OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2004 - 8 A 10266/03 - asyl.net: M5111
https://www.asyl.net/rsdb/M5111
Leitsatz:

Der Stand der politischen Veränderungen im Irak lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass in absehbarer Zukunft eine neue Staatsgewalt entsteht, die an die Traditionen des Saddam-Regimes anknüpft und diesem Regime verdächtig gewesene Staatsbürger (erneut) verfolgt.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Irak, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Interne Fluchtalternative, Nordirak, Politische Entwicklung, CPA, Gebietsgewalt, Verfolgungsbegriff, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob irakischen Staatsangehörigen bereits wegen ihrer Asylantragstellung in Deutschland politische Verfolgung droht, ist nicht mehr grundsätzlich klärungsbedürftig. Denn sie zielt auf tatsächliche Verhältnisse, die mittlerweile durch Zeitablauf überholt sind.

Personen, die vor dem Regime Saddam Husseins nach Deutschland geflohen sind, sind wegen dieses Auslandsaufenthaltes und der Asylantragstellung im Falle einer Rückkehr nicht (mehr) von politischer Verfolgung bedroht. Dabei mag dahinstehen, ob dort gegenwärtig überhaupt eine zu politischer Verfolgung im o.g. Sinne erforderliche Staatsgewalt oder staatsähnliche Gebietsgewalt besteht (verneinend: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. August 2003 - 20 A 430102.A -, S. 6 f. UA; bejahend im Blick auf die Besatzungsverwaltung VG Aachen, Urteil vom 11. September 2003 - 4 K 2360101.A -). Jedenfalls - und dies ist entscheidend - hat sich die politische Situation im Irak durch die am 20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Das Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Macht über den Irak verloren. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen und Institutionen dieses Regimes wie beispielsweise der Baath-Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Saddam Hussein, seine Söhne Udai und Kusai sowie viele Angehörige der früheren Staatsführung sind, wenn nicht getötet, so durch Verhaftung seitens der Besatzungsmächte unschädlich gemacht worden. Damit ist der weitaus größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger staatlicher Gewalt aktionsunfähig.

Der Stand der politischen Veränderungen im Irak lässt es darüber hinaus aber auch ausgeschlossen erscheinen, dass in absehbarer Zukunft eine neue irakische Staatsgewalt entsteht, die an die Traditionen des Saddam-Regimes anknüpft und diesem Regime verdächtig gewesene Staatsbürger (erneut) verfolgt. Wie immer eine künftige irakische Regierung zusammengesetzt sein mag, wird sie aller Voraussicht nach keine Ähnlichkeit mit dem bisherigen Regime haben. Damit fehlt jede Grundlage für die Prognose einer politischen Verfolgung als Reaktion auf Verhaltensweisen, die - wie die Asylantragstellung und der unerlaubte Auslandsaufenthalt des Beigeladenen - tatsächlich oder möglicherweise als Infragestellen des Machtanspruchs der seinerzeit herrschenden Clique gewertet wurden bzw. werden konnten.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass auch die weitere Frage, ob irakische Staatsangehörige im Nordirak eine inländische Fluchtalternative haben, keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren mehr bedarf. Wer - wie es der Beigeladene für sich in Anspruch nimmt - aus dem Zentralirak stammt und dort eine Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins befürchtete, bedarf einer solchen Fluchtalternative grundsätzlich nicht mehr.