VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 05.03.2004 - 12 UZ 3005/03 - asyl.net: M5033
https://www.asyl.net/rsdb/M5033
Leitsatz:

1. Bei dem Streit um die Anordnung des persönlichen Erscheinens bei einer Auslandsvertretung handelt es sich, wenn sie sich gegen einen Asylbewerber während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss richtet, um ein Asylstreitverfahren im Sinne der §§ 11, 74 Abs. 1, 75, 76 Abs. 1, 77 Abs. 1, 78 Abs. 1 und 80 AsylVfG.

2. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens bei einer Auslandsvertretung zur "Vorsprache zwecks Passbeschaffung" ist für den angestrebten Zweck untauglich und daher unverhältnismäßig und rechtswidrig.

3. Für die Vorführung eines Ausländers bei einer Auslandsvertretung kann je nach der erforderlichen Zeitdauer eine richterliche Entscheidung erforderlich sein.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, Passverfügung, Passbeschaffung, Auslandsvertretung, Zwangsvorführung, Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Freiheitsentziehung
Normen: AsylVfG § 11; AsylVfG § 74 Abs. 1; AsylVfG § 75; AsylVfG § 76 Abs. 1; AsylVfG § 77 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 1; AsylVfG § 80; AsylVfG § 70 Abs. 4; BGSG § 40 Abs. 1
Auszüge:

Soweit sich der Beklagte in Zusammenhang mit der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auch auf die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 27.Dezember 2000 - 11 S 1592/00 - (EZAR 060 Nr. 7 = NVwZ-Beil. 2001, 87) bezieht und die Aufhebung der Vorführungsandrohung durch das Verwaltungsgericht beanstandet, ist nicht ausreichend dargetan, welche konkreten Rechtsfragen aus welchen Gründen insoweit in einem Berufungsverfahren der Klärung bedürfen. Ungeachtet dessen ist nicht zu erwarten, dass im vorliegenden Fall in einem Berufungsverfahren verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Frage der Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren und der Androhung der Vorführung bei einer Auslandsvertretung getroffen werden können.

In dem erwähnten Urteil vom 27. September 2000 hat der VGH Baden-Württemberg ausgeführt, dass die Ausländerbehörde eine Aufforderung zur Ausfüllung und Vorlage eines Antrags auf Ausstellung eines Passes gegenüber einem noch bleibeberechtigten Asylbewerber auf die Vorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG stützen dürfe, weil es sich dabei um eine verwaltungsbehördliche Konkretisierung der einem Asylbewerber auferlegten Mitwirkungspflichten handele. Da die Ausländerbehörde des Beklagten die Aufforderung an die Kläger zur Vorsprache bei dem türkischen Generalkonsulat in B-Stadt zwecks Ausstellung eines gültigen Passersatzpapieres auf § 70 Abs. 4 AuslG und § 15 Abs. 2 Nr. 3 und 6 AsylVfG gestützt hat und die Kläger die insoweit vorgenommene Klageabweisung nicht mit einem Zulassungsantrag angegriffen haben, ist eine Klärung in einem Berufungsverfahren insoweit ausgeschlossen.

Dennoch sei darauf hingewiesen, dass sich die so formulierte Aufforderung als untauglich und damit als unverhältnismäßig erweist, weil den Klägern nicht aufgegeben worden ist, vor einer Vorsprache zunächst einmal die sonst erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen, wie zum Beispiel schriftlicher Antrag auf Ausstellung eines Passes oder Passersatzes und Vorlage geeigneter Unterlagen (so auch Hess. VGH, 16.08.2000 - 9 TG 2206/00 -, EZAR 060 Nr. 6 = HessVGRspr. 2002, 1 = AuAS 2000, 247). Mit einer Vorsprache zwecks Passbeschaffung ist dem öffentlichen Interesse daran, dass die Kläger Pässe oder Passersatzpapiere erhalten, nicht gedient. Gespräche ohne konkrete Handlungspflichten sind für den angestrebten Zweck untauglich. Ebenso ungeeignet wäre eine entsprechende Vorführung.

Soweit es die hier allein streitbefangene Androhung der Vorführung des Klägers bei einer türkischen Auslandsvertretung angeht, hat der Beklagte eine klärungsbedürftige Grundsatzfrage nicht formuliert, sondern sich auf die Beanstandung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschränkt. Daher ist dem Senat insoweit eine Überprüfung verwehrt.

Dennoch sei darauf hingewiesen, dass nach § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, angeordnet werden kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz, also dem Ausländergesetz, und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in deren Gesetzen erforderlich ist. Mit ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen ist in erster Linie das Asylverfahrensgesetz gemeint. Schließlich ist das persönliche Erscheinen bei der zuständigen Auslandsvertretung nicht bei den Mitwirkungspflichten genannt, zu denen nach § 15 Abs. 2 AsylVfG der Asylbewerber "insbesondere verpflichtet" ist. Außerdem ist die Rechtsgrundlage des § 70 Abs. 4 AuslG auch in der ausländerbehördlichen Verfügung vom 24. März 2003 an erster Stelle neben § 15 Abs. 2 Nr. 3 und 6 AsylVfG aufgeführt.

Darüber hinaus ist zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts anzumerken, dass für die Durchsetzung der Verpflichtung zur Vorsprache bei der zuständigen Auslandsvertretung unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen ist (§ 70 Abs. 4 Satz 3 AuslG i. V. m. § 40 Abs. 1 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz), falls mit der Vorführung bei der Botschaft eine Freiheitsentziehung verbunden ist, die eine richterliche Entscheidung erfordert (vgl. dazu etwa Bayerisches Oberstes Landgericht, 11.04.2001 3 ZBR 1/01 -, EZAR 605 Nr. 1 = BayObLGZ 2001 Nr. 21). Hierfür könnte vor allen Dingen sprechen, dass in dem angegriffenen ausländerbehördlichen Bescheid von einer Vorführung "bei der Botschaft" die Rede ist und die Vorführung bei der türkischen Botschaft in Berlin jedenfalls einen längeren Zeitraum beansprucht.