OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2003 - 4 A 3414/01.A - asyl.net: M5075
https://www.asyl.net/rsdb/M5075
Leitsatz:

Keine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung in die DRK zurückkehrender Asylbewerber aufgrund einer Asylantragstellung und der bloßen Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Zeitschriften, Eveil, Publikationen, Demonstrationen, Flugblätter, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, Hilfsorganisationen, Soziale Bindungen, Medizinische Versorgung, Malaria, Semi-Immunität, Infektionsrisiko
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Eine Erkrankung oder sonstige Gründe, die einer Abschiebung in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entgegenstehen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können Abschiebungshindernisse im Sinne dieser Vorschrift allerdings auch dann vorliegen, wenn bei einer Rückkehr in die DRK politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199, und Beschluss vom 19. April 2002 - 1 B 406.01 -).

Eine solche Gefahr besteht für den Kläger nicht.

Der Kläger trägt vor, er sei Mitarbeiter der Zeitschrift "Eveil". Diese Zeitschrift erscheine in einer Auflage von 150-200 Exemplaren und werde unter den Exilkongolesen verteilt. Darüber hinaus werde jeweils ein Exemplar an die kongolesische Botschaft sowie an Ministerien der Bundesrepublik versandt. Ein Mitarbeiter der Zeitung habe mehrere Exemplare an dessen Bruder in die DRK verschickt, damit dieser sie kopieren und verteilen könne. Der Bruder sei "aufgrund der Zeitung" festgenommen worden. Auch habe die kongolesische Botschaft in Deutschland auf den Inhalt der Zeitung scharf reagiert. Im Übrigen habe er auch noch Artikel in der Zeitschrift "Lµ.autre Afrique" verfasst, in denen er sich kritisch mit der damaligen Regierung unter Laurent Kabila auseinandergesetzt habe.

Diesem Vorbringen sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die den Schluss rechtfertigen, der Kläger werde aufgrund der gegenwärtigen Verhältnisse in der DRK bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen verfolgt. Zu Gunsten des Klägers kann auch unterstellt werden, dass sein politisches Engagement in Deutschland den Regierungsstellen in L. bekannt geworden ist. Denn nach der Überzeugung des Senats besteht nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung zurückkehrender Asylbewerber etwa aufgrund einer Asylantragstellung und der bloßen Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei. Das trifft auch für darüber hinausgehende normale Parteiaktivitäten zu, wie etwa der Teilnahme an gegen die Kabila- Regierungen gerichteten Demonstrationen und Kundgebungen - wie sie auch vom Kläger geltend gemacht werden -, selbst wenn dabei für die Öffentlichkeit bestimmte regimekritische Flugblätter verteilt und Resolutionen verfasst werden. Entsprechendes gilt ferner für das Verfassen von Zeitungsartikeln oder Schreiben an Regierungsstellen bzw. an den jeweiligen Präsidenten, auch wenn in diesen eine Gegnerschaft zum bestehenden Regime zum Ausdruck gebracht wird. Denn alle diese Aktivitäten werden von den kongolesischen Regierungsstellen dahin gewertet werden, dass sie in erster Linie asyltaktischen Überlegungen entspringen, um ein Bleiberecht im Ausland zu erreichen (vgl. in diesem Zusammenhang: AA, Auskunft vom 6. Oktober 2000 an den VGH Mannheim und Auskunft vom 13. Oktober 1999 an das VG Stuttgart).

Nach den Lageberichten des Auswärtigen Amts bleiben abgeschobene Asylbewerber unbehelligt. Sie können nach Kontrolle durch die zuständigen Behörden am Flughafen Nu.E. /L. , die vornehmlich der Feststellung der Staatsangehörigkeit und eventueller Verbindungen zu Rebellengruppen dient, das Flughafengelände verlassen und zu ihren Familienangehörigen gelangen. Entgegenstehende Berichte haben sich nicht bewahrheitet (vgl. dazu Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 05. Mai 2001 und vom 23. November 2001, zu IV."Rückkehrfragen"; ferner Auskunft des Auswärtigen Amts vom 28. März 2002 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Mit Blick auf die vom Kläger vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten ist insbesondere von Bedeutung, dass die gegenwärtige Regierung, was die Kritik an dem jetzigen Präsidenten J. Kabila betrifft, bis zu einem gewissen Grade tolerant ist. Es wird über weniger politische Gefangene berichtet als zur Zeit des Präsidenten L. D. Kabila; allerdings gibt es immer noch einige politische Häftlinge und immer noch kann es in Einzelfällen zu an die politische Überzeugung anknüpfenden Festnahmen kommen (AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen).

Es mag deshalb zutreffen, dass, wie sich anhand des Datums des Schriftsatzes des Klägers (vom 13. August 1998) ergibt, es zu Zeiten der Regierung von L.D. Kabila zu der behaupteten Verhaftung "auf Grund der Zeitung" - die näheren Umstände und die Folgen der Verhaftung sind nicht vorgetragen worden - gekommen ist; zu Gunsten des Klägers kann jedoch aus diesem Vorfall nichts hergeleitet werden. Denn nach neueren Angaben des Auswärtigen Amts werden exilpolitische Aktivitäten von Kongolesen, soweit sie nicht in Belgien oder Frankreich stattfinden, in der DRK nicht wahr- bzw. ernstgenommen, und zwar weder in der politischen Landschaft noch von der Regierung und ihren Sicherheitsdiensten. Sofern kongolesische Stellen von exilpolitischen Aktivitäten ihrer Landsleute Kenntnis erhalten, betrachten sie diese nicht als ernst zu nehmende Opposition (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amts vom 18. Juli 2002 an VG Münster).

Schutz vor Abschiebung kann hier auch nicht in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - und damit über den nach Satz 2 der Vorschrift begrenzten Anwendungsbereich hinaus - gewährt werden.

Zurückkehrende Asylbewerber würden nicht unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die DRK auf Grund der dort herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen (§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG) in eine extreme Gefährdungslage geraten, die sie mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tode oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.

Es lässt sich nicht feststellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum L. mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen (vgl. zur notwendigen Unmittelbarkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 668) sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Diese Einschätzung gilt für den Normalfall eines im Wesentlichen gesunden Menschen, der sich nach seiner Abschiebung auf Grund seines längeren Aufenthalts in Deutschland in einem guten Ernährungszustand befindet.

Der Senat übersieht allerdings nicht, dass sich die Situation für zurückkehrende Asylbewerber, etwa wenn diese nicht auf die Hilfe einer Großfamilie rechnen können, jedenfalls zunächst schwieriger darstellen kann, als dies bei Personen der Fall ist, die schon länger in L. leben. Er ist nach der Auskunftslage aber der Überzeugung, dass sich diese Anfangsschwierigkeiten mit Unterstützung der genannten Einrichtungen und Organisationen überwinden lassen und deshalb eine extreme Gefahrenlage, wie sie hier für die Gewährung von Abschiebungsschutz erforderlich wäre, nicht besteht.

Auch die in L. bestehende medizinische Versorgungslage rechtfertigt nicht die Annahme des Bestehens einer extremen Gefährdungslage.

Schließlich kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auch nicht wegen einer nach Rückkehr in die DRK möglicherweise drohenden Malariaerkrankung zugebilligt werden.