KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 12.12.2003 - 25 W 173/02 - asyl.net: M4917
https://www.asyl.net/rsdb/M4917
Leitsatz:

Wird ein Ausländer trotz Asylgesuchs in Abschiebungshaft genommen, wird die rechtswidrige Abschiebungshaft nicht dadurch nachträglich rechtmäßig, dass das BAFl den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnt.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Asylgesuch, Asylantragstellung, Einreise, Seeweg, Aufenthaltsgestattung, Haftanordnung, Rechtswidrigkeit, Feststellungsantrag, Beschwerde, Beschwerdeverfahren, Prüfungsumfang, Neue Tatsachen
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AsylVfG § 13 Abs. 1; AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 1; FGG § 23; AsylVfG § 14 Abs. 4 S.1
Auszüge:

 

Der Feststellungsantrag ist begründet. Der landgerichtliche Beschluss, mit dem die sofortige Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss des Amtsgerichts betreffend den Haftzeitraum vom 26. Juli 2002 bis zum 14. Oktober 2002 zurückgewiesen worden ist, erweist sich nach Ansicht des Senats als rechtsfehlerhaft (§ 27 FGG, 559 Abs. 2 ZPO). Die vom Landgericht vorgenommene Anwendung der Regelung in § 23 FGG, wonach eine Beschwerde auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden kann, begegnet durchgreifenden Rechtsbedenken.

Nach den vom Landgericht selbst getroffenen Feststellungen hat der Betroffene (jedenfalls) vor dem Amtsgericht Schöneberg am 17. Juli 2002 ein Asylgesuch vor Erlass des Haftbeschlusses gestellt.

Wie das Landgericht zutreffend ausführt, beginnt die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bei einem (hier vorliegenden) Erst-Asylbegehren dann, wenn der Ausländer bei der hier nicht anzunehmenden Einreise aus einem sicheren Drittstaat um Asyl nachsucht (vgl. zur Einreise aus einem sicheren Drittstaat: BGH FG Prax 2003, 143). Das Nachsuchen um Asyl ist eine dem eigentlichen Asylantrag vorgelagerte formlose Bitte um Asyl (vgl. OLG Frankfurt, EZAR, 048 Nr. 45). Sie muss zur Erhaltung der Aufenthaltsgestattung innerhalb von zwei Wochen in einen Erst-Asylantrag umgesetzt werden (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG). Der Ausländer kann auch bei dem mit der Entscheidung über den Haftantrag befassten Richter um Asyl nachsuchen (vgl. BayObLGZ 1993, 5 ff.; OLG Frankfurt, a.a.O.). Die Aufenthaltsgestattung beginnt in diesen Fällen bereits im Zeitpunkt des Nachsuchens um Asyl (Melchior, Abschiebungshaft, 01/2001 Nr. 401 a}.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine AsylantragsteIlung der Anordnung oder

Abschiebungshaft gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG nicht entgegensteht, wenn sich der Ausländer in den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Asy/VfG in Untersuchungshaft, Strafhaft, Vorbereitungshaft nach § 57 Abs. 1 AuslG, Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (wegen längeren Aufenthalts als einen Monat nach unerlaubter Einreise) oder § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 - 5 AuslG befindet. Diese Rechtsfolgen greifen nur dann ein, wenn ein Betroffener erstmals ein Asylbegehren geltend macht, während er sich in einer richterlich bereits angeordneten Haft befindet und es sich dabei um eine der vorgenannten Haftarten handelt. Die Aufzählung der Haftformen in § 14 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist abschließend: Bringt damit ein bis dahin auf freiem Fuß befindlicher Ausländer im Polizei/Behördengewahrsam oder im Verlaufe der eine Haftentscheidung vorbereitenden richterlichen Anhörung ein Erstasylbegehren an und begründet er damit eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, ist die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung unzulässig (OLG Frankfurt, a.a.O.; vgl.a. Senat, FG Prax 2001, 40; Melchior, Abschiebungshaft, 01/2001, Nr. 417).

Da sich der Betroffene nicht in Haft befand und er wirksam um Asyl nachgesucht hatte, durfte nach Vorstehendem seitens des Amtsgerichts am 17. Juli 2002 keine Abschiebungshaft angeordnet werden. Der Betroffene wäre vielmehr zu entlassen, der Haftantrag wäre im Falle der Notwendigkeit seiner Bescheidung zurückzuweisen gewesen.

Durch die Anordnung der Sicherungshaft wurde der Betroffene gehindert, dass Asylverfahren in Freiheit zu betreiben. Die Tatsache, dass das Bundesamt den förmlichen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, macht die Haftanordnung nicht rechtmäßig. Erkenntnisse und Feststellungen darüber, wie sich der Aufenthalt des Betroffenen im Inland im Falle der Durchführung eines Asylverfahrens ohne Haft gestaltet hätte, sind nämlich nicht möglich (OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die vom Landgericht getroffene Wertung, wonach das Aufenthaltsgestattungsrecht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung erloschen sei, trägt hier nicht. Sie wäre vielmehr nur gerechtfertigt, wenn ein Fall des § 14 Abs. 4 AsyVfG vorgelegen hätte, der Haftantrag also nach der richterlichen Entscheidung gestellt worden wäre. Dann endet die Abschiebehaft mit Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrages, es sei denn, der Asylantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG). Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Würde der Ansicht der Landgerichts gefolgt, führte dies zu einer unzulässigen Verkürzung des Rechtsweges. Denn hier wäre hinsichtlich der weiteren Entwicklung ggfls. ein weiteres Haftverfahren durchzuführen gewesen, das zunächst durch die erste Instanz zu zu entscheiden gewesen wäre.