VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 16.02.2004 - 12 UE 2675/03 - asyl.net: M5035
https://www.asyl.net/rsdb/M5035
Leitsatz:

1. Unterhaltszahlungen eines unterhaltspflichtigen Familienangehörigen sind für die Sicherung des Lebensunterhalts des Ehegatten eines Ausländers nur dann zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltspflichtige nicht nur zur Zahlung imstande, sondern auch dazu bereit ist oder erforderlichenfalls zu regelmäßigen Zahlungen gezwungen wird.

2. Von der Sicherung des Lebensunterhalts kann die Ausländerbehörde bei Verlängerung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis ohne weitere Voraussetzungen gänzlich absehen; andere Vorschriften über die Unterhaltssicherung treten demgegenüber zurück.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Lebensunterhalt, Regelversagungsgründe, Besondere Härte, Unterhaltspflicht, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, Ehegattennachzug, Sozialhilfebezug
Normen: AuslG § 17 Abs. 2; AuslG 17 Abs. 5; AuslG § 18 Abs. 1; AuslG § 46 Nr. 4; AuslG § 7 Abs. 2
Auszüge:

Dem Kläger kam jedoch, was offenbar von den Beteiligten, den Behörden und dem Verwaltungsgericht übersehen worden ist, eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Vorschrift des § 18 Abs. 4 AuslG erteilt werden, die für den Fall der nicht ausreichenden Sicherung des Wohn- oder des Unterhaltsbedarfs vorsieht, dass die Ausländerbehörde von den Erfordernissen des § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AuslG absehen und hiervon abweichend die Aufenthaltserlaubnis befristet verlängern kann, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht. Die Anwendung dieser Vorschrift ist nicht wie die des § 18 Abs. 3 AuslG auf Angehörige der sog. 2. Generation beschränkt, zu der der Kläger als volljährig Eingereister nicht zählt (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 4 AuslG). Die damit durch Abs. 4 von § 18 AuslG der Ausländerbehörde eingeräumte Befugnis zu einer sonst nicht weiter gebundenen Ermessensentscheidung erlaubt das gänzliche Absehen von dem Unterhaltserfordernis, wobei vor allem der Umfang und die Gründe der nicht ausreichenden Unterhaltssicherung und der dadurch verursachten Inanspruchnahme öffentlicher Kassen berücksichtigt werden müssen (vgl. dazu GK- Ausländerrecht; § 18 AuslG Rdnr. 133; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, Rdnr. 6/299; Hailbronner, Ausländerrecht, § 18 AuslG Rdnr. 21).

Von dieser Ermessensbefugnis hat die Ausländerbehörde der Beklagten bisher keinen Gebrauch gemacht mit der Folge, dass sich der Ablehnungsbescheid wegen Ermessensunterschreitung als rechtswidrig erweist.

Das nach § 18 Abs.4 AuslG auszuübende Ermessen kann nicht durch die Ausführung der Ausländerbehörde zur Frage der Regelversagung nach § 7 Abs. 2 Nr.2 AuslG ersetzt werden.

Während der Ausländerbehörde im ersten Fall ein Absehen von dem Unterhaltsbedarf nach Ermessen (nur) bei einer Verlängerung gestattet ist, kann sie im zweiten Fall zwar allgemein und damit auch bei einer Ersterteilung ein Ermessen nur dann ausüben, wenn zuvor aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ein Absehen von der Regelversagung bejaht worden ist. Beide Fallkonstellationen sind vor allem deswegen nicht ähnlich gelagert, sondern grundsätzlich verschieden, weil die Ermessensmöglichkeit nach § 18 Abs. 4 AuslG gerade für die befristete Verlängerung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis geschaffen worden ist und damit die Anwendung der allgemeinen Versagungsregel des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (i. V.m. § 13 Abs. 1 AuslG) als die ungünstigere Vorschrift verdrängt wird. In diesem Zusammenhang sind die Dauer des Aufenthalts und die Gründe für die mangelnde Unterhaltssicherung zwar ebenso zu berücksichtigen wie bei der Anwendung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Dabei ist aber gerade im Hinblick auf das gemeinsame Eheleben besonders zu beachten, dass es sich für den Kläger nicht um eine erstmalige Verlängerung handelt, sondern um die Fortsetzung des gemeinsamen familiären Aufenthalts nach über dreißig Jahren, wobei nicht außer Betracht bleiben darf, dass die beiden Söhne Deutsche sind (wahrscheinlich durch Einbürgerung).

Die Vorschrift des § 18 Abs. 4 AuslG ist hinsichtlich des Unterhaltsbedarfs nicht gegenüber § 17 Abs. 5 AuslG die speziellere Regelung; denn in § 17 Abs. 5 ist die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis aus Gründen der fehlenden Unterhaltssicherung nur für den Fall vorgesehen, dass der Ausländer für sonstige unterhaltsberechtige ausländische Familienangehörige oder für nicht unterhaltsberechtigte Personen Sozialhilfe in Anspruch nimmt oder in Anspruch nehmen muss. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall; denn er lebt nur mit seiner Ehefrau zusammen und beide beziehen Sozialhilfe, weil ihr Renteneinkommen nicht für den Unterhalt ausreicht. Damit bezieht seine Ehefrau, auf deren Person insoweit abzustellen ist, keine Sozialhilfe für "sonstige" Angehörige.

Der Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis für den Kläger steht außerdem nicht entgegen, dass gegen den Kläger ein Ausweisungsgrund vorliegt (§ 17 Abs. 5 Alternative 1 AuslG), weil er aller Voraussicht nach auf Dauer für sich und seine Ehefrau Sozialhilfe in Anspruch nehmen wird oder in Anspruch nehmen muss (§ 46 Nr. 6 AuslG). Da dieser Ausweisungstatbestand auf die mangelnde Unterhaltsfähigkeit des Klägers zurückzuführen ist, ist die Anwendung von § 17 Abs. 5 AuslG insoweit durch die Spezialbestimmung des § 18 Abs. 4 AuslG ausgeschlossen. Wenn nach § 1 Abs. 4 AuslG von der vollständigen Sicherung des Unterhalts des Klägers abgesehen werden kann und abgesehen wird, dann fehlte es an einem erkennbaren Sinn und Zweck für die anschließende Prüfung, ob infolge der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und des damit verwirklichten Ausweisungstatbestands die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund einer Interessenabwägung versagt werden soll.

Ähnliche Überlegungen gelten für das Verhältnis zwischen der Ermessensvorschrift des § 18 Abs. 4 AuslG und den Regelversagungsgründen des § 7 Abs. 2 AuslG, die anwendbar seien sollen, soweit sie nicht von § 17 Abs. 5 AuslG verdrängt werden (Nr. 18.4.1.2 Satz 1 AuslG-VwV). Selbst wenn dies gerechtfertigt werden könnte, wäre aber zu berücksichtigen, dass der nach Art. 6 GG gebotene Schutz von Ehe und Familie während des Fortbestands der ehelichen Lebensgemeinschaft als besonderer Umstand zu werten ist, der eine Abweichung von § 7 Abs. 2 AuslG rechtfertigen kann (so ausdrücklich Nr. 18.4.1.2 Satz 1 AuslG-VwV). Hinsichtlich des Unterhaltsbedarfs stellt § 18 Abs. 4 AuslG die lex specialis gegenüber § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG dar. Wird auf die Unterhaltssicherung nach Ermessen verzichtet, wäre es sinnwidrig, wenn dann die Regelversagung eingriffe.

Nach alledem kommt es auf die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG über die Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhalt, mit denen sich Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht im Wesentlichen beschäftigt haben, nicht an.