OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03.OVG - asyl.net: M4949
https://www.asyl.net/rsdb/M4949
Leitsatz:

Ist ein politischer Flüchtling nach dem Recht seines Heimatlandes gültig mit zwei Ehefrauen verheiratet, von denen die erste bereits über eine Aufenthaltsbefugnis verfügt und die zweite aufgrund von Duldungen seit mehreren Jahren an der Lebensgemeinschaft teilhat, so kann die Ausländerbehörde gehalten sein, auch der Zweitfrau (trotz Sozialhilfebezugs) eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Iraker, Abgelehnte Asylbewerber, Mehrehe, Aufenthaltsbefugnis, Ehegatte, Konventionsflüchtlinge, Familienzusammenführung, Schutz von Ehe und Familie, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Familiäre Lebensgemeinschaft, Regelversagungsgründe, Sozialhilfebezug, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AuslG § 55 Abs. 2; AuslG § 30 Abs. 3; AuslG § 30 Abs. 4; AuslG § 31; GG Art. 6 ; GG Art. 3; GG Art. 2 ; AuslG § 53 Abs. 4; EMRK Art. 8; AuslG § 7 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an die Klägerin, die als Zweitfrau in einer mehrehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem abschiebungsschutzberechtigten Ehegatten im Bundesgebiet lebt.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verlangen. Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Klägerin ein solcher Anspruch nicht nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 bis 4 und abweichend von Abs. 5 AuslG zusteht, nachdem der dort verwandte Begriff des Ehegatten nicht eine in Mehrehe geheiratete weitere Ehefrau erfasst. Dies erschließt sich zweifelsfrei mit Blick auf den im übrigen Ausländergesetz verwandten Begriff des Ehegatten, in Sonderheit also mit Blick auf den Ehegattenbegriff der in erster Linie den Ehegattennachzug regelnden Bestimmungen der §§ 17 ff AuslG und hier wiederum namentlich des die Grundprinzipien dieses Nachzugs enthaltenden § 17 Abs. 1 AuslG. Nach dessen ausdrücklichem Wortlaut soll der Nachzug eben nur in dem durch Art. 6 GG gebotenen Umfang erfolgen. Das folgt auch aus der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung. Der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 17 AuslG (vgl. BT-Drs. 11/6321 S. 60) zufolge hat dieser Hinweis auf Art. 6 GG eine begrenzende Funktion, so dass Familienangehörige aus einer Mehrehe nicht nachzugsberechtigt sein sollen. Obgleich es nach internationalem Privatrecht möglich ist, auch eine Mehrehe eines Ausländers als gültig anzuerkennen, soll ausländischen Ehegatten ein privilegiertes Zugangsrecht in das Bundesgebiet hiernach nur im Hinblick auf die grundrechtliche Gewährleistung des Schutzes der Ehe nach Art. 6 GG gewährt werden. Maßgebend dafür ist aber die Institution der Ehe, wie sie sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis herausgebildet hat. Danach gehört das Prinzip der Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik und damit zu den auch den ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen Wertsetzungen (vgl. dazu BVerfGE 76, S. 1, BVerwGE 71. S. 228, OVG Lüneburg InfAuslR 1992, S. 364, GK-AuslR, § 18 AuslG, Rdnr. 69).

Dass dieser so dem Ausländergesetz zu Grunde gelegte Begriff des Ehegatten gerade in § 31 AuslG ausnahmsweise im Hinblick auf in einer Mehrehe verbundene Ehepartner eine Erweiterung erfahren hätte oder zumindest diesbezüglich einer erweiternden Auslegung zugänglich sein könnte, ist nicht ersichtlich.

Ungeachtet dessen, dass mithin das Ehegattenprivileg des § 31 Abs. 1 AuslG mit seiner Verweisung auf § 30 AuslG nicht zu Gunsten der Klägerin Platz greift, vermag diese sich für die von ihr begehrte Aufenthaltsbefugnis jedoch unmittelbar auf § 30 AuslG zu berufen, ohne dass - wie des weiteren aufzuzeigen sein wird - der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis Versagungsgründe entgegenstehen oder diese im Rahmen der somit vorzunehmenden Ermessensentscheidung versagt werden kann. Dabei kommen in Anbetracht der unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrages der Klägerin (vgl. Beschluss des 7. Senates des erkennenden. Gerichts vom 28. Januar 2000 - 7 A 1 0158/00.0VG -) gemäß Abs. 5 der Bestimmung als Grundlage für diese Aufenthaltsbefugnis nur die Absätze 3 und 4 der Regelung in Betracht.

Zunächst kann es im Rahmen der Anwendung des § 30 Abs. 3 AuslG nicht zweifelhaft sein, dass die Klägerin dessen tatbestandsmäßige Voraussetzungen insoweit erfüllt, als sie auf Grund des gegen sie ergangenen abschlägigen Asylbescheides vom 6. August 1999 und des hiergegen erfolglos angestrengten Asylrechtstreits unanfechtbar ausreisepflichtig ist, so dass ihr grundsätzlich in Abweichung von dem besonderen Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 AuslG - also trotz ihrer früheren illegalen Einreise ins Bundesgebiet als Asylbewerberin auch ihrer Passlosigkeit - eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden kann.

Darüber hinaus sieht der Senat die Anforderungen dieser Bestimmung auch insoweit als gegeben an, als bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil ihrer freiwilligen Ausreise bzw. ihrer Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten hat.

Dabei liegt ein derartiges zwingendes Abschiebungshindernis insbesondere auch dann vor, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine hier bestehenden familiären oder sonst schützenswerten persönlichen Beziehungen durch seine Ausreise zu unterbrechen; hierin liegt alsdann zugleich ein seiner freiwilligen Ausreise entgegenstehendes, von ihm nicht zu vertretendes Hindernis im Sinne des § 30 Abs. 3 AuslG (vgl. BVerfG, NVwZ 1997, S. 479 und BVerwGE 106, S. 13).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aus heutiger Sicht erfüllt, weil es der Klägerin nicht mehr zugemutet werden kann, die mit ihrem Ehemann mit der Heirat im Jahr 1977 im Irak begründete, nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 1999 wieder aufgenommene und seitdem in der Bundesrepublik fortgeführte Lebensgemeinschaft aufzugeben, zumal ihre Ehe zwischenzeitlich auch hier als in gleicher Weise rechtsgültig wie die Erstehe ihres Ehemannes anerkannt worden ist und der Ehemann wegen seiner Flüchtlingseigenschaft im Falle der Rückkehr der Klägerin in den Irak nicht etwa auf eine Nachreise zur Weiterführung der Ehe im gemeinsamen Herkunftsland verwiesen werden kann. Dabei mag dahinstehen, inwieweit sich die Klägerin für diese Unzumutbarkeit ihrer freiwilligen Ausreise ungeachtet ihres Zusammenlebens mit ihrem Ehemann lediglich in einer mehrehelichen Lebensgemeinschaft nicht mittelbar doch auf Wirkungen des Schutzgedankens des Art. 6 berufen kann (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., Art. 2, Rdnr. 2, BVerfGE 76, S. 1, BVerwGE 71, S. 228 sowie Zimmermann, DÖV 1991, S. 401); denn die solchermaßen in Übereinstimmung mit dem Recht ihrer Heimat wirksam begründete und seit vielen Jahren zunächst im Irak gelebte bzw. nunmehr im Bundesgebiet fortgeführte und zwischenzeitlich auch hier als rechtswirksam anerkannte Mehrehe unterfällt jedenfalls dem Schutzbereich des Art. 2 GG und stellt auch über § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 EMRK ein Abschiebungshindernis dar, wonach jedermann einen Anspruch auf Achtung seines Privatlebens hat. Dies gilt ungeachtet dessen, dass naturgemäß auch in die hiernach geschützten Rechte eingegriffen werden kann, wenn dies aus gewichtigen Gründen notwendig erscheint. Denn solche liegen nur dann vor, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten öffentlichen Interesse stehen, wovon indes vorliegend aus heutiger Sicht in Anbetracht der besonderen Situation der Klägerin nicht ausgegangen werden kann. Insofern ist vielmehr zu sehen, dass die Beklagte selbst unmittelbar nach dem Abschluss des Asylverfahrens von der seinerzeit ins Auge gefassten und damals im Grundsatz auch möglichen Durchsetzung der Ausreisepflicht der Klägerin Abstand genommen hatte und damit für sie, die sich aus ihrem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergebenden Möglichkeiten zur Fortführung und Festigung ihre Lebensgemeinschaft mit dem Ehemann (wie auch dessen Erstfrau) unter den hiesigen Bedingungen mit ermöglicht hatte. Ebenso ist zu sehen, dass es der Klägerin gerade vor dem Hintergrund der hier so über Jahre hinweg gewachsenen Zusammenlebens in dieser Mehrehe nun nicht mehr zugemutet werden kann, ihre Ehe künftig nur noch durch gelegentliche Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, § 55 AuslG, Rdnr. 27 f), wogegen ihrem Ehemann wie auch der mit ihr gemeinsam eingereisten Erstfrau die Fortführung deren Ehegemeinschaft in der Bundesrepublik weiterhin gestattet ist.

Vor diesem Hintergrund ist der Senat des Weiteren der Auffassung, dass die hiernach gemäß § 30 Abs. 3 AuslG grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, der Klägerin im Ermessenswege die von ihr begehrte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, nicht von vornherein dennoch ausscheidet, weil einer solchen Erteilung wegen deren Sozialhilfebedürftigkeit der auch im Rahmen des § 30 Abs. 3 AuslG grundsätzlich anzuwendende Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG entgegensteht. Denn wenn es auch zutrifft, dass hiernach Aufenthaltsgenehmigungen im Sinne des § 5 Abs. 1 AuslG, zu denen gemäß Ziff. 4 die Aufenthaltsbefugnis zählt, in der Regel zu versagen sind, wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln bzw. zumindest aus Unterhaltsleistungen seiner Familienangehörigen bestreiten kann, so greift diese Bestimmung doch dann nicht ein, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, weil besondere Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des diesem Regelversagungsgrund zu Grunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt ein solcher Ausnahmefall namentlich dann vor, wenn der Versagung eines Aufenthaltsrechts höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist, wobei sich entsprechende Rechtspositionen wiederum nicht nur aus Art. 6 GG, sondern in gleicher Weise auch aus Art. 2 GG bzw. Art 8 EMRK ergeben können. Dabei ist des Weiteren auf Grund einer Abwägung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen zu entscheiden, ob wegen solchermaßen dem jeweiligen Ausländer zu Gute zu bringender Rechtspositionen eine Ausnahme vom Regelversagungsgrund geboten ist (BVerwG, NVwZ-RR 1999, S. 610).

Hiernach ist es mit Blick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht gerechtfertigt, der Klägerin die erstrebte Aufenthaltsbefugnis wegen ihres Sozialhilfebezuges in Höhe von monatlich 200.-- € einschließlich des etwa zusätzlich auf sie entfallenden Anteils an den Wohnungskosten nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 AuslG auch weiterhin vorzuenthalten.