OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 14.11.2003 - 1 Bf 421/01.A - asyl.net: M4812
https://www.asyl.net/rsdb/M4812
Leitsatz:

1. Wegen einer ganz untergeordneten Unterstützung der Mellat-Partei im Iran droht keine politische Verfolgung.

2. Ein Übertritt zum Christentum (Apostasie) in Deutschland begründet auch dann keine Verfolgungsgefahr, wenn religiöse Aktivitäten nur in der Gemeinde oder im näheren Freundes- und Bekanntenkreis entfaltet werden und der Kläger dabei keine besondere Funktion innehat, in der er erkennbar nach außen hervorgetreten ist.

3. Das gilt auch, wenn der Kläger außerdem in nicht hervorgehobenem Umfang exilpolitische Aktivitäten für die OIVPK entfaltet.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Iran, Mellat-Partei, Flugblätter, Sippenhaft, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Christen, Konversion, Apostasie, Religiös motivierte Verfolgung, Missionierung, Religiöses Existenzminimum, Strafverfolgung, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Exilpolitische Betätigung, Organisationshauptverein der Iranischen Vereine für Politik und Kultur, OICPK, Demonstrationen, Büchertisch
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, als asylberechtigt nach Art. 16 a Abs. 1 GG f anerkannt zu werden.

Schon bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 26. Mai 1999 war die Schilderung der

Klägerin zum Grund und zu den Umständen ihrer Ausreise inhaltlich wenig präzise. Dies hat sich bei ihrer gerichtlichen Anhörung durch den Senat noch deutlich verstärkt.

Unabhängig davon rechtfertigen auch die von der Klägerin selbst geschilderten politischen Aktivitäten vor ihrer Ausreise im Iran nicht die Annahme einer ihr seinerzeit unmittelbar bevorstehenden Verfolgung. Diese Aktivitäten beschränkten sich auf die Weitergabe von Flugblättern, die der Ehemann der Klägerin zusammen mit anderen Mitgliedern der Mellat- Partei verfasst und gedruckt haben soll.

Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die iranischen Behörden von der ganz untergeordneten Tätigkeit der Klägerin, die sich auch nur über einen kurzen Zeitraum erstreckt haben soll, seinerzeit überhaupt Kenntnis erlangt haben. Selbst wenn dem so wäre, hätte nach der Auskunftslage zur Mellat-Partei, einer zwar verbotenen, aber gleichwohl geduldeten Oppositionspartei im Iran (vgl. Auswärtiges Amt vom 7.9.1998 an das Verwaltungsgericht Köln und vom 26.4.2001 an das Verwaltungsgericht Berlin; Deutsches Orient-Institut vom 22.12.2000 an das Verwaltungsgericht München) eine ernsthafte Verfolgungsgefahr aus diesem Grunde für die Klägerin nicht bestanden.

Soweit ihr Ehemann wegen seiner nach Schilderung der Klägerin ungleich umfangreicheren Aktivitäten gefährdet gewesen sein sollte, würde sich diese Gefahr nicht allein deshalb auf die Klägerin erstreckt haben. Sippenhaft wurde und wird im Iran nämlich - abgesehen von der Zeit während oder kurz nach der Revolution - nicht praktiziert (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.6.2003, S. 18 und vom 30.9.1998, S. 14).

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin im Iran wegen ihres in der Bundesrepublik vorgenommenen Übertritts zum christlichen Glauben und ihrer in diesem Zusammenhang entfalteten Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Der Senat hat bereits in seinem früheren Urteil vom 22. Februar 2002 (1 Bf 486/98.A), das inzwischen rechtskräftig geworden ist (BVerwG, Beschluss vom 14.08.2002, 1 B 207.02), aufgrund der damals bestehenden Auskunftslage entschieden, dass für einen Iraner allein der Abfall vom islamischen Glauben und der Übertritt zum Christentum noch keine beachtliche Verfolgungsgefahr begründet. Es reicht dafür nach dem Urteil auch nicht aus, wenn der jeweilige Kläger religiöse Aktivitäten nur in seiner Gemeinde oder in seinem näheren Freundes- und Bekanntenkreis in der Bundesrepublik entfaltet, sofern er dabei nicht eine besondere Funktion inne hat und in dieser erkennbar nach außen hervorgetreten ist.

Im Einzelnen wird in dem genannten Urteil ausgeführt (S. 17 ff.): ...

