VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 07.05.2004 - 7 A 92/03 - asyl.net: M5063
https://www.asyl.net/rsdb/M5063
Leitsatz:

§ 51 Abs. 1 AuslG für togoische Staatsangehörige wegen drohender Genitalverstümmelung.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Togo, Kotokoli, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Genitalverstümmelung, Glaubwürdigkeit, Verfolgungsbegriff, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Zurechenbarkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Interne Fluchtalternative
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Zur Überzeugung des Gerichts liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Staates Togo vor.

Die Klägerin ist aus Togo vor einer ihr unmittelbar drohenden Zwangsbeschneidung geflohen. Das Gericht glaubt der Klägerin ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung. Sie hat die Fragen des Gerichts umfassend und mit oft aussagekräftigem Mienenspiel beantwortet und dabei ein anschauliches und nachvollziehbares Bild ihrer familiären Verhältnisse sowie ihrer eigenen Situation gezeichnet. Ihre Angaben zur Beschneidung lassen sich zwanglos mit den Erkenntnissen des Gerichts (s. u.) in Übereinstimmung bringen.

Im Falle der Rückkehr der Klägerin nach Togo alsbald oder in absehbarer Zeit kann ihre zwangsweise Beschneidung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Gericht geht bei dieser Bewertung von folgenden Umständen aus: Die Genitalverstümmelung wird in Togo noch praktiziert. Die weiblichen Angehörigen der Ethnie Kotokolli sind zu einem weit überwiegenden Teil (89 %) an ihren Geschlechtsorganen beschnitten (siehe Erkenntnisse des Bundesamts, Togo, 13. Menschenrechte, Mai 2003 m.w.N.). Des weiteren ist davon auszugehen, dass erheblich mehr muslimische Frauen beschnitten sind als Christinnen und wesentlich mehr Landbewohnerinnen als Städterinnen, desgleichen wesentlich mehr Frauen ohne Schulbildung als solche mit Schulbildung (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 24. Januar 2001). Eine vor einigen Jahren gefertigte Untersuchung der Universität Lomé kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Kotokolli 93 % der befragten Frauen ohne Schulbildung beschnitten waren (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 21. Januar 2001). Die Klägerin gehört zu dem vorgenannten besonders gefährdeten Personenkreis.

Betroffene Frauen sind in keinem Landesteil in Togo vor einer Beschneidung sicher.

Die Genitalverstümmelung togoischer Frauen stellt politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG im oben genannte Sinne dar.

Die Praxis der Genitalverstümmelung wird in Togo gezielt eingesetzt gegenüber Personen, die mit einer Klitoris und Schamlippen ausgestattet sind, mithin gegenüber Frauen. Die körperlichen Merkmale einer Frau sind ihr von Geburt an gegeben. Allein aufgrund des Umstandes, dass die Frauen über Klitoris und Schamlippen verfügen, werden sie als minderwertig und für die Gemeinschaft schädlich eingestuft. Die Klägerin hat dies anschaulich dargestellt, in dem sie darauf hinwies, dass man Frauen durch die Beschneidung "ihre von Geburt an anhaftende " Sexlustigkeit nehmen und ihnen die Möglichkeit zur ehelichen Treue geben wolle, eine Eigenschaft, die sie sonst nicht hätten". Frauen, die sich der Genitalverstümmelung nicht unterziehen, müssen mit harten sozialen Sanktionen rechnen (Auskunft des Instituts für Afrikakunde an VG Aachen vom 9. Januar 2001).

Die Genitalverstümmelung stellt auch eine Rechtsverletzung erheblichster Natur dar, die einer Folter in nichts nachsteht. Es handelt sich um einen elementaren Eingriff in die körperliche Integrität der jeweiligen Frau. Aufgrund des vorgenannten Umstandes ist es im Hinblick auf die Einstufung der Genitalverstümmelung als politische Verfolgung unerheblich, dass Frauen der Kotokolli in Togo diesen Eingriff aufgrund des dort herrschenden Systems üblicherweise hinzunehmen haben und demzufolge die Beschneidung als solche nicht ausgrenzenden Charakter hat.

Die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den Frauen sind auch nicht lediglich privater Natur, denn sie sind dem Staat Togo zuzurechnen. Das Regime Eyademas hat die Zwangsbeschneidung zwar unter Strafe gestellt. So ist in Togo die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane seit 1998 gesetzlich verboten und wird mit Geld- oder Gefängnisstrafe bestraft. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nur selten durchgesetzt (Auswärtiges Amt, Lagebericht Togo, Stand: August 2003, Seite 18).

Von besonderen oder intensiveren Aufklärungskampagnen seitens des togoischen Staates wird nichts berichtet. Soweit es dennoch heißt, dass die Praxis der Genitalverstümmelung infolge des gesetzlichen Verbotes und der durchgeführten Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen zurückgehe, existieren keine konkreten Zahlen (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG München vom 22. Oktober 2001). Die Angabe ist mithin nicht verifizierbar.

Angesichts dessen, dass das togoische Regime in sonstigen Bereichen durchaus in der Lage ist, das Volk einzuschüchtern und die Marschrichtung vorzugeben, kann nur davon ausgegangen werden, dass im Hinblick auf die Genitalverstümmelung eine ernsthafte Schutzgewährung für die betroffenen Frauen nicht gewollt ist.