OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 08.01.2004 - OVG 1 B 411/03 - asyl.net: M5145
https://www.asyl.net/rsdb/M5145
Leitsatz:

Versagungsermessen nach § 17 Abs. 5 AuslG besteht, wenn der Ausländer wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden ist unabhängig von der Möglichkeit der Ausweisung. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Erlaubnisfiktion, Abgelehnte Asylbewerber, Deutschverheiratung, Gemeinschaftsrecht, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Straftäter, Ausweisungsgründe, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 69 Abs. 3 S. 1; AuslG § 23 Abs. 3; AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 9 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 17 Abs. 5; AuslG § 46 Nr. 2; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123; RL 64/221/EWG; RL 68/360/EWG; RL 73/148/EW
Auszüge:

Die Erlaubnisfiktion ist - unabhängig davon, ob der Antragsteller sich seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG) oder nicht - schon deshalb nicht eingetreten, weil er aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.12.1992 ausreisepflichtig, aber noch nicht ausgereist war (§ 69 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AuslG).

Die Auffassung des Antragstellers, diese Vorschriften könnten die Erlaubnisfiktion hier nicht ausschließen, weil dem - vorrangig anzuwendendes - Gemeinschaftsrecht entgegenstehe, ist unzutreffend. Sie findet insbesondere in den Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG und 73/148/EWG des Rates, auf die sich der Antragsteller beruft, keine Stütze. Diese Vorschriften sind nämlich nicht einschlägig.

Die RL 64/221/EWG gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen, sowie deren Ehegatten und Familienangehörigen (Art. 1). Nach Art. 1 der RL 68/360/EWG beseitigen die Mitgliedstaaten nach Maßgabe dieser Richtlinie Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates Anwendung findet. Die einschlägige Regelung in Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 erfasst die Familienangehörigen lediglich solcher Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt sind. Auch die Richtlinie 73/148/EWG betrifft nach ihrem Art. 1 die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen nur solcher Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, die dort eine Dienstleistung erbringen wollen oder die sich als Empfänger einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begeben wollen, sowie deren Ehegatten und Familienangehörige.

Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu dem von diesen Vorschriften begünstigten Personenkreis gehören könnte, sind nicht ersichtlich. Die in Deutschland lebende Ehefrau des Antragstellers ist deutsche Staatsangehörige, nicht Angehörige eines anderen Mitgliedstaats. Die Regelungen des Gemeinschaftsrechts über die Freizügigkeit der Erwerbstätigen, den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit kommen ihr, solange sie nicht von den entsprechenden Grundfreiheiten Gebrauch macht, ebenso wenig zu gute wie - aus ihrer Rechtsstellung abgeleitet -, dem Antragsteller als mit ihr verheiratetem Drittstaatsangehörigen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 25.07.2002 in der Rechtssache C-459/99 (MRAX gegen Belgien; Sig. 1-6591), auf das sich der Antragsteller beruft. Der Gerichtshof erinnert in dieser Entscheidung vielmehr ausdrücklich an seine in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die zitierten Gemeinschaftsregelungen nicht auf Situationen anwendbar sind, die keinerlei Anknüpfungspunkt zu irgendeiner der vom Gemeinschaftsrecht erfassten Situationen aufweisen, und folglich nicht auf Personen angewandt werden können, die von diesen Freiheiten nie Gebrauch gemacht haben (Rn 39 m.w.Nwn.). Er stellt ausdrücklich klar, dass er die ihm gestellten Vorlagefragen im Lichte dieser Erwägungen beantwortet (Rn 40). Seine Aussagen können deshalb nicht, wie dies der Antragsteller tut, ohne Berücksichtigung dieses Kontextes verallgemeinert und auch auf Sachverhalte erstreckt werden, in denen - wie im Fall des Antragstellers - jeder gemeinschaftsrechtliche Bezug fehlt.