In einem weiteren Urteil vom 29. August 2003 (1 Bf 11/98.A) hat der Senat - nach Einholung weiterer Auskünfte des Auswärtigen Amtes, des Deutschen Orient-Institutes und von amnesty international - diese Rechtsprechung bestätigt und auch in einem Fall von umfangreichen religiösen und missionarischen Aktivitäten einer Iranerin in der Bundesrepublik eine beachtliche Verfolgungsgefahr verneint. Dabei wurde - wie auch im Urteil vom 22. Februar 2002 - nicht nur eine unmittelbare Verfolgungsgefahr durch staatliche iranische Stellen, sondern auch eine mittelbare staatliche Verfolgung (Vorgehen Dritter mit staatlicher Billigung und/oder Duldung) in den Blick genommen.

In den genannten Urteilen ist ferner ausgeführt, dass sich die jeweiligen Kläger auch nicht mit Erfolg darauf berufen könnten, dass sie als Christen auf Grund des biblischen Missionsbefehls verpflichtet seien, den Glauben - auch in ihrem Heimatland - zu verbreiten und dass jedenfalls die Missionierung im Iran zu einer beachtlichen Gefährdung führe. Die Kläger brauchten zwar bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben dort nicht zu verleugnen. Ihnen sei aber zur Vermeidung von Repressalien in ihrem Heimatland zuzumuten, die Religionsausübung auf den häuslich-privaten Bereich zu beschränken und jede über diesen Bereich hinausgehende Missionierung zu unterlassen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 1.7.1987, BVerfGE Bd. 76 S. 143, 158 ff.) seien Eingriffe in die Religionsfreiheit nur dann als politische Verfolgung zu betrachten, wenn sie den Einzelnen in seinem auf den häuslich-privaten Bereich beschränkten "religiösen Existenzminimum" treffen.

Im vorliegenden Fall nimmt die Klägerin, die im November 2000 durch den Zeugen Pastor getauft worden ist, nach ihren Angaben an den sonntäglichen Gottesdiensten der persischsprachigen Gemeinde sowie an den jetzt einmal wöchentlich stattfindenden Bibelstunden teil. Ferner spricht sie iranische Landsleute an und berichtet ihnen über das Christentum. Sie will auch missionarisch gearbeitet haben, hat aber selbst dazu erklärt, sie habe auch viele Absagen, darunter die ihrer Tochter, erhalten; es seien viele, die sie in die Kirche gebracht habe, wieder weggeblieben. Anhaltspunkte dafür, dass die entsprechende Tätigkeit der Klägerin über ihren näheren Verwandten- und Bekanntenkreis, u.a. in ihrer Asylbewerberunterkunft, hinausgeht, bestehen aber nicht.

Damit fällt die Klägerin, die zudem innerhalb ihrer Gemeinde oder einer sonstigen christlichen Gruppe keine besondere Funktion innehat, nicht in den Bereich derjenigen Iraner, die wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben und ihrer für das Christentum entfalteten Aktivitäten in der Bundesrepublik nach der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats beachtlich verfolgungsgefährdet sind.

Eine beachtliche Verfolgungsgefahr ergibt sich für die Klägerin auch nicht aus ihren politischen Aktivitäten für den "Organisationshauptverein der Iranischen Vereine für Politik und Kultur" (OIVPK).

Denn nach den eigenen Angaben der Klägerin gehen ihre Aktivitäten für den OIVPK nicht über die einfache Teilnahme an Demonstrationen, Vorbereitung von Sitzungen, Plakatklebeaktionen und Flugblattverteilung sowie die Betreuung eines Büchertisches zusammen mit anderen Personen hinaus. Diese Aktivitäten beschränken sich zudem auf die Anfangszeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik; zuletzt will sie nach ihrer Angabe vor zwei bis drei Jahren an einer Demonstration in Berlin teilgenommen haben. Unter diesen Umständen besteht nach der Auskunftslage für die Klägerin keine beachtliche Verfolgungsgefahr, wie sich aus Folgendem ergibt:

Der OIVPK hat nach Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz an das Verwaltungsgericht Leipzig vom 23. August 2000 in der Bundesrepublik seit seiner Gründung in den 90er Jahren kontinuierlich zahlreiche Demonstrationen und Protestkundgebungen durchgeführt, die ausnahmslos friedlich verlaufen sind und unter Beteiligung von Angehörigen des linksorientierten iranisch-oppositionellen Spektrums stattfanden. Die Bedeutung des OIVPK wird vom Bundesamt innerhalb dieses Spektrums als gering eingeschätzt und dürfte durch seine Existenz und seine Aktivitäten auch aus der Sicht offizieller iranischer Stellen keine Gefahr für den iranischen Staat darstellen, anders als diejenigen Organisationen, die - wie etwa die Volksmudjaheddin - mit gewaltsamen Mitteln einen Umsturz im Iran durchführen wollen. Dementsprechend werden die iranischen Behörden allenfalls an Funktionsträgern des OIVPK interessiert sein, nicht aber an einfachen Teilnehmern von Demonstrationen und sonstigen Protestkundgebungen.