VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 11.12.2003 - 9 TG 546/03 - asyl.net: M5010
https://www.asyl.net/rsdb/M5010
Leitsatz:

Für die Fortführung eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung besteht nach erfolgter Abschiebung kein Rechtsschutzbedürfnis.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Abschiebung, Folgenbeseitigungsanspruch, Rechtsschutzbedürfnis, Schengener Informationssystem, SIS, Einreisesperre, Datenlöschung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Abänderungsantrag, Beschwerde
Normen: AuslG § 72 Abs. 2; AuslG § 8 Abs. 2 S. 1; SchÜbkDÜbk Art. 96; VwGO § 80 Abs. 5 S. 1; VwGO § 80 Abs. 5 S. 3
Auszüge:

Im Fall des Antragstellers scheitert die Begrundung eines Rechtsschutzbedurfnisses aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO indes schon daran, dass ein solcher Annexantrag auf Beseitigung der Vollzugsfolgen im Beschwerdeverfahren nicht mehr gestellt ist. Der dem Bestimmtheitserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gerecht werdende Beschwerdeantrag des Antragstellers ist - anders als das ausdrücklich Aussetzungs- und Annexbegehren umfassende Rechtsschutzgesuch erster Instanz - auf die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beschränkt.

Hinzu tritt, dass bereichsspezifische Regelungen des Ausländerrechts materiell-rechtlich ausschließen, dass einem abgeschobenen Ausländer allein durch Suspendierung der Ausweisungsverfügung ein Folgenbeseitigungsanspruch erwächst, den er prozessual im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO geltend machen könnte. Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Folgenbeseitigungsanspruch zielt nämlich auf die Beseitigung hoheitlich veranlasster Unrechtslasten ab. Für den Anspruch kommt es daher nicht darauf an, ob der hoheitliche Eingriff rechtswidrig war, sondern ob der fortdauernde Zustand, um dessen Beseitigung es geht, rechtswidrig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1. 989 - BVerwG 7 C 2.87 -, BVerwGE 82, 76, 95; Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 5.99 -, DVBI. 2001, 726, 732; Bay. VGH, Urteil vom 26, Juli 1. 995 . 22 B 93.271 -, BayVBI. 1995, 758). Der durch eine Abschiebung herbeigeführte Zustand - die Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland - aber könnte im Aussetzungsverfahren selbst dann nicht als rechtswidrig bewertet werden, wenn das Gericht die

Ausweisungsverfügung suspendierte. Dies folgt aus § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG, nach dem der Widerspruch unbeschadet seiner aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung, die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lässt. Einem im Aussetzungsverfahren

gestellten Rechtsschutzgesuch auf Folgenbeseitigung durch Rückgängigmachung der Abschiebung würde wegen Aussichtslosigkeit daher das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. Mai 2002 - 8 S 16/02 -, NVwZ 2003, 239, 240). Auch ein vom Antragsteller gestellter - sonach mangels Rechtsschutzbedürfnisses selbst unzulässiger - Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO wäre daher nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung zu begründen.

Der in § 72 Abs. 2 AuslG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, dass bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache von der Rechtmäßigkeit der Beendigung des Aufenthalts auszugehen ist, steht nach erfolgter Abschiebung im Übrigen auch auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gestützten, gerichtlich angeordneten Maßnahmen unterhalb der Schwelle der Zulassung der Wiedereinreise entgegen.

Die im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. November 2003 - 12 TG 2668/03 - vertretene Auffassung, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf derartige Maßnahme zu bejahen ist, teilt der Senat nicht. Es fehlt aus der Perspekilve des Aussetzungsverfahrens - wie dargelegt - an einem durch die Abschiebung herbeigeführten rechtswidrigen Zustand als Voraussetzung eines gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO nach herrschender Meinung geltend zu machenden materiellen

Folgenbeseitigungsanspruchs.

Aber auch bei einem Verständnis des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO als rein prozessualer Befugnisnorm, die es dem Gericht erlaubt, die tatsächliche Situation mit der nach Herstellung der aufschiebenden Wirkung bestehenden Rechtslage im Sinne einer Interimsregelung in Einklang zu bringen (so Schoch a. a.O.), scheidet die Anordnung sowohl der Wiedereinreise des Ausländers als auch von Minusmaßnahmen zu ihrer Vorbereitung aus. Denn auch nach Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Ausweisung und Apschiebungsandrohung würde die tatsächliche Situation - Aufenthalt im Ausland - mit der Rechtslage - wegen § 72 Abs. 2 AuslG fortbestehende Rechtmäßigkeit der Beendigung des Aufenthalts im Inland - übereinstimmen.

Ob im Abänderungsverfahren eine Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO grundsätzlich ausscheidet, weil § 80 Abs. 7 VwGO eine Abänderung einer gerichtlichen Aussetzungsentscheidung nicht mit Rückwirkung, sondern nur für die Zukunft zulassen soll (so Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1992, Rdnr.1038), kann dahinstehen.

Ern Rechtsschutz!nteressedes Antragstellers an der begehrten Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung ist auch sonst nicht ersichtlich. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG besteht unabhängig von einer etwaigen Suspendierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Eine Suspendierung von Ausweisung und Abschiebungsandrohung begründet auch keinen Anspruch des abgeschobenen Ausländers auf Löschung seiner Daten im Schengener Informationssystem "SIS". Nach Art. 110 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19, Juni 1990 (BGBI. 1993 11, S. 1013) - SDÜ - hat jeder das Recht, unrechtmäßig gespeicherte Daten löschen zu lassen. Die Ausschreibung von Ausländern zur Einreiseverweigerung im SIS, die eine Einreisesperre für das gesamte Schengengebiet bewirkt, ist in Art. 96 SDÜ geregelt. Die Entscheidungen, die zur Datenübermittlung führen, können gemäß Art. 96 Abs. 3 SDÜ darauf beruhen, dass der Drittausländer ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgeschoben oder aufgehoben worden sein darf, ein Verbot der Einreise oder des Aufenthalts enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeachtung des nationalen Rechts über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern beruhen muss.

Soweit Art. 96 Abs. 3 SDÜ die Datenübermittlung bei Maßnahmen sperrt, die aufgeschoben sind, ist damit entsprechend allgemeinem Sprachgebrauch gemeint, dass eine noch nicht verwirklichte Maßnahme vorläufig auch nicht realisiert werden darf. Eine bereits verwirklichte Maßnahme kann demgegenüber nur im Nachhinein aufgehoben werden. lnfolge einer Abschiebung eines Ausländers im SIS erfasste Daten sind daher bis zur Aufhebung der zugrundeliegenden Verwaltungsakte rechtmäßig gespeichert. Diese Sichtweise liegt auch den Allgemeinen Anwendungshinweisen zum Schengener Durchführungsübereinkommen vom 28. Januar 1998 (abgedruckt bei Hailbronner, AuslR, D. 8.2) zugrunde, nach deren Nr. 2.2.1.1 in Verbindung mit Nr. 4.1.4.3.1 nur eine rechtskräftig feststehende vollziehbare Ausreisepflicht infolge Ausweisung mitzuteilen ist, nach Nr. 2.2.1.1 in Verbindung mit Nr. 4.2.2. aber jede vollzogene Abschiebung.