VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 20.01.2004 - M 9 K 03.51197 - asyl.net: M5003
https://www.asyl.net/rsdb/M5003
Leitsatz:

§ 51 Abs. 1 AuslG wegen Homosexualität, Berichten in einer deutschen Schwulenzeitung und exilpolitischen Engagements für die Legalisierung der Homosexualität im Iran.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Iran, Homosexuelle, Hausdurchsuchung, Verbotene Filme, Folgeantrag, Neue Beweismittel, Strafverfolgung, Vorladung, Internet, Medienberichterstattung, Glaubwürdigkeit
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens am 4. April 2003 Wiederaufgreifensgründe vorgetragen, die es rechtfertigen, das Verfahren gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG wiederaufzugreifen.

Als neue Tatsache hat er eine Vorladung vorgelegt, die ihm seit 25. Januar 2003 zur Verfügung stand. Da die letzte Möglichkeit zur Tatsachenergänzung im Erstverfahren die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. Januar 2003 war, blieb dem Kläger nur die Möglichkeit diese neue Urkunde im Wege eines Folgeantrags in das Verfahren einzuführen. Neue Tatsachen sind darüber hinaus die Berichte in verschiedenen Heften der Zeitschrift (...) sowie die Stellungnahme von Herrn Dipl. Psych. Knoll vom (...).

Aufgrund der neuen Tatsachen und des Vorbringens im Erstverfahren sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG glaubhaft gemacht.

Ausschließlicher Verfolgungsgrund, der vom Kläger vorgebracht wurde, ist seine Homosexualität und seine damit zusammenhängenden Aktivitäten.

Ob und dass der Kläger homosexuell veranlagt wäre, ist nach Auffassung der Kammer nicht beweisbar. Der Einholung eines Gutachtens bei einer psychiatrischen Klinik bedurfte es deshalb nicht. Das in einem anderen Verfahren eingeholte Gutachten (Au 8 K 98.31067) zieht im Grunde ebenfalls nur die Angaben des Probanden heran, um zum Ergebnis zu kommen, dass sich "die Formulierung einer unabänderlichen homosexuellen Persönlichkeit aus psychiatrischer Sicht nicht konkret und abschließend beantworten" lässt. Für eine solche Wertung bedarf es keines Gutachtens, diese Wertung kann und muss durch das Gericht im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung des Klägers durchgeführt werden.

Das Gericht glaubt dem Kläger, dass er homosexuell veranlagt ist. Schon im Urteil vom 27. Januar 2003 wird seine homosexuelle Veranlagung als glaubhaft angenommen (S. 11 der Urteilsgründe). Bestätigt wird diese Veranlagung durch die Angaben, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 16. Januar 2004 gemacht hat. Der Kläger verkehrt danach in homosexuellen Kreisen, kennt die einschlägigen Treffpunkte in (...) und hat seit Kurzem auch wieder einen festen Freund. Zudem wird er in der Homosexuellen- und Lesbenzeitschrift sergej ausdrücklich als homosexuell bezeichnet. Der Dipl. Psych. Knoll vom(...) meint, es bestehe aus psychologischer Sicht kein Zweifel an der "stabilen homosexuellen Identität" des Klägers.

Homosexualität zwischen Männern wird im Iran strafrechtlich verfolgt (Art. 108 bis 126 Iran.StGB). Art. 110 des Iran.StGB sieht dabei als Regelstrafe die Todesstrafe vor. Geringere Strafen sind vorgesehen für Minderjährige, bestimmte sexuelle Handlungen und für den Fall, dass die vollen Beweisanforderungen für die Todesstrafe nicht erbracht werden können. Die Verfolgungs- und Verurteilungspraxis ist wegen der genau vorgeschriebenen Beweisverfahren, deren detaillierte Erfordernisse nur in seltenen Fällen erfüllbar sind, eher zurückhaltend, wegen der mangelnden Transparenz des iranischen Gerichtswesen aber auch willkürlich.

Nach den jüngeren Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vgl. zuletzt vom Mai 2003 S. 18) ist keine eindeutige Aussage möglich, in welchem Umfang und mit welcher Intensität strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität betrieben werden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das islamisierte Sexualstrafrecht oft zu politischen Zwecken eingesetzt wird oder auch im Rahmen von Auseinandersetzungen zwischen Privaten als Druckmittel benutzt wird.

Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit, insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für das Vorliegen "einer politischen Verfolgung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten" vorzutragen.

Letzteres hat der Kläger getan. Er hat widerspruchsfrei - auch unter Berücksichtigung der Angaben im Erstverfahren - dargelegt, warum seine neu vorgetragenen Tatsachen eine Verfolgungswahrscheinlichkeit im Iran begründen.

Die von ihm vorgelegte Vorladung ist eindeutig echt. Die Veröffentlichung der Verfolgungsgeschichte des Klägers, wobei sein Name und sein Bild gezeigt wurden, in der Zeitschrift sergej, birgt die Gefahr in sich, dass den iranischen Sicherheitsbehörden dieses bekannt geworden ist. Der Kläger wird dadurch eindeutig identifiziert. Seine dort getätigten Aussagen können gegen ihn in einem etwaigen Gerichtsverfahren im Iran verwandt werden. Dass die Homosexualität des Klägers in iranischen Kreisen nicht nur im positiven Sinn schon für Gesprächsstoff sorgt, ergibt sich aus der schriftlichen Erklärung des Herrn ... vom 4. September 2003.

Schließlich birgt auch die Verbandsarbeit des Klägers nicht unerhebliche Gefahren in sich.

Wenn sich der Kläger, wie er durch Vorlage des Schreibens des iranischen Schwulen- und Lesbenverbands vom 9. Januar 2004 nachgewiesen hat, insgesamt dafür einsetzt, dass die Homosexualität im Iran legalisiert wird, stellt er sich damit gegen allgemeine Regeln des islamischen Staatssystems. Insoweit steht er unter besonderer Beobachtung der Sicherheitsbehörde. Bei einer Rückkehr in den Iran besteht deshalb die Gefahr, dass er mit besonderer Härte behandelt wird.

Aus Allem ergibt sich, dass der Kläger wegen seiner Homosexualität bei einer Rückkehr in den Iran nicht nur einer abstrakten, sondern einer konkreten Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt ist. Deshalb hat er Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.