OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 26.01.2004 - 1 R 27/03 - asyl.net: M4822
https://www.asyl.net/rsdb/M4822
Leitsatz:

Keine extreme Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG für Roma in Serbien.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Serbien, Roma, Kinder, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Existenzminimum, Extreme Gefahrenlage
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der Bescheid der Beklagten vom 11.7.2002 ist auch rechtmäßig, soweit darin das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG verneint wird.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Falle einer gegebenenfalls notwendigen Rückführung in eine extreme, ein verfassungsrechtliches "Korrektiv" gebietende Gefahr geraten würde. Die Annahme, quasi jeder Roma im Kindes- oder Säuglingsalter würde im Falle seiner Rückkehr in das Heimatland dort überall "flächendeckend" landesweit (hierzu BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 330), und darüber hinaus nicht irgendwann, sondern alsbald nach einer Rückkehr (dazu BVerwG, Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, Buchholz 402.240, § 53 Nr. 10), im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung "sehenden Auges dem sicheren Tod" oder "schwersten Verletzungen" ausgeliefert, ist nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial nicht gerechtfertigt.

Diesem ist freilich, und dabei gibt es nichs zu beschönigen, zu entnehmen, dass die vor dem Hintergrund einer nach wie vor prekären wirtschaftlichen Gesamtsituation beziehungsweise des wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Ruins des Landes zu sehenden und dadurch naturgemäß verschärften Lebensverhältnisse der trotz staatlicherseits unternommener Versuche einer rechtlichen und sozialen Verbesserung der Situation dieser ethnischen Minderheit zu etwa 90 % in illegalen Elendssiedlungen ("Slums") lebenden Roma in Serbien, wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt hat, als erbärmlich bezeichnet werden müssen. Insofern ergibt sich aus den vorliegenden Auskünften verschiedener Stellen ein - von Formulierungen im einzelnen abgesehen - im wesentlichen einheitliches Bild: [...]

Lässt sich vor diesem Hintergrund vernünftiger Weise nicht in Abrede stellen, dass die Lebensverhältnisse der Roma im Herkunftsland des Klägers mit dem deutschen Standard und letztlich - bei herkömmlichem Verständnis - auch mit europäischen Maßstäben nicht vergleichbar, vielmehr ungleich schwieriger sind, so bleibt dennoch festzuhalten, dass diese Situation die Annahme einer extremen Gefahrenlage in dem eingangs erwähnten Sinne, die eine "Korrektur" der gesetzlichen Vorgaben in § 53 Abs. 6 AuslG aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten erscheinen lassen könnte, nicht rechtfertigt. Trotz der geschilderten primitiven Lebensverhältnisse einer Vielzahl von Roma gibt es keine Berichte, dass es in deren Folge in größerem Umfang zu Todesfällen oder dergleichen gekommen wäre. Von daher ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass dem Kläger mit dem gerade in diesem Zusammenhang erforderlichen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit eine "Extremgefahr" in dem genannten Sinne droht (ebenso für Roma aus Serbien und Montenegro zuletzt etwa OVG Schleswig, Beschluss (§ 130 a VwGO) vom 4.12.2003 - 3 LB 51/01 -, Entscheidungsgründe Seite 14, OVG Münster, Beschluss (§ 130 a VwGO) vom 30.10.2002 - 5 A 1485/01.A -). Für eine entscheidungserhebliche Verschlechterung der Versorgungslage in jüngster Vergangenheit fehlt jeder Anhaltpunkt. Da ungeachtet des Ergebnisses der Wahlen vom Dezember 2003 nicht allein bereits daraus ein grundsätzlicher Wandel beziehungsweise eine Verschlimmerung der politischen und rechtlichen Situation der Roma in Serbien hergeleitet werden kann, ist auch von daher und damit insgesamt kein Raum für eine verfassungsrechtlich motivierte Abweichung von den rechtlichen Vorgaben des § 53 Abs. 6 AuslG "zu Lasten" der Beklagten, so dass ein hierauf gerichteter Verpflichtungsausspruch nicht in Betracht kommt.