VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 06.04.2004 - 9 TG 864/04 - asyl.net: M5030
https://www.asyl.net/rsdb/M5030
Leitsatz:

Aus dem Diskriminierungsverbot in Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens ergeben sich grundsätzlich keine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche für marokkanische Arbeitnehmer.

Eine Ausnahmekonstellation, in der der Gesichtspunkt der praktischen Wirksamkeit (effet utile) zur Wahrung des Diskriminierungsverbots in Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gebieten mag, ergibt sich jedenfalls nicht schon daraus, dass einem marokkanischen Arbeitnehmer eine unbefristete Arbeitsgenehmigung nach deutschem Recht erteilt worden ist. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Marokkaner, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Duldung, Erlaubnisfiktion, Arbeitsberechtigung, Europa-Mittelmeer-Abkommen, Diskriminierungsverbot
Normen: Europa-Mittelmeer-Abkommen EG/Marokko Art. 64; AuslG § 69 Abs. 3; ArGV § 8 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

 

Eine Ausnahmekonstellation, in der das Effizienzgebot (effet utile) zur Wahrung des Diskriminierungsverbots des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gebieten mag, ist im Fall des Antragstellers jedenfalls nicht gegeben. Die dem Antragsteller am 8. Januar 2003 erteilte unbefristete Arbeitsberechtigung hat ihm keine von der Aufenthaltserlaubnis unabhängigen, weitergehenden Rechte verliehen, die durch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in einer Weise beeinträchtigt würden, die einer Diskriminierung nach Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen Marokko in der Wirkung gleichkäme. Dies folgt daraus, dass eine unbefristet erteilte Arbeitsgenehmigung nach deutschem Recht keine von der Aufenthaltsgenehmigung unabhängigen, weitergehenden Rechte vermittelt. Nach deutschem Recht ist vielmehr die Arbeitsgenehmigung prinzipiell vom Bestehen einer Aufenthaltsgenehmigung abhängig. Diese Akzessiorität zum Aufenthaltsrecht folgt aus § 284 Abs. 5 SGB III, wonach eine Arbeitsgenehmigung nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG besitzt, soweit durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist, und wenn die Ausübung einer Beschäftigung nicht durch eine ausländerrechtliche Auflage ausgeschlossen ist (vgl. Urt. des Senats vom 29. Oktober 2003 - 9 UE 295/02 -; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2003, a. a. O., S. 53; Dienelt, InfAuslR 2004, 45, 48).

Die im Fall des Antragstellers in Betracht zu ziehende Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 3 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV -), wonach die Arbeitserlaubnis eines Ausländers noch so lange fortbesteht, wie er sich aufgrund der verfahrensrechtlichen Aufenthaltserlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG noch weiter in Deutschland aufhalten darf, lässt nicht den Umkehrschluss zu, dass dieser ausnahmsweise vorgesehene Fortbestand der Arbeitserlaubnis trotz Ablaufs der Gültigkeit einer früheren Aufenthaltsgenehmigung nun einen eigenständigen Anspruch auf Verlängerung eben dieser Aufenthaltsgenehmigung nach sich zieht. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 3 ArGV ist lediglich das arbeitsgenehmigungsrechtliche Pendant zur ausländerrechtlichen Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG. Zweck beider Normen ist allein, keine - dem Ausländer nachteiligen - genehmigungsfreien Zeiten eintreten zu lassen, wenn eine rechtzeitig beantragte Verlängerung erst nach Ablauf der bisherigen Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird. Mit Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung durch die Ausländerbehörde entfallen demgemäß die ausländerrechtliche Erlaubnisfiktion und die - akzessorische - Arbeitserlaubnis. Die nur für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde bestehende vorläufige, verfahrensrechtliche Rechtsposition stellt keinen verfestigten Aufenthaltsstatus dar, der dem Schutzbereich des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko unterfallen könnte (vgl. Dienelt, InfAuslR 2004, 45, 48).