BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 26.03.2004 - 1 B 79.03 - asyl.net: M5042
https://www.asyl.net/rsdb/M5042
Leitsatz:

Hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen seine Bindung an eine zurückverweisende Entscheidung erneut eine Ermessensreduzierung "auf Null" angenommen und deswegen ein Verpflichtungsurteil erlassen, so kann das verfahrensfehlerhafte Berufungsurteil auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO in ein Bescheidungsurteil geändert werden. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Wiederkehroption, Ermessensreduzierung auf Null, Besondere Härte, Ermessen, Verfahrensrecht, Revisionsverfahren, Zurückverweisung, Bindungswirkung, Verpflichtungsurteil, Nichtzulassungsbeschwerde, Änderung eines Verpflichtungsurteils, Bescheidungsurteil
Normen: AuslG § 16; AuslG § 16 Abs. 2 S. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; VwGO § 133 Abs. 6; VwGO § 144 Abs. 6; VwGO § 133 Abs. 6; VwGO § 132 Abs. 2 Nr.1
Auszüge:

Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht durch den Erlass eines Verpflichtungsurteils Verfahrensrecht verletzt hat (Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dabei kann offen bleiben, ob die vom Berufungsgericht angenommene Ermessensreduzierung auf Null bereits deshalb verfahrensfehlerhaft sein kann, weil das Berufungsgericht seine Kompetenz bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nach § 113 Abs. 5, § 114 VwGO "überschritten hat", wie die Beklagte meint. Ein Verfahrensfehler liegt jedenfalls darin, dass - worauf die Beschwerde ebenfalls Bezug nimmt - das Berufungsgericht das zurückverweisende Urteil vom 19. März 2002 - BVerwG 1 C 19.01 - (BVerwGE 116, 128 143> nicht hinreichend beachtet hat. Der Senat hat hierin ausgeführt, dass auch bei Vorliegen einer besonderen Härte nach § 16 Abs. 2 Satz 1 AuslG grundsätzlich Raum für eine Ermessensentscheidung der Behörde bleibt und eine Ermessensreduzierung auf Null nicht mit pauschalen Erwägungen des Berufungsgerichts begründet werden kann. An diese rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts war der Verwaltungsgerichtshof nach § 144 Abs. 6 VwGO bei seiner erneuten Entscheidung gebunden. Hiergegen hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es wiederum eine Ermessensreduzierung auf Null mit pauschalen Erwägungen dazu bejaht hat, dass die Beklagte im gesamten bisherigen Verfahren Ermessenserwägungen nicht angestellt habe und (rechtmäßige) Ermessenserwägungen "auch schwer denkbar, jedenfalls nicht erkennbar" seien.

Damit verkennt das Berufungsgericht erneut und im Widerspruch zu dem Urteil des Senats vom 19. März 2002 die sich aus dem Gesetz ergebenden Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolle bei Ermessensentscheidungen. Den Ausführungen und Feststellungen im berufungsgerichtlichen Urteil lässt sich auch nicht entnehmen, dass als einzige rechtmäßige Entscheidung nur die Erteilung der beantragten Wiederkehrerlaubnis in Betracht kommt und von vornherein keine andere rechtmäßige Ermessensentscheidung der Beklagten möglich erscheint. Wie der Senat hierzu in seinem Urteil vom 19. März 2002 ebenfalls schon ausgeführt hat, hat sich das Ermessen allerdings unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls am Gesetzeszweck zu orientieren, dem Ausländer bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Wiederkehr zu ermöglichen, wobei jedoch - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Berufungsurteil - auch die Umstände erneut berücksichtigt werden können, die bei der Entscheidung über die besondere Härte bereits herangezogen worden sind. Soweit das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil meint, die bisherigen "Ausführungen" der Beklagten bewegten sich insgesamt auf der Ebene der von ihr bestrittenen Tatbestandsvoraussetzungen des gewöhnlichen Aufenthalts und der außergewöhnlichen Härte und könnten deshalb "aus Rechtsgründen keinen Erfolg haben", scheint sie auch insoweit die zitierten Ausführungen im Urteil des Senats vom 19. März 2002 zu verkennen. Der Beklagten ist es nicht aus "Rechtsgründen" verwehrt, bei ihrer Ermessensentscheidung auch wertend auf diejenigen Umstände zurückzugreifen, die im Ergebnis zu einer Bejahung der Voraussetzungen eines Härtefalls durch den Verwaltungsgerichtshof geführt haben. Davon unberührt bleibt jedoch ihre Verpflichtung, ihre noch ausstehende Ermessensentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu treffen, die sich aus dem als Bescheidungsurteil rechtskräftig werdenden Urteil ergibt. Zur Vermeidung von Missverständnissen und weiterem Rechtsstreit bemerkt der Senat hierzu ergänzend, dass die Beklagte bei ihren Ermessenserwägungen die das Bescheidungsurteil tragenden Gründe - insbesondere zur Bejahung eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts und einer besonderen Härte - uneingeschränkt zu beachten hat.

Wegen dieses Verfahrensmangels könnte der Senat nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Berufungsurteil aufheben und die Sache nochmals an das Berufungsgericht zurückverweisen. Damit würde jedoch der Rechtsstreit nur verlängert und dem Berufungsgericht verbliebe in einem dritten Berufungsverfahren bei Beachtung des § 144 Abs. 6 VwGO praktisch nur noch die Möglichkeit, den Verpflichtungs- in einen Bescheidungsausspruch zu ändern. Eine solche Zurückverweisung würde den mit § 133 Abs. 6 VwGO verfolgten Zielen der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung widersprechen. Der Senat hält es deshalb in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 133 Abs. 6 VwGO (vgl. Beschlüsse vom 2. April 1996 - BVerwG 7 B 48.96 -, vom 7. Oktober 1998 - BVerwG 3 B 68.97 - und vom 13. März 2002 - BVerwG 3 B 19.02 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nrn. 22, 33 und 65) für zulässig und geboten, die Entscheidung des Berufungsgerichts von einem Verpflichtungs- in ein Bescheidungsurteil zu ändern und so das gemäß § 144 Abs. 6 VwGO prozessrechtlich zwingende Verfahrensergebnis im Interesse der Verfahrensökonomie ohne Zurückverweisung selbst herzustellen.