verbundenen Nachteile hinnehmen müssen, wozu - in den Grenzen der Menschenwürde - eine gewisse räumliche Beengtheit gehört. Dem stellt das Gesetz in § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG die Belange des Ausländers entgegen. Hierbei sind insbesondere dem Ausländer durch die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft drohende oder bereits eingetretene gesundheitliche Schäden sowie Nachwirkungen der Verfolgung, etwa bei Opfern von Folterungen oder Gruppenrivalitäten bei der Abwägung von besonderem Gewicht (vgl., jeweils m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG, des BVerwG und der Obergerichte: VG Gera, Gerichtsbescheid v. 19.03.1999 - 5 K 20646/98 GE; VG Göttingen, Urt. v. 10.05.1996 - 4 A 4049/96; beide Entscheidungen zugänglich über Juris Web).

Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts überwiegen die privaten Belange des Klägers die öffentlichen Interessen derart, dass er - und wegen Art. 6 Abs. 1 GG auch seine Frau und Kinder - einen Anspruch darauf hat, nicht mehr in einer Gemeinschaftsunterkunft sondern in einer Privatunterkunft zu wohnen. Die behördlich veranlasste Untersuchung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau Dr. M. hat die bereits durch den Therapeuten des Klägers dargelegte und bescheinigte schwere chronifizierte PTBS bestätigt (vgl. Stellungnahme vom 03.07.2002, Seite 4). Auch die amtsärztliche Stellungnahme äußert sich klar dahin, dass die in Gemeinschaftsunterkunft typischen und regelmäßigen Umgebungsreize (Lärm, Hellhörigkeit, Kasernenatmosphäre, Schmutz) zu einem wiedertrolten Erleben durch den Kläger in der Haft erlittener Traumata führen und nicht nur eine Besserung seines Leidens verhindern sondern dessen weitere Chronifizierung herbeiführen. Die psychische Belastungssituation des Klägers steht ferner noch in zusätzlicher Wechselwirkung mit den Verhaltensauffälligkeiten seiner Kinder, um deren Wohlergehen er deshalb besonders besorgt ist, sich ihrer Situation gegenüber aber hilflos fühlt. Die Amtsärztin hat keinen Zweifel daran, dass die Krankheit des Klägers bereits auch die Gesundheit seiner Kinder beeinträchtigt hat und ihre psychosoziale Integration gefährdet. Diese medizinische Befundlage hat das Gericht davon überzeugt, dass beim Kläger gesundheitliche Beeinträchtigungen dadurch bestehen, dass er (gegen seinen Willen) in der Gemeinschaftsunterkunft verbleiben muss, und dass dieser Zustand weiterhin hartnäckig manifest und therapie-unzugänglich bleiben wird, solange diese Situation nicht geändert wird.

Die Auffassung der Behördenseite, weder die Krankheit des Klägers noch die Hyperaktivität und Konzentrationsschwäche seiner Kinder sei mit genügender Wahrscheinlichkeit auf die Unterbringungsform zurückzuführen, kann das Gericht vor diesem Hintergrund nicht teilen. Bereits die mögliche, nicht ganz fernliegende Gefährdung der Gesundheit, die erkennbar auch im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsunterbringung steht, erfordert es in Anbetracht des Grundrechts des Klägers auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG, seinem Begehren stattzugeben. Einer strengen, gewissermaßen alle Zusatzwirkungen und synergetische Bedingungen ausschließenden medizinischen Indikation kann es im grundrechtsrelevanten Bereich nicht bedürfen (i.d.S. auch VG Gera und VG Göttingen, a.a.O.)- solange - wie hier belegt - davon auszugehen ist, dass die gesundheitliche Situation des Klägers (und seiner Kinder) sich in einer Privatunterkunft eher als in einer Gemeinschaftsunterkunft stabilisieren und bessern wird